Als Angela Merkel im Jahr 2008 die schwäbische Hausfrau zur Ikone der deutschen Finanzpolitik erhob, tat sie dies am rechten Ort. „Man hätte die schwäbische Hausfrau fragen sollen“, sagte die damalige Kanzlerin auf einem CDU-Bundesparteitag in Stuttgart. „Sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: ‚Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.‘“
Merkel handelte sich mit dem Bonmot Kritik aus der Fachwelt ein: Die Staatsfinanzen ließen sich nicht mit der Bewirtschaftung der Familienkasse vergleichen, hieß es. Dennoch entwickelte sich der Hausfrauen-Vergleich zum geflügelten Wort, das gerade im Südwesten auf Empfänglichkeit stieß. Dieses Bedürfnis nach Sparsamkeit gründete in historischen Armutserfahrungen – Württemberg war einst ein Land der Wirtschaftsflüchtlinge. Auch die Nähe zur Schweiz spielte eine Rolle. Dort war im Jahr 2003 eine Schuldenbremse etabliert worden.
Schnell werden die Knie weich
Insbesondere die Grünen im Landtag zeigten daran Interesse. Aber auch die CDU war an dem Thema dran. Christdemokraten setzen sich traditionell mit starker Rhetorik für ausgeglichene Staatshaushalte ein; allerdings werden ihnen schnell die Knie weich, wenn es ans Kürzen von Zuwendungen geht, die der eigenen Wählerschaft lieb sind.
Als Befürworter der Schuldenbremse erwies sich Günther Oettinger (CDU), Ministerpräsident Baden-Württembergs von 2005 bis 2010. In seine Regierungszeit fällt der nach Jahrzehnten der Verschuldung erste ausgeglichene Landesetat. Ende 2006 wurde in Berlin die zweite Föderalismuskommission eingesetzt. Oettinger übernahm gemeinsam mit dem SPD-Fraktionschef im Bundestag, Peter Struck, den Vorsitz der „Föko“. Diese setzte sich die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zum Ziel. Der Südwesten war in der Kommission stark vertreten. Als Abgesandter der Grünen in den deutschen Landesparlamenten nahm Winfried Kretschmann an den Beratungen teil, die SPD entsandte Wolfgang Drexler. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher wirkte als Vizevorsitzender der Kommission. Fritz Kuhn vertrat die Grünen-Fraktion im Bundestag.
In Finanzfragen ticken die Südwest-Grünen anders als ihre Schwestern und Brüder im Bund. „Wir haben Nachhaltigkeit immer schon nicht nur ökologisch, sondern auch finanzpolitisch verstanden“, sagt Ralph Bürk, damals finanzpolitischer Berater der Landtagsfraktion. „Die grüne Bundestagsfraktion beobachtete uns argwöhnisch, weil es dort viele Ideen gab, wofür man Geld ausgeben konnte.“ Umso besser klappte die Zusammenarbeit mit Oettinger und Drexler. Man habe an einem Strang gezogen, sagt Kretschmann im Rückblick. Seit 2011 ist er Ministerpräsident. In seiner Amtszeit wurde die Schuldenbremse zunächst einfachgesetzlich in der Landeshaushaltsordnung verankert und im Mai 2020 in die Verfassung geschrieben. Kretschmann sagt, es sei darum gegangen, die Staatsverschuldung zu begrenzen, um den Spielraum für Gestaltung zu bewahren. Kredite gebe es nicht umsonst, sagt er. „Schulden muss man kaufen.“ Das werde jetzt in Zeiten steigender Zinsen erneut zum Problem.
Als Oettingers Sherpa in der Föderalismuskommission fungierte Michael Kleiner, heute Ministerialdirektor und Amtschef im CDU-geführten Wirtschaftsministerium. Er berichtet, der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers habe der „Föko“ nach zwischenzeitlicher Ermüdung neuen Schub gegeben. Banken mussten mit gigantischen Staatskrediten gestützt werden. „Die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen stand infrage“, sagt Kleiner. Mit der Schuldenbremse sollte „ein Signal der Verlässlichkeit und der Seriosität“ an die Bevölkerung und an die Finanzmärkte gesendet werden.
Der Trick der grün-schwarzen Landesregierung
Im September 2014 entstand ein ikonografisches Foto, als der damalige Finanzminister Nils Schmid (SPD) vor dem Stuttgarter Neuen Schloss mit einer mannshohen schwarzen Null posierte. In den Jahren von 2015 bis zum Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 legte die Landesregierung ausgeglichene Haushalte vor. Dies lag allerdings nicht an einer sparsamen Haushaltsführung der seit 2016 grün-schwarz gefärbten Landesregierung, sondern an den unablässig sprudelnden Steuereinnahmen. Zugleich sanken aufgrund der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank die Kosten bei Restrukturierung von Altkrediten.
Trotz dieser günstigen Umstände griff die Landesregierung bei der Finanzierung ihrer Haushalte zu einem Trick. Aufgrund einer Übergangsregelung zur Schuldenbremse in der Landeshaushaltsordnung hätte sie Schulden tilgen müssen. Das tat sie, allerdings nicht in bar. Stattdessen erklärte sie frech die Instandsetzung von Straßen und anderer Infrastruktur zur Tilgung von „impliziten Schulden“. Als dann Anfang 2020 die Schuldenbremse in Kraft trat, brach die Pandemie aus – und die Landesregierung rief den Notstand aus, um sich mit Milliardenkrediten einzudecken. Zu Beginn der Pandemie hatte das Land 45 Milliarden Euro Schulden, Ende 2022 waren es knapp 59 Milliarden Euro. Allein die Tilgung der Notkredite beansprucht den Landesetat ab 2024 auf 23 Jahre mit 325 Millionen Euro pro anno.