Sie war die mächtigste First Lady in der US-Geschichte. Dann wollte Hillary Clinton selbst Präsidentin werden und verlor gegen Barack Obama. Nun steht die Demokratin erneut auf der Schwelle zu einer Kandidatur und schürt Ängste ebenso wie Hoffnungen.

Washington - In Hillary Clintons Domizil in Washington herrscht Ordnung. Das weiß der aufmerksame Fernsehzuschauer in Amerika seit Montagabend. Die Bücher auf dem Sofatisch sind so angerichtet, als habe sich ein überpenibler Bibliothekar ans Werk gemacht. Auf den Familienfotos ist kein Stäubchen zu sehen. Die Vorhänge an den Fenstern werfen Falten wie im Katalog. Der taubenblaue Hosenanzug der Interviewpartnerin sitzt wie angegossen. Doch Diane Sawyer tut trotzdem so, als sei sie spontan zu Besuch gekommen. Die Journalistin des US-Senders ABC will ihr Interview mit der früheren US-Außenministerin so gut wie möglich verkaufen. Und Hillary Clinton macht bereitwillig mit. Sie hat schließlich auch etwas anzubieten – ihr neues Buch.

 

Das vorab aufgezeichnete Interview ist der offizielle Auftakt zur großen Hillary-Clinton-Show, die Amerika aus dem Sommerschlaf des Jahres 2014 reißen soll. In den nächsten Wochen wird die 66 Jahre alte Frau praktisch pausenlos im Land unterwegs sein, um für ihr Buch zu werben – und auf sich aufmerksam zu machen als mögliche Präsidentschaftskandidatin für das Jahr 2016. So geben Clinton und Sawyer an diesem Abend ein kleines Fernsehspiel. Ein verfilmtes Tänzeln um eine Antwort, die es noch nicht geben wird. 

500 Dollar Eintritt zu Clintons Lesung

Clintons Lesetour beginnt diese Woche in New York, geht über Los Angeles und Washington, wo Clinton in einem Einkaufszentrum in der Nähe des US-Verteidigungsministeriums einen Stopp macht, wieder an die Westküste und wieder zurück. Die meisten Veranstaltungen sind schon ausverkauft, Eintrittskarten werden schon auf dem Schwarzmarkt gehandelt. 500 Dollar muss bezahlen, wer an Hillary Clintons Lesung im texanischen Austin teilnehmen will. Zwei Millionen Bücher sollen vorbestellt sein. Alle wollen Hillary – die Frau, die noch nicht einmal gesagt, ob sie Präsidentin werden will. Doch nur noch die wenigsten glauben, dass sie sich noch trauen wird und kann, nicht zu wollen.

Hillary Clinton zeigt sich volksnah. Foto: AP

Dafür ist zu viel geschehen in den vergangenen Monaten. Nur für kurze Zeit hat sich Hillary Clinton nach dem Ausscheiden aus dem US-Außenministerium vor knapp anderthalb Jahren aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Spätestens seit vergangenem Winter ist sie wieder da und nutzt die geschickt gesteuerte Aufregung um ihre Memoiren „Hard Choices“, die jetzt auch auf Deutsch erschienen sind, für einen Testlauf der besonderen Art.

Jede Rede, die sich die frühere Außenministerin angeblich mit bis zu 200 000 Dollar bezahlen lässt, wird vor allem danach bewertet, ob sich darin ein Hinweis finden lässt, dass Hillary Clinton in zwei Jahren für die Demokraten ins Weiße Haus einziehen will. War da nicht so etwas zu hören am Montag vergangener Woche, als Hillary Clinton in Denver auftrat? Als sie am Ende ihrer Rede gleichsam wie eine Wahlkämpferin ins Publikum blickte und sagte, man möge ihr dabei helfen, ein paar harte Entscheidungen für Amerika zu treffen. War das nicht auch so vor ein paar Wochen, als sie in Washington sprach? Als sie – irgendwie nebenbei, aber doch deutlich – eine Wirtschaftspolitik skizzierte, wie sie eine Präsidentin Hillary Clinton machen könnte. War der hypothetisch formulierte Satz, dass sie hoffe, noch eine Präsidentin im Weißen Haus erleben zu dürfen, nicht in Wirklichkeit auf sie selbst bezogen?

