Die Beach Boys planen eine große Tournee und arbeiten damit an ihrem Comeback. Es ging bei ihnen stets um Amerika, nicht ums Surfen.

Stuttgart - Zu den wunderlichen Momenten der Popgeschichte, von denen wir zu gerne ein Ton- oder Bilddokument in die Finger bekämen, zählt die Nacht zwischen den Jahren 1961 und 1962. Genauer gesagt, eine Neujahrssause in Long Beach, Kalifornien, der Ritchie Valens Memorial Dance. Hauptattraktion der Gedächtnisfete für den Chicano-Rocker waren Ike und Tina Turner, damals einer der heißesten Acts im Rhythm & Blues.

 

Auf dem Programm stand auch eine Lokalband aus dem Kaff Hawthorne, eine Teeniecombo, deren bei einem Winzlabel erschienene Debütsingle „Surfin’“ von ein paar Radiodiscjockeys an der Westküste gemocht, aber wohl eher als nette Eintagsfliege angesehen wurde. Ob die Jungs, denen das Label – sie selbst hatten sich The Pendletones getauft – kurzerhand den Namen The Beach Boys verpasst hatte, sich sehr gefürchtet haben?

Der Ritchie Valens Memorial Dance gilt vielen als erstes öffentliches Konzert der Beach Boys, die zu einer der umsatzstärksten Popbands, vor allem aber zur globalen Ikone des angeblich kalifornischen Lebensstils wurden. Einen Auftritt allerdings hatten die Brüder Brian, Dennis und Carl Wilson sowie deren Freunde Mike Love und Al Jardine da schon hinter sich. In einem kleinen Laden waren sie ausgerechnet neben Dick Dale aufgetreten, jenem Gitarristen, der Surfmusik als konsequente Form des Rock ’n’ Roll betrachtete, als Musik für Leute, die nicht vorhatten, sich irgendwann Vaters alte Krawatte umzubinden und in der Firma des Onkels einen Bürojob anzunehmen.

Es gab keinen Mangel an weißen Stars

Die Zeugenaussagen divergieren, ob die Beach Boys wenigstens zwei Stücke zu Ende gespielt haben oder noch früher wieder abzogen. Der Ritchie-Valens-Abend ist deshalb der schönere Starttermin, weil die Beach Boys dort mit afroamerikanischen Künstlern zusammentrafen, deren Musik Brian Wilson, der zwanzigjährige Kopf der Gruppe, sehr schätzte. Was danach die Karriere der Beach Boys beflügelte, war allerdings die Tatsache, dass sich hier ein junges, weißes Amerika zu Wort meldete. Gewiss, es gab keinen Mangel an weißen Stars, die mit Kopien, Verwässerungen oder Adaptionen schwarzer Vorbilder sehr viel mehr Geld verdienten als die Originale.

Aber der Rock ’n’ Roll hatte dem weißen Amerika auch, je nach Hörer, ein Minderwertigkeitsgefühl gebracht oder die Angst, bald von den Typen aus den Ghettos überrannt zu werden. Schwarze Musiker gaben den Ton vor, auch für Elvis Presley. Mit den Beach Boys aber tauchte eine Band auf, die ganz unschuldig, selbstverständlich, frisch ein paar R&B-Elemente so verwässerte, dass es schon wieder eigen klang. Vor allem stellte die Band ihre Light-Variante des Rock ’n’ Roll so zügig auf ihre große Stärke um, den anspruchsvollen Harmoniegesang, dass man ihren Liedern und LPs wie einer Raumeroberung beim Sport folgen konnte.

Die Beach Boys bezogen sich auf weiße Barber-Shop-Gruppen, auf weiße Kirchenchöre, auf die angejazzte weiße Vokalgruppe The Four Freshmen. Und sie ließen das alles so jung klingen, dass das weiße Amerika durchatmen konnte, Motto: „Wir bekommen noch was hin.“ Die Beach Boys waren vom Fleck weg mehr als eine Musikgruppe. Sie waren Botschafter eines Lebensgefühls, Bürgen für die Lebbarkeit eines Traumes, jenem vom spaßbestimmten Westküstenleben. Sie nährten die Illusion, Amerikas Jugend dürfe nun von den erbrachten Leistungen der Väter und Großväter zehren.

Surfen war ein Ausstiegstraum

Surfen, jedenfalls so wie es als Modewelle über die USA der sechziger Jahre schwappte, war ein Ausstiegstraum ohne die Notwendigkeit, den Bruch mit der Mehrheit zu vollziehen. Die Beach Boys waren in ihren Liedern, auf Plattencovern und in Magazingeschichten große Jungs, die endlos Spaß am Strand hatten, als seien nun Sommerferien angebrochen, die nie zu Ende gehen würden. Das Faszinierendste an den Beach Boys ist allerdings die Abrechnung mit den lockeren Träumen, die in der Band selbst steckt. Denn die meisten der Jungs hatten mit Surfen nichts am Hut.

Einzig Dennis Wilson lebte, was er sang. Brian Wilson hatte Angst vor dem Ozean. Hinter den lockeren, lächelnden jungen Männern stand auch ein grimmiger Mann, der sie vorantrieb, Vater Murry Wilson, ein Werkzeughändler und gescheiterter Songschreiber, der sich in den Söhnen verwirklichte. Brian Wilson ist körperlich und seelisch gezeichnet vom Zuhause, von Schlägen fast taub auf einem Ohr, lange tablettensüchtig, im Umgang mit seinen Mitmenschen zeitweise mehr als schwierig. Man könnte die Geschichte der freundlichen Band auch als eine der Rivalitäten und Zerwürfnisse, der Intrigen und weit auseinanderlaufenden Visionen erzählen.

Sie sollten ewig dieselben bleiben

Die Beach Boys haben ihren Surfsound weiterentwickelt. Brian Wilson hat 1966 mit dem Album „Pet Sounds“ vorgemacht, wie sich Popmusik im Zeitalter der Studiotechnik von den Fesseln des Bühnenmöglichen lösen kann. Aber die Beach Boys stießen dabei immer wieder auf den Wunsch der Öffentlichkeit, sie möchten ewig dieselben bleiben – gehegt auch von jenen, die meinen, in ihnen sehr leicht amerikanische Oberflächlichkeit verspotten zu können. Die Band wollte sich diesem Wunsch entziehen. Einzelne Mitglieder haben die Wege und Abwege der amerikanischen Gegenkultur erforscht, östliche Spiritualität, Drogen, Diätfimmel und Sektenkult.

Vor allem Dennis Wilson stand eine Weile Charles Manson nahe, und es war wohl eine knappe Entscheidung, ob der verrückte Sektierer nicht statt Sharon Tate einen der Beach Boys ermorden lassen würde. Die Beach Boys haben alles überstanden, äußere Moden und innere Konflikte, Häme und eigene künstlerische Fehlentscheidungen. Nach längerer Pause haben sie vergangenes Jahr zueinandergefunden, dieses Jahr gehen sie auf eine große Tournee, die auch nach Stuttgart führen wird. Vielleicht wollen sie nicht nur die Konten ein bisschen füllen. Vielleicht haben sie gespürt, dass Amerika sie unbedingt noch einmal sehen und hören will, als Beweis, dass das von Krisen und Spaltungen gezeichnete Land die Leichtigkeit noch nicht verlernt hat.