Der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ist seit 100 Tagen im Amt – und setzt sich jetzt schon deutlich vom Vorgänger Theo Zwanziger ab.

Danzig - Der Präsident ist diesmal mittendrin. Wenn Wolfgang Niersbach morgens zum Frühstücksbüfett schreitet, laufen ihm manchmal Nationalspieler über den Weg. Und wenn er abends noch einen Schlummertrunk zu sich nimmt, dann kann es sein, dass der Trainer neben ihm an der Hotelbar sitzt. Allerdings ist es nicht Joachim Löw, sondern Giovanni Trapattoni, der mit seiner irischen Nationalmannschaft im gleichen Hotel wie der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) abgestiegen ist, im feudalen Sheraton am Ostseestrand von Sopot.

 

Auch während der EM in Polen und der Ukraine gilt die eiserne Regel, die Jürgen Klinsmann vor der Heim-WM 2006 aufgestellt hat: Die deutsche Mannschaft will in ihrem Hotel unter sich bleiben, die Delegation der Funktionäre darf nur auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen vorbeischauen. Ansonsten aber hat sich einiges geändert, seit Niersbach am 2. März vom DFB-Bundestag ohne Gegenstimme zum Nachfolger von Theo Zwanziger gewählt wurde.

Der Rheinländer, der am Samstag, dem Tag des deutschen EM-Auftaktspiels gegen Portugal, 100 Tage im Amt sein wird, pflegt einen ganz anderen Führungsstil als sein Vorgänger. Mit eher leichter Hand und ohne Eitelkeit führt Niersbach die Geschäfte, was viele als wohltuend empfinden angesichts der Bedeutungsschwere unter Zwanziger. Ein frischer Wind ist dadurch in die Verbandszentrale in Frankfurt gekommen, wo viele der 220 Mitarbeiter zuvor immer lauter über das dominante Auftreten ihres Chefs gemurrt hatten. „Ich merke, dass sich die Arbeit im Verband sehr stark entspannt hat“, sagte der Teammanager Oliver Bierhoff jüngst im StZ-Interview.

Neuer Umgangston im Verband

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger pflegt der neue Präsident zum Bundestrainer ein fast freundschaftliches Verhältnis. Niersbach sei, sagte Joachim Löw dieser Tage, „ein hervorragender Kommunikator und ein großartiger Moderator, ohne große Allüren. Für ihn zählt der Fußball, den hat er immer in den Mittelpunkt gerückt.“ Während Zwanziger vor der WM 2010 unter großem Getöse die Vertragsverlängerung hat platzen lassen, stellte Niersbach dem Bundestrainer bereits eine Jobgarantie aus, auch bei einem frühen Scheitern.

Vor seinem ersten Turnier präsentiert sich Niersbach in bemerkenswert entspannter Pose. Mit offenem Hemd setzt er sich im deutschen Medienzentrum aufs Podium und gibt Anekdoten von früher zum Besten. Er berichtete von seinem Stehplatzbesuch des EM-Finals 1972 in Brüssel und von den Verhältnissen während der EM 1996, als das Pressezelt „auf der Kuhwiese von Bauer Harvey“ errichtet worden sei. „Kaum war es fertig, ist es schon abgesackt, weil es geregnet hat.“

Es ist eine Stärke Niersbachs, dass er nie vergessen hat, woher er kommt. Vom Fußballfan ist er zum Sportreporter geworden, als Pressesprecher kam er anschließend zum DFB, er hat danach mit Franz Beckenbauer die WM 2006 organisiert und wurde DFB-Generalsekretär, ehe er in das höchste Amt des Verbands mit seinen 6,8 Millionen Mitgliedern kam. Der 61-Jährige hat sich in dieser Zeit nicht nur ein riesiges Netzwerk aufgebaut – er hat auch gelernt, sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu bewegen. Sei es am Stammtisch oder beim Dinner mit der Kanzlerin, die am Mittwoch die deutsche Mannschaft besucht hat.

Niersbach bezieht klar Stellung

Doch bei aller Jovialität, die Niersbach ausstrahlt – der DFB-Präsident schreckt auch nicht davor zurück, klar Stellung zu beziehen. Im Gegensatz zu anderen Nationen hat er früh die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine angeprangert. Er hat sich dabei mit seinem Freund Michel Platini angelegt, dem Chef der Uefa – und er hat diesen auch wissen lassen, dass der DFB rein gar nichts davon hält, dass die EM vom Jahr 2016 an nicht mehr mit 16, sondern mit 24 Mannschaften ausgespielt wird: „Da muss man einen Modus spielen, bei dem man eine Logarithmentafel braucht.“Sehr deutlich wehrt sich Niersbach auch gegen die Kritik von Dieter Graumann, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, am Besuch der DFB-Delegation in Auschwitz. Von einer „verpassten Chance“ hat Graumann gesprochen und bemängelt, dass nur drei Nationalspieler dabei waren. Er könne das „nicht verstehen“, sagt Niersbach, er sei „der Überzeugung, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige getan“ zu haben: „Wir wollten ein Zeichen gegen das Vergessen und gegen jede Form von Antisemitismus setzen. Wie man das macht, muss man denen überlassen, die das tun.“

Es gab schon ganz andere Zeiten: Bei der WM 1978 in Argentinien war aus dem deutschen Lager kein Wort zur Militärdiktatur im Gastgeberland zu hören. Stattdessen lud der DFB-Präsident Hermann Neuberger, der damals noch im Mannschaftshotel wohnen durfte, den Nazigeneral Hans-Ulrich Rudel ins Quartier nach Asochinga ein.