Viel sprechen, wenig verraten

Und jetzt auch noch das Interview mit Diane Sawyer, das über weite Strecken klingt wie eine Plauderei unter Freundinnen. Hillary Clinton spricht viel, aber verrät nichts. Sie ist schließlich seit mehr als 20 Jahren im politischen Geschäft. Wichtig ist nur, die Spannung aufrechtzuerhalten. Also sagt Clinton Sachen wie: „Ich werde entscheiden, wenn ich das Gefühl habe, dass es richtig für mich ist, eine Entscheidung zu treffen.“ Keinesfalls vor Ende des Jahres – und dabei lacht Clinton ein Lachen, das sich fast

Sogar ihre Frisur zu Jahresbeginn, ein Pony, sorgte für nationale Aufregung. Foto: EPA
überschlägt.

Damit kann Sean England leben. Der schmale Mann sagt, Hillary werde schon wissen, was sie mache. England arbeitet in einem Bürogebäude in Arlington, von Washington und dem Weißen Haus nur durch den Potomac River getrennt. Er habe Hillary Clinton vor ein paar Jahren zum ersten Mal erlebt, als sie noch Senatorin für den US-Bundesstaat New York war und er Schüler an einer High School in Buffalo. Hillary, wie sie allgemein nur genannt wird, sei nach einem gewaltigen Sturm an seine Schule gekommen. Sie habe Bäume gepflanzt und ihn überzeugt, dass sie nicht nur von Hilfe sprechen, sondern sie auch leisten wolle. „Das war eine große Sache“, sagt Sean England.

Heute ist Sean England, obwohl erst 23 Jahre alt, schon ein hartgesottener Hilleryaner. Er arbeitet seit Jahresanfang beim Spendensammelverein „Ready for Hillary“ („Bereit für Hillary“).  England und Kollegen  verschicken Zehntausende von E-Mails, bitten um Geld und verkaufen Vorwahlkampf-Devotionalien. Das Hundehalsband mit der Aufschrift „Ready for Hillary“ kostet in Anlehnung an das Wahljahr 2016 genau 20,16 US-Dollar, den Sticker mit der Losung „Ich bin bereit für Hillary“ gibt es für vier Dollar. Das Geschäft laufe hervorragend, sagt Sean England.

Ein Wahlkampfapparat, der schon existiert, noch bevor überhaupt die Wahlkämpferin feststeht – das habe es noch nicht gegeben, sagt Sean England. Aber Hillary Clinton sei eben etwas Besonderes.

Energisch die Karriere des Ehemannes vorangetrieben

Hillary Clinton ist in der Tat eine Ausnahmeerscheinung im Politikbetrieb der ältesten Demokratie der Welt. An der Seite ihres Mannes Bill, dessen Karriere sie seit den 70er Jahren energisch vorantrieb, war Hillary Rodham Clinton acht Jahre lang die First Lady im Weißen Haus. Die Anwältin unterhielt dort einen Arbeitsstab mit 20 Leuten, der „Hillaryland“ genannt wurde. Dort hatte sie, obwohl das Gesetz der First Lady eine aktive Rolle in der US-Regierung verbietet, Gelegenheit, politische Pläne zu entwerfen. Darunter war etwa eine Gesundheitsreform, die in der Regierungszeit Bill Clintons niemals zu einem Gesetz wurde, auf die aber Clintons Nachnachfolger Barack Obama zurückgriff.

Clinton und Merkel gelten seit Jahren als mächtigste Frauen der Welt. Foto: dpa

Nach dem Auszug aus dem Weißen Haus bewarb sich Hillary Clinton um einen Senatorenposten für den Bundesstaat New York, wurde einmal wiedergewählt. In den Präsidentschaftsvorwahlen des Jahres 2008 unterlag sie dem unbekannten Senator Barack Obama und wurde schließlich in dessen erster Amtszeit Außenministerin. Eine Karriere, wie sie noch keine vormalige First Lady der USA jemals gemacht hat.

