In Adolf Manns Einheit wird erstmals in der Geschichte des Kriegs Giftgas eingesetzt. Der junge Soldat gibt sich keinen Illusionen über dessen tödliche Wirkung hin. Zeitzeugen beschreiben, wie sie einen Gasangriff erleben.

Stuttgart - Im Frühjahr 1915 geht nichts mehr voran. In Flandern haben sich englische und französische Truppen auf der einen und deutsche Truppen auf der anderen Seite in Schützengräben eingerichtet. Wer an der Front einen Durchbruch erzielen will, steht vor einem kaum zu überwindenden Bollwerk – die Angreifer müssen über Stacheldraht klettern und sie sind beim Vormarsch dem Feuer der feindlichen Maschinengewehre beinahe schutzlos ausgeliefert. Entlang der Westfront tobt ein blutiger Stellungskrieg, der den angreifenden Truppen kaum eine Chance lässt, die Verteidigung zu bezwingen.

 

Doch im März 1915 machen unter den deutschen Soldaten in Belgien Gerüchte die Runde, die sich für Adolf Mann schnell zur Gewissheit verdichten. Er schreibt seiner Daisy: „Bei uns soll nämlich zum ersten Mal ein auf dem Truppenübungsplatz Wahn ausprobiertes Mittel angewandt werden.“ Dieses Mittel werde lediglich bei seiner Division versucht. Ungewollt wird Adolf Mann Zeuge, wie erstmals in der Geschichte in einem Krieg Giftgas eingesetzt werden soll. Die Anspannung unter seinen Kameraden ist groß, die moralischen Bedenken bei einigen Soldaten sind es auch. Er würde es für ein sehr gutes Mittel halten, schreibt Adolf Mann, wenn es die Gegner lediglich betäuben würde. Doch der Mathematiklehrer, der sich auch in der Chemie auskennt, gibt sich keinen Illusionen hin: Bei einer Übung mit Giftgas sei das Vieh im Umkreis von einem Kilometer verendet. Es muss ihm klar sein, was diese neue Waffe bewirkt.

Eine leise und tödliche Waffe

Der lautlose Tod ist ein Forschungsprodukt aus Deutschland. Bereits 1913 war Fritz Haber, einem Fachmann für organische Chemie, ein Durchbruch gelungen, der es künftig möglich machen würde, Gas auch an der Front einzusetzen. Im Oktober 1914 trafen sich daraufhin Offiziere, Forscher und Industrielle – unter ihnen auch Carl Duisberg, der Generaldirektor von Bayer. Nach einigen Fehlschlägen bei Tests schlug ein Chemiker einen neuen technischen Ansatz vor: Die deutschen Soldaten sollten mit Luftdruckzylindern Chlorgaswolken abblasen, die dann vom Wind in die feindlichen Schützengräben hineingeweht werden. Der Stacheldraht, die Wälle und die Schützengräben würden niemand in den gegnerischen Linien vor dieser lautlosen und tödlichen Waffe schützen.

Ende März 1915 schreibt Adolf Mann nach Stuttgart, er schildert einen nächtlichen Alarm: „Abends um 8 h kam der vorbereitende Befehl: Sturmgepäck, Flaschen etc., alles wurde vorbereitet.“ Doch dann dreht der Wind, und der Angriff wird verschoben. Er kommt am späten Nachmittag des 22. April. Die französische Historikerin Anne Duménil schildert in dem Buch „Der Erste Weltkrieg – Eine europäische Katastrophe“, was an diesem Tag in der Ortschaft Langemarck, unweit von Ypern, geschieht: Deutsche Truppen blasen an einem sechs Kilometer langen Frontabschnitt Chlorgas in die Luft. Während die Franzosen fluchtartig ihre Stellungen verlassen, rücken deutsche Infanteristen nach, die sich mit primitiven Gasmasken schützen.