Die Bauernfamilie Kemmler aus Wankheim Ein Hof-Leben
Schon seit Ewigkeiten sind die Kemmlers Bauern in Wankheim. Wie führt man so einen Betrieb in die Zukunft? Indem die gesamte Familie mitmacht. Hier tummeln sich vier Generationen.
Schon seit Ewigkeiten sind die Kemmlers Bauern in Wankheim. Wie führt man so einen Betrieb in die Zukunft? Indem die gesamte Familie mitmacht. Hier tummeln sich vier Generationen.
Ein Samstagmorgen im Dorf Wankheim. Der Ortsteil von Kusterdingen hat 1600 Einwohner. Außerdem mehrere Hundert Hühner, Dutzende Kühe und Kälber und ein paar Schweine. Die meisten davon leben auf dem Hof der Bauernfamilie Kemmler. Dort herrscht wie jeden Samstagmorgen Hochbetrieb. Vor dem Tresen des Hofladens stehen die Kunden Schlange und begutachten die Vollkornbrötchen, Obstkuchen, Sahnetorten in der langen Vitrine. Viele haben reserviert fürs Frühstück im Hofcafé. Andere decken sich fürs Wochenende mit Gemüse, Eiern und Brot ein. Hinter dem Tresen steht die 32-jährige Juniorchefin Annika Kemmler, klein, schlank, blonder Pferdeschwanz. Zusammen mit ihrer Mutter Helga managt sie Hofladen und Café.
Helga Kemmler, mittlerweile 64 Jahre alt, hat vor 24 Jahren klein angefangen. Die gelernte Hauswirtschafterin für den ländlichen Raum eröffnete einen Laden auf dem Hof, in den sie eingeheiratet hatte. Sie stammt selbst aus einer Bauernfamilie. Drei Kinder im Schul- und Jugendalter hatte sie, als sie den Laden aufmachte. „Das konnte ich gut mit der Familie vereinbaren.“ Zwiebeln, Kartoffeln und Ackersalat aus eigenem Anbau, Eier von den eigenen Hühnern und vor allem die Waren aus der Backstube zogen die Kunden an.
Bald kamen nicht nur die Wankheimer, sondern auch die Leute von den Nachbardörfern. Helga Kemmlers Hefezopf ist berühmt, das Brot, das ihren Namen trägt, ein Verkaufsschlager. Der Andrang wurde größer. Die Kunden wollten mehr. „Ein Nachbar hat sich beschwert, dass es keine Bananen für seine Kinder gibt und er nur deswegen nach Tübingen fahren muss“, erzählt die Pionierin. Also nahm sie auch Obst aus nicht heimischer Produktion ins Sortiment auf. „Wir wurden zum Vollversorger, bei dem man alles kaufen kann, was man so täglich braucht.“ Irgendwann war dann klar: Das Lädle ist zu klein.
Andreas Kemmler, der älteste Sohn, ist der Visionär der Familie. Er sah das Potenzial, das in dem Betrieb steckte. Als sich die Gelegenheit bot, kaufte er neben dem Anwesen der Familie in der Hauptstraße einen weiteren Bauernhof mit großem Grundstück. Die alten Gebäude wurden abgerissen. Ein großer Neubau entstand, den Andreas mit ein wenig Hilfe von Handwerkern größtenteils in Eigenarbeit erstellt hat. Das Gebäude mit großen Glasflächen beherbergt jetzt den neuen Hofladen samt Café. 2015 wurde eröffnet. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass so etwas funktioniert. Ein Café in Wankheim. Da kommt doch niemand“, erzählt Annika Kemmler. Doch Andreas sollte recht behalten: Der Laden wurde zum Anziehungspunkt für die gesamten Härten, wie die Region hier heißt.
Auch aus Tübingen und Reutlingen kommen die Kunden. Und die Festscheune, in die Andreas den alten Schober verwandelt hat, ist eine beliebte Location zum Heiraten. Von März bis Oktober sind jedes Wochenende zwei Feiern.
Die ganze Familie arbeitet im Betrieb mit. Vier Generationen tummeln sich rund um den Hof. Vater Albrecht und Sohn Michael sind die Landwirte. Sie versorgen Dutzende von Milchkühen, ziehen die Kälber auf. Der Stall ist gleich hinter der Festscheune. Die Feiergäste merken davon aber nichts. Nur, wenn sie sich gezielt auf die Suche machen, entdecken sie die Landwirtschaft. Albrecht und Michael bauen Getreide und Gemüse an, sie versorgen die Hühner, die in einem Hühnermobil ein glückliches Leben im Freien führen. Einige Hundert Meter weiter steht die Biogasanlage. Die Kemmlers betreiben sie gemeinsam mit zwei anderen Landwirten.
