The Länd, die Schließung des Metropols und das Riesenrad, Lenk-Denkmal und Baustellenödnis, Volksfestabsage und Stammstreckensperrung: Diese Ereignisse haben die Stuttgarter:innen 2021 ordentlich in Atem gehalten.

Stuttgart – Es war kein leichtes Jahr - mal wieder. Kurz vor Silvester und den bangen Blicken gen 2022 wollen wir noch einmal den Rückspiegel richtig einstellen und rekapitulieren, was die Stuttgarter:innen in diesem Jahr am meisten beschäftigt hat.

 

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Und irgendwie lässt es auf ein eher mittelprächtiges Jahr schließen, wenn das Highlight ein auf dem Schlossplatz seine Runden drehendes Rad ist. Schauen wir also eher auf die Dinge, die uns in diesem Jahr aufgeregt haben. Spoiler: Zur Abwechslung geht es hier nicht um das Überwintern des VfB Stuttgart auf dem Relegationsplatz. Seufz.

The Aufrëger

Also steigen wir gleich richtig dick ein: Das große Thema, das Stadt und Land geteilt hat, ist natürlich die neue Imagekampagne Baden-Württembergs: The Länd. Genialer Coup oder Fremdschämfaktor 100.000?

Die Fronten sind verhärtet. Wir haben den Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant von der Freien Universität Berlin, ein ganz und gar Unparteiischer also, zu der Kampagne befragt.

„Ich finde den Spruch ziemlich geistvoll, sofern er ja an die beiden vorherigen Sprachaktivitäten des Landes anschließt: An ‚Wir können alles außer Hochdeutsch‘ und an Oettingers Spruch vom Englischen als der Arbeitssprache des Landes“, so Trabant. „Wir haben ja alle gesehen, wie herrlich Günther Oettinger Englisch spricht, etwa so wie ‚The Länd‘ klingt. Und schließlich macht sich Baden-Württemberg auch über sich selbst lustig, das ist immer gut: Es stellt sich als eine global ausgerichtete Gegend mit Bezug zur Globalsprache dar und gleichzeitig als eine, die das Englische eben doch ziemlich deutsch behandelt.“

Sein Fazit: „Ich finde The Länd – das Spiel mit den beiden Sprachen – geistvoll und sympathisch. Die Reklame der Berliner Stadtreinigung macht es ähnlich. Einer ihrer witzigsten Sprüche war: We kehr for you.“

The Kinö 

Die Wogen schaukelten sich bedenklich hoch, als das Metropol am 31. Dezember 2020 für immer seine Pforten schloss. Damit verlor Stuttgart nicht nur einen weiteren Ort der Kultur, sondern gleich auch sein Festivalkino, in dem sonst das Trickfilmfestival, das Indische Filmfestival oder die Filmschau Baden-Württemberg zuhause waren.

Und wofür? Für eine Boulderhalle! Nicht mit uns Stuttgarter:innen: Ab Februar 2021 gab es regelmäßige Demos, Kundgebungen und Mahnwachen vor dem Stuttgarter Kulturdenkmal. Viel getan hat sich seither nicht. Eine Boulderhalle entsteht im Alten Bahnhof derzeit aber noch nicht. Der Baunantrag sei „mangelhaft“. Ob man hoffen darf, ist allerdings fraglich. Die Union Investment, mittlerweile Eigentümerin des Gebäudes, will an den Plänen festhalten. Ist schade, wundert uns jetzt aber leider weniger.

The Denkmäl

Man sollte ja meinen, im zweiten Coronajahr 2021 gäbe es weitaus wichtigere Aufreger als ein Denkmal. Aber da haben wir uns anscheinend getäuscht: Die satirische S-21-Protest-Skulptur von Peter Lenk wurde im Herbst 2020 vor dem Stuttgarter Stadtpalais aufgestellt und erhitzte auch in der ersten Hälfte des Jahres eifrig die Gemüter.

