Ecke, Kopfball, Tor: Standardsituationen sind bei der deutschen Fußball-Nationalelf wieder schwer in Mode. Auch heute Abend im WM-Gruppenspiel gegen Ghana sollen sie zum Erfolg beitragen.

Stuttgart - Sie ist also schon entschieden, die berühmte Wette, nach der vor jedem Turnier gefragt wird, von der aber niemand so genau weiß, ob es sie wirklich gibt. Um die Standardsituationen geht es. Der Assistenztrainer Hansi Flick setzt angeblich immer darauf, dass die deutsche Mannschaft über einen ruhenden Ball zu einem Torerfolg kommen werde, sein Chef Joachim Löw hält dagegen. Wochenlang wartete man in der Vergangenheit gebannt auf den Ausgang dieser Wette – diesmal durfte Flick schon nach dem ersten Spiel fröhlich verkünden, dass er der Sieger sei. Er freue sich schon auf das gemeinsame Abendessen des Trainerteams samt Ehefrauen, „denn Jogi muss zahlen“.

 

Ecke, Kopfball, Tor – auf diese Weise hat der Innenverteidiger Mats Hummels beim 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal getroffen. Auch im zweiten Gruppenspiel am Samstag (21 Uhr) gegen Ghana in Fortaleza soll dieses altbewährte, im Nationalteam aber lange in Vergessenheit geratene Stilmittel einer der Wege sein, um zum Erfolg zu kommen. Denn auch die deutsche Mannschaft hat inzwischen die Standards wiederentdeckt, die gerade bei dieser WM eine besonders große Bedeutung haben.

Weil es unter brasilianischer Sonne nicht möglich ist, 90 Minuten lang Hochgeschwindigkeitsfußball zu spielen, sind ruhende Bälle ein praktisches Instrument, um ohne größeren Kraftaufwand Torchancen zu kreieren. Zwei Drittel der Treffer bei der WM fielen bisher nach Eckbällen, Freistößen und Elfmetern, genau wie beim Confedcup im vergangenen Jahr. Nur bei einem Viertel lag die Quote noch bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika.

Schnöde Eckbälle machen häufig den Unterschied

Aber auch ganz grundsätzlich gilt, dass im modernen Fußball, in dem die Abwehrreihen immer schwerer zu durchdringen sind, häufig schnöde Eckbälle den Unterschied ausmachen. Gerade die Deutschen, ursprünglich einmal die Großmeister des Kopfballtorpedos, mussten das in den vergangenen Jahren schmerzvoll erfahren. Bei der WM 2010 entschied nach einer Ecke Carles Puyol das Halbfinale zu Gunsten der Spanier; Didier Drogba vom FC Chelsea stürzte den FC Bayern im Champions-League-Finale 2012 ins Tal der Tränen; und in diesem Jahr waren es zwei Kopfbälle von Sergio Ramos, die verhinderten, dass die Münchner erneut das Endspiel erreichten. Dort gewann Real Madrid gegen Atlético Madrid, nachdem sich die Königlichen durch einen weiteren Ramos-Kopfball in der Nachspielzeit in die Verlängerung gerettet hatten.

Trotzdem hat Joachim Löw dieses Thema jahrelang mit spitzen Fingern angefasst. Gerne verwies er darauf, dass er Standards „nicht so vollumfänglich“ trainieren könne wie ein Vereinscoach. Krachende Kopfballtore entsprechen eigentlich nicht der Fußballästhetik des Bundestrainers, der die Gegner viel lieber flach, schnell und am besten spektakulär in die Knie zwingen will. Seinem Assistenten Flick überließ er es immer, ein paar Eckball- oder Freistoßvarianten einzuüben, die bei vergangenen Turnieren dann erfolglos blieben.

Während der Vorbereitung auf die WM in Brasilien erfüllte Flick diese Aufgabe mit besonders großem Eifer. Er legte Wert darauf, die Mannschaft für die Bedeutung von Standardsituationen zu „sensibilisieren“, sie „mit ins Boot zu nehmen“. Im Trainingslager in Südtirol wurde eine „Standard-Competition“ ausgerufen, ein Wettbewerb, bei dem die Spieler eigene Ideen zu Papier bringen sollten. In den Übungsspielen gegen die eigene U-20-Mannschaft wurden sie in die Praxis umgesetzt – nicht ohne Erfolg, wie Flick am Ende bilanzierte.

Bei den deutschen Gegnern herrscht Alarmstufe Rot

Im ersten WM-Spiel gegen Portugal brachte die Mannschaft die neu erworbenen Fertigkeiten auf der großen Bühne zur Aufführung. Heraus kam ein verwegener Freistoßtrick, bei dem erst drei deutsche Spieler über den Ball liefen, ehe der Schuss von Toni Kroos in der Mauer landete. Doch war das Tor von Mats Hummels eben auch eine Folge dieser intensiven Beschäftigung mit dem ruhenden Ball. Inzwischen hat sich auch Löw zu dem Urteil durchgerungen, dass Standards „ein Gewicht“ haben, ein „wichtiges Thema“ seien, wie er sagt: „Darüber haben wir mit den Spielern gesprochen.“

Auch deshalb bilden in Brasilien vier gelernte Innenverteidiger die deutsche Viererabwehrkette, allesamt groß, kräftig, kopfballstark. Vor dem eigenen Strafraum räumen sie die Flanken des Gegners ab; und vorne verbreiten sie Angst und Schrecken, wenn Freistöße oder Eckbälle in den Strafraum fliegen. Diese körperliche Übermacht sei „ein Riesenvorteil“, findet zum Beispiel der 1,97-Meter-Mann Per Mertesacker, „allein ich werde immer von zwei Mann bewacht“. Das eröffnet den Nebenleuten Freiräume, wie bei Hummels’ Treffer zu sehen war.

Alarmstufe Rot also für Ghana. Schon im ersten Spiel haben die Afrikaner nach einer Ecke verloren, der Berliner Bundesligaprofi John Anthony Brooks war kurz vor Schluss mit dem Kopf zur Stelle. Kein Zufall, wie der Coach Jürgen Klinsmann nach dem 2:1-Auftaktsieg seiner US-Amerikaner erklärte: „Ich habe das trainieren, trainieren, trainieren lassen.“