Aus der Frau an Bill Clintons Seite, deren Loyalität zu ihrem Mann selbst dessen Verhältnis zu Monica Lewinsky nichts anhaben konnte, wurde die Frau an Obamas Seite, deren Loyalität zu ihm ebenfalls nicht zu erschüttern war. Obama und sie seien sogar Freunde geworden, schreibt Hillary Clinton in ihrem neuen Buch. Der Präsident habe sie einmal in Prag während einer Veranstaltung zur Seite genommen. Während die Außenministerin noch dachte, Obama müsse ihr etwas Ernsthaftes mitteilen, flüsterte ihr Obama ins Ohr: „Du hast da was in den Zähnen.“ Clinton schreibt, so etwas könne nur ein Freund sagen: „Das war ein Zeichen, dass wir uns gegenseitig helfen würden.“

In ihrer Autobiografie „Hard Choices“ beschreibt sich Hillary Clinton als US-Außenministerin so, wie sie sich sieht   – als bedachte Politikerin, die einerseits klipp und klar US-Interessen vertritt, aber andererseits einen weicheren Stil in die Außenpolitik eingeführt hat. Doch das Buch wird von politischen Kommentatoren in den USA auch als eine Art Handlungsanleitung für eine Präsidentin Clinton interpretiert.

Beliebt beim Volk

Die „New York Times“ spricht von einem „staatsmännischen Werk“. Clinton räumt ein, Fehler gemacht zu haben. Da wäre etwa der Irakkrieg des Jahres 2003. Dem hat Hillary Clinton erst aus Überzeugung zugestimmt. Erst heute aber sagt sie, sie bereue ihr damaliges Ja. Daraus leiten die außenpolitischen Auguren in Washington ab: Hillary Clinton wäre, wenn sie denn Präsidentin würde, kein Täubchen, aber auch keine Interventionspolitikerin.

Ein Powerpaar: Sie hat ihm geholfen, er hilft ihr. Foto: REUTERS POOL

Vor allem aber scheint Hillary Clinton im Volk beliebt zu sein. In Umfragen liegt sie regelmäßig weit vor anderen möglichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Und auch aus der Riege der republikanischen Möchtegern-Präsidenten scheint sie derzeit niemand gefährden zu können.

Das mag der Grund sein, warum die Konservativen Angst vor Clinton haben. Da gibt es etwa Karl Rove, einen gewieften Wahlkampfstrategen der Republikaner und Großmeister der Intrige. Der macht Mitte Mai etwas, was sich im Nachhinein als grober Fehler herausstellt. Rove stellt die Gesundheit Clintons infrage, die Ende 2012 ins Krankenhaus musste, weil sich nach einem Sturz ein Blutgerinnsel in ihrem Kopf gebildet hatte.

Solche persönlichen Attacken sind in jedem US-Wahlkampf üblich. So früh kommen sie aber selten. Die „New York Post“ schreibt, Rove habe erst gesagt: „30 Tage im Krankenhaus?“ Zwar waren es nur drei Tage, aber das muss ja niemand wissen. Dann wird Rove mit dem Satz zitiert: „Und als sie wieder auftaucht, trägt sie eine Brille, die normalerweise Leute tragen, die eine Gehirnverletzung haben? Wir müssen wissen, was es damit auf sich hat.“

Im Herbst erstmals Großmutter

Die Attacke geht ins Leere. Bis auf ein paar fanatische Rechtsausleger kümmert sich niemand um die Sache, die Mehrheit der Amerikaner findet sie ohnehin degoutant.  Ehemann Bill Clinton bemerkt trotzdem, seine Frau sei besser in Schuss als er selbst: „Sie macht jede Woche Sport, sie ist stark, ihr geht es toll.“   Hillary Clinton lässt die Geschichte verbreiten, dass sie am ersten Tag nach ihrem Ausscheiden aus dem Außenministerium schon um sieben Uhr morgens Bekannte angerufen und gesagt habe: „Okay, ich bin ausgeruht.“ Und das nach vier Jahren als Außenministerin mit Besuchen in 112 Staaten und einem Jetlag, der niemals aufhörte.

Die jetzt beginnende Lesereise, die sehr eng getaktet ist, ist ein weiteres Zeichen: Hillary Clinton, die im Herbst erstmals Großmutter wird, will zeigen, dass sie es kann. Auch wenn sie bei der Wahl 2016 schon 69 Jahre alt sein wird. Nur Ronald Reagan war älter.