Ende Juni 2021 musste die Skulptur weichen – obwohl die Baumaßnahmen vor dem Stadtpalais erst nächstes Jahr beginnen. Wir haben Dr. Torben Giese, den Leiter des Stadtpalais, gefragt: „Die Skulpturengalerie hat gezeigt, wie umstritten der öffentliche Raum als Ort von Erinnerung und Kunst tatsächlich aktuell ist. Im und um den öffentlichen Raum streiten wir uns darüber, woran wir wie erinnern wollen oder auch nicht.“

Nun will Lenk die Skulptur daheim bei sich im Garten aufstellen. Auch nicht schlecht.

Regenbogen am Marienplatz

Wie man den öffentlichen Raum auch gestalten kann, zeigte unterdessen die Aktion #wirsind0711 vom Stadtpalais, das gemeinsame Sache mit der Stuttgarter Künstlerin Sarah Gilgien, der Kolchose und Stuttgarter Bürger:innen machte, und einen riesigen Regenbogen auf den Marienplatz pinselte.

Der Regenbogen war als Zeichen gegen die aus dem Ruder gelaufene Demonstration gedacht, bei der bis zu 15.000 Teilnehmer durch die Stadt zogen und massiv gegen die geltenden Corona-Regeln verstießen. Ein Zeichen dafür, dass Stuttgart weltoffen, tolerant, liberal und verantwortungsbewusst ist – so die Worte von Stadtpalais-Museumsdirektor Torben Giese.

Volksfest-Flaute

Zum zweiten Mal in Folge wurden auch in diesem Jahr die beiden Promille-Umschlagplätze Frühlingsfest und Cannstatter Wasen abgesagt. Sehr zur Freude einiger, die gut auf zwei Wochen vollgekotzte Bahnen und sexuelle Übergriffe in den Zelten verzichten können; aber eben auch sehr zur Trauer von echten Volksfestfreunden, Festwirten und natürlich Schaustellern.

Denen steht das Wasser bis zum Hals, da ändern auch eine Handvoll aufgestellte Fahrgeschäfte auf der Königstraße nichts. Aber hey, dafür hat unser Oberbürgermeister das Riesenrad in der Stadt aufgestellt und so nach Ansicht vieler zum ersten Mal etwas richtig gemacht.

„Das Riesenrad ist ein Symbol der Zuversicht, des Aufbruchs und des Optimismus in Zeiten der Pandemie“, sagte er – und freute sich, dass „das Rad sogar um zehn Meter höher ist als bei unseren bayrischen Freunden auf der Münchner Wiesn.“ Das beliebteste Stuttgarter Fotomotiv kehrt übrigens in einem Jahr auf den Schlossplatz zurück.

The S-Bähn

Im Sommer tauchten plötzlich mysteriöse Zeichen auf den Gehwegen der Innenstadt auf. Guerilla-Marketing für einen neuen Ramen-Spot? Nö, Wegweiser zum Schienenersatzverkehr, weil die ganzen Sommerferien über die Stammstrecke der S-Bahn wegen Sanierungsarbeiten lahmgelegt wurde.

Immerhin keine Dauernachrichten von Verspätungen auf allen Linien. Konkret bedeutete das aber auch: Gerade als Urlaubsreisen wieder möglich waren, kam man nicht mehr mit der S-Bahn aus der City zum Flughafen. Und das Beste: Nächsten Sommer geht das Spielchen weiter. Aber hey, immerhin gibt es jetzt ja die U6.

Mietpreise, Staus, Baustellen und Co.

Hui. Jetzt haben wir es geschafft, einen ganzen Artikel über Aufreger zu schreiben und kein einziges Mal die 376 Baustellen zu erwähnen, die als hässliche und stressige Herrscher über die Schicksale Stuttgarts gebieten. Oder die Mietpreise. Die umnachteten Querdenker. Die Luft. Die gestiegenen Preise auf dem Fernsehturm. Hiermit erledigt.

Und bevor wir es vergessen: Wir finden es immer noch doof, dass die Stadtbibliothek nicht mehr das höchste Gebäude im Europaviertel ist. War ja eigentlich anders ausgemacht, oder?