Andreas Kemmler, mit 41 Jahren der Älteste der Geschwister, ist nicht nur der Baumanager und Sanierer, als Betriebswirt kümmert er sich auch um die Buchhaltung und die gesamte Bürokratie, die ein solcher Betrieb mit sich bringt. Seine Frau Katharina ist für die Vermietung der Festscheune und die acht Ferienwohnungen verantwortlich. Vor allem Hochzeitsgäste nutzen am Wochenende die Übernachtungsmöglichkeit. Unter der Woche wohnen Berufspendler in den Apartments oder Eltern von Kindern, die in der Arche leben, einem Pflegeheim für beatmete Kinder im Nachbarort. Annikas Mann und Michaels Frau haben andere Berufe. Aber auch sie sind am Wochenende stets im Einsatz für den Familienbetrieb.
Uroma Hilde ist eigentlich schon längst im Ruhestand. Doch selbstverständlich hilft auch die 92-Jährige noch täglich mit. „Sie schält die Äpfel für unseren Kuchen, und im Sommer putzt sie die Erdbeeren“, erzählt Annika. Die fünf Urenkel zwischen drei und 14 Jahren, alles Jungen, wachsen auf dem Hof auf. Der älteste, Philipp, hilft manchmal in der Backstube aus. Hannes, der jüngste, ist seit seinem ersten Lebenstag im Laden zu Hause. Mutter Annika hat ihn um 23 Uhr zur Welt gebracht. Am nächsten Tag um 9 Uhr stand sie schon wieder am Verkaufstresen. Hannes war stets dabei, schlummerte im Kinderwagen in der Küche und spielte später in seinem Laufstall, der in einer Ecke des Ladens stand.
Annika selbst ist in den Betrieb hineingewachsen. „Wenn ich von der Schule kam, hab ich meiner Mutter im Laden geholfen“, erzählt sie. Doch als Beruf konnte sie sich das zunächst nicht vorstellen. Sie wollte Grundschullehrerin werden. Nach dem Abitur ging sie zum Studium nach Weingarten. Doch kurz vor dem Abschluss war dann die Eröffnung des neuen Ladens. Das Referendariat konnte die junge Frau nicht mehr machen. Die Arbeit auf dem Hof braucht ihre volle Arbeitskraft. Da gibt es kein Vertun.
Sie ist zuständig für den Zukauf von Obst und Gemüse aus nicht eigener Produktion, die Belieferung von Kindergärten und Schulen, die am Schulobstprogramm des Landes teilnehmen, und für die Organisation des Cafébetriebs. Außerdem bäckt sie die leckeren Obstkuchen, derentwegen viele Kunden ins Café kommen: Rhabarber-, Apfel-, Träubles- und Käsekuchen gibt es täglich. Mutter Helga backt weiter ihr begehrtes Bauernbrot. Hinzugekommen sind viele weitere Sorten: Dinkel-Emmer, Vier-Urkorn, Dinkelvollkorn sowie die Dinkelbrezeln. Sie schlachtet auch die Hühner, wenn sie keine Eier mehr legen oder der Fuchs mal wieder auf der Pirsch ist. Bevor er das Federvieh reißen kann, greift Helga lieber zum Messer. Dann steht auf der Tafel am Eingang: „Heute und morgen frische Suppenhühner“.
Die Torten mit Sahne macht ein Bäckermeister. Ende 60 ist er und kommt täglich für ein paar Stunden in die Backstube. Wie lange er das noch kann, ist ungewiss. „Wir brauchen dringend einen weiteren Bäcker, aber wir finden keinen“, sagt Annika. Ihre Befürchtung: „Wir schaffen das alleine nicht. Dann müssen wir die Öffnungszeiten verkürzen oder vielleicht schließen.“ Auch im Laden geht es nicht ohne zusätzliches Personal. Mehrere Aushilfen und eine Teilzeitangestellte beschäftigen die Kemmlers aktuell. Vor allem an den Samstagen aber müssen auch die anderen Familienmitglieder einspringen. Ohne Annikas Mann, der dann in der Küche steht und das Frühstück vorbereitet, würde es nicht funktionieren.
Neben den Personalproblemen kämpfen die Kemmlers wie alle Landwirte mit der aus ihrer Sicht überbordenden Bürokratie. Deshalb waren Albrecht und Michael mit ihren Traktoren auch bei den jüngsten Bauernprotesten dabei. „Das wird seit Jahren immer schlimmer mit den Anforderungen. Immer wieder kommt noch was dazu, das wir erfüllen sollen“, sagt Helga Kemmler. Doch zum Jammern hat sie eigentlich überhaupt keine Zeit. Morgens um vier Uhr beginnt ihr Arbeitstag und endet oft erst gegen 21 Uhr, wenn sie den Teig für den nächsten Tag vorbereitet. Nur montags herrscht ein wenig Ruhe. Dann hat der Laden zu und sie die Möglichkeit, all das zu erledigen, was so liegen geblieben ist.
Auch Annika Kemmler freut sich auf die Montage. Dann hat sie endlich Zeit für ihren Sohn, der unter der Woche bei der Tagesmutter ist. „Einen Bäckermeister und eine weitere Hilfe für den Laden“, wünscht sich die Juniorchefin. Damit sie künftig wenigstens ein paar Stunden mehr mit ihrem Dreijährigen verbringen kann.