Deutschland exportiert nicht nur Autos und Maschinen, sondern auch Studiengänge. In Kairo wird gerade eine Fachhochschule nach deutschem Vorbild aufgebaut. Beteiligt ist auch die Hochschule Heilbronn.

Neulich in Kairo. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Der Moloch mit mehr als 20 Millionen Einwohnern ist voller Staub, Gewusel, Lärm und Chaos. Wer Ruhe sucht, ist im Botschaftsviertel Zamalek richtig. Für deutsche Verhältnisse ist der Stadtteil immer noch laut, aber es geht entspannter zu als in anderen Ecken Kairos. Der Sonnenuntergang lässt sich in einer Bar auf dem Dach eines Hochhauses genießen. Hier oben erstreckt sich der Blick über den Nil. Die blaue Stunde ist angebrochen.

 

Ein Mann kommt an den Tisch und fragt auf Deutsch, ob er sich dazusetzen darf. Nanu, noch ein Deutscher hier in dieser Bar? Der Mann ist beruflich in Kairo, an der German International University. An der was? „Jaja, guck dir das mal im Internet an. Spannende Sache.“ Er gibt ein Bier aus und ein paar Tipps zu den angesagtesten Läden der Stadt. Dann muss er weiter, Abendessen mit Kollegen.

Lehre mit Praxisbezug

Die German International University, kurz GIU, ist eine Hochschule nach deutschem Vorbild, die derzeit in Kairo aufgebaut wird. Beteiligt sind unter anderem die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die Technische Hochschule Ulm sowie die Hochschule Heilbronn. An der GIU sollen junge Ägypter von dem profitieren, was als Erfolgsrezept deutscher Fachhochschulen gilt: Akademische Lehre gepaart mit praktischer Anwendung und Nähe zur Wirtschaft. Mit der GIU „exportiert Deutschland erstmals das Modell der Hochschulen für angewandte Wissenschaften nach Nordafrika“, schreibt der Deutsche Akademische Austauschdienst im Netz. Kürzer heißt es auf der Webseite der Hochschule Heilbronn: „Export von Studiengängen nach Ägypten“.

„Die GIU hat für uns eine besondere Bedeutung“, schreibt Ansgar Meroth auf Anfrage. Er ist Professor an der Hochschule Heilbronn und zugleich Gründungsdekan der Fakultät für Technik der German International University in Kairo. „Internationalisierung ist Teil der DNA der Hochschule Heilbronn“, so Meroth. Mehr als 220 internationale Partnerhochschulen hat die Hochschule. Bei der GIU Kairo waren die Heilbronner bei der Definition von fünf Technikstudiengängen und einem Wirtschaftstudiengang aktiv. Im Wintersemester 2019/2020 hat die GIU ihre ersten Studierenden aufgenommen. Ägypterinnen und Ägypter können sich dort zum Beispiel für IT-Sicherheit einschreiben, für Softwareentwicklung, Modedesign oder Mechatronik.

Was bringt all das den deutschen Hochschulen, die die GIU vorangetrieben haben? Die Antwort ist vielschichtig. Ein Aspekt sind sinkende Studierendenzahlen in Deutschland. Die eigenen Studienplätze mit guten Leuten zu füllen, ist für einige Bildungseinrichtungen in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr. „Bundesweit gibt es 263 Fachhochschul- und Universitätsstandorte; an jedem sechsten davon sind Vorlesungen und Seminare (deutlich) schlechter besucht als noch im Jahr 2012“, heißt es in einer Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration von 2019. „Der Grund hierfür ist der demographische Wandel (…)“.

Das scheint sich auch an der Hochschule Heilbronn bemerkbar zu machen. In den vergangenen Jahren schwankte die Studierendenzahl, im Wintersemester lag sie seit 2019/2020 aber nie unter 8 000 Studierenden – bis jetzt. Im aktuellen Wintersemester studieren nur etwa 7 980 Menschen an der Hochschule. „Wir bemerken selbst einen stetigen Rückgang der Bewerberzahlen“, schreibt Meroth. Den Rückgang wolle man durch neue Adressaten in Baden-Württemberg, aber auch durch die GIU und andere Partner im Ausland ausgleichen. Somit ist es praktisch, wenn junge Ägypter mit einem Bachelor-Abschluss der German International University in der Tasche ihren Master in Heilbronn machen wollen.

Der erste Masterstudent habe genau diesen Weg bereits eingeschlagen, schreibt Meroth. Als einer der ersten Absolventen der GIU Kairo habe er im Wintersemester 2023 bei der Hochschule Heilbronn angefangen. Inzwischen gebe es weitere Bewerbungen und Anfragen. Das passt zum guten Ruf, den Deutschland bei vielen Ägypterinnen und Ägyptern hat, gerade in Sachen Bildung. Viele junge Menschen wollen raus aus ihrem Land, weil sie dort keine Perspektiven sehen. Der Umzug von Kairo nach Heilbronn könnte allerdings zum Kulturschock werden, denn die Metropolregion Kairo hat etwa 170-mal so viele Einwohner wie das beschauliche Heilbronn. Immerhin, eine Hochhaus-Bar mit Blick auf den Neckar gibt es in der Käthchenstadt. Auch ein schöner Ort für den Sonnenuntergang.