Gut gemacht, möchte man zunächst staunen: Beim Deutschen Filmpreis in Berlin hat der Kassenhit „Fack ju Göhte“ eben nicht abgeräumt. Aber bei näherem Hinsehen wird klar, dass die Lola-Vergabe gar nicht gut gelaufen ist.

Stuttgart - „Hoppla“, könnte sich ein halbwegs Wohlwollender beim Überfliegen der Gewinnerliste des Deutschen Filmpreises denken, „die haben sich aber was getraut!“ Tatsächlich hat die Deutsche Filmakademie, deren Mitglieder bestimmen, wer die Lola genanten Trophäen bekommt, den Überflieger des vergangenen Jahres hart abstürzen lassen. Der Klamauk „Fack ju Göhte“ von Bora Dagtekin, der mit über sieben Millionen Besuchern in Deutschland alle Hollywoodproduktionen hinter sich ließ, hat bloß einen undotierten Preis als besucherstärkster Film bekommen. Das ist nicht mehr als die Kenntnisnahme einer Statistik.

 

Als besten Film dagegen hat die Akademie „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz gewürdigt, ein vierstündiges Schwarzweiß-Epos, das es auf gerade mal 122 000 zahlende Zuschauer brachte. Die Lolas für die beste Regie und das beste Drehbuch hat die von Iris Berben geführte Institution beim Festakt am Freitagabend in Berlin gleich noch obendrauf gelegt.

Wenn es nur zwei Filme gäbe ...

Nun ist „Die andere Heimat“ zwar nicht der stärkste Teil dieser großen Erzählung aus dem Hunsrück. Aber Reitz’ Werk bewegt sich in völlig anderen Dimensionen als die wild zwischen aufgewärmter Pennälerfilmspießigkeit und verwässerter Rappervulgarität umherrutschende Klamotte „Fack ju Göhte“. Im direkten Vergleich dieser beiden Kandidaten könnte man der Akademie durchaus gratulieren, ihrer Verantwortung couragiert nachgekommen zu sein. Mit knapp 3 Millionen Euro Preisgeldern ist die Lola nämlich die höchstdotierte Kulturauszeichnung der Republik.

Aber das deutsche Filmschaffen bestand im Jahr 2013 eben nicht nur aus „Die andere Heimat“ und „Fack ju Göhte“. Weshalb der Filmpreis das war, was einige erbitterte Kritiker schon lange in ihm sehen: eine arge Panne.

Ärgerlich ist unter anderem der achtfache Preishagel, der auf Andreas Prochaskas schönen Alpenwestern „Das finstere Tal“ niederging. Nicht nur die silberne Lola als bester Film nach „Die andere Heimat“ erhielt er, nicht nur Tobias Moretti wurde als bester Nebendarsteller ausgezeichnet. Auch in den folgenden Kategorien soll er das Beste vom Besten geliefert haben: Kamera, Szenenbild, Kostümbild, Maskenbild, Filmmusik und Tongestaltung. Das ignoriert, was in der Breite los war im deutschen Film im vergangenen Jahr. Die Massierung sendet das falsche Signal, man habe ein maues Produktionsjahr gehabt, in dem nur wenig aus der Masse herausragte.

Provokant weit daneben

Immerhin hat man bei den Schauspielerinnenpreisen für ein wenig Abwechslung gesorgt. Als beste Hauptdarstellerin wurde Sandra Hüller für ihre Rolle in „Finsterworld“ ausgezeichnet, als beste Nebendarstellerin Jördis Triebel für „Westen“. Dafür hat man bei der Kür des besten Hauptdarstellers schon provokant weit daneben gelangt: der 78-jährige Dieter Hallervorden durfte eine Lola für „Sein letztes Rennen“ entgegen nehmen.

Wer nach einer Erklärung sucht, könnte dies als Ehrenpreis für ein Gesamtwerk deuten. Aber einen solchen verleiht die Akademie ja längst separat. Den erhielt dieses Jahr im rührendsten Moment der nach wie vor ausbaufähigen Bühnengala der krebskranke 69-jährige Helmut Dietl („Monaco Franze“, „Kir Royal“, „Schtonk“, „Rossini“). Und obendrein schmecken auch die drei Lolas für den 81-jährigen Edgar Reitz stark nach Gesamtwürdigung.

Viel zu viel wurde übergangen

So steht die Deutsche Filmakademie, auch wenn das im Lamettafunkeln der Gala-Nachberichterstattung nicht gleich deutlich werden mag, vor einem Scherbenhaufen. Sie scheint sich für das konkrete aktuelle Kinoschaffen, das sie mit dem Filmpreis künstlerisch einschätzen und in seinen mutigsten und innovativsten, souveränsten und klügsten Erscheinungen fördern soll, überhaupt nicht mehr zu interessieren. Sie arbeitet nur noch wenig einfallsreich am sehr allgemeinen Imageprojekt „Auch wir sind Stars“ und widmet sich bekannten Gesichtern und Namen.

Leicht hat es die aus Brachenangehörigen zusammengesetzte Filmakademie nicht gehabt, seit sie 2005 jene Fachjury ablöste, die zuvor über die aus dem Bundeshaushalt stammenden Millionengelder des Filmpreises entschied. Einerseits wird Kulturförderung von ihr erwartet, andererseits eine reichweitenstarke Imageveranstaltung für das eigene Gewerbe. Bislang hat sie sich mal schlauer, mal ungeschickter zwischen diesen Ansprüchen durchlaviert. Aber dieses Jahr hat sie einfach zu viele hochinteressante Filme übergangen: Philip Grönings „Die Frau des Polizisten“, David Wnendts „Feuchtgebiete“, Katrin Gebbes „Tore tanzt“, Haifa Al Mansours „Das Mädchen Wadjda“, Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“ etwa.

Dass mit „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ das Porträt eines Blenders den Preis für den besten Dokumentarfilm erhalten hat, kann einen da bitter feixen lassen. Hinter der scheinbar mutigen Entscheidung für „Die andere Heimat“ steckt die mutlose Unlust, sich auf den deutschen Film der Gegenwart einzulassen.