Vor dem Rennen am Sonntag in Silverstone führt Fernando Alonso die WM-Wertung an. Dabei hat der Spanier mit seinem Ferrari nicht das beste Auto zur Verfügung.

Silverstone - Es ist eine beliebte Frage in Fachmagazinen: Wer ist der beste Fahrer der Formel 1? Sie kehrt alle Jahre in der Saure-Gurken-Zeit wieder. Jetzt wird sie vor dem Rennen am Sonntag (14 Uhr/RTL) in Silverstone heiß diskutiert. Die Formel-1-Gemeinde ist sich ja selten einig, doch diesmal gibt es kaum Widerspruch. Fernando Alonso ist der Beste. Der 30-jährige Spanier genießt in Fachkreisen einen exzellenten Ruf – solange er im Auto sitzt.

 

Charakterlich sagt man dem Weltmeister von 2005 und 2006 Egoismus und eine gewisse Rücksichtslosigkeit nach. Ein Kollege drückte es einmal so aus. „Wenn du allen Fahrern eine Pistole in die Hand gibst, dann überlegen 23 noch, ob sie abdrücken sollen. Alonso hat da schon längst geschossen.“ Darauf angesprochen meint Nico Hülkenberg: „Vielleicht musst du so sein, wenn du auf diesem Niveau fahren willst.“

Hülkenberg ist ein Fan des Ferrari-Piloten. „Unglaublich, was der Kerl aufführt. Er macht praktisch keine Fehler, er hat praktisch keine Formschwankungen. Und er hat immer den totalen Überblick über das Renngeschehen.“ Auch Timo Glock zeigt sich beeindruckt: „Fernando Alonso ist der Beste. Keiner sonst würde mit diesem Ferrari die Weltmeisterschaft anführen.“ Der Mercedes-Teamchef Ross Brawn bringt Alonsos Leistungen auf einen einfachen Nenner: „Der Ferrari ist nicht das beste Auto im Feld. Trotzdem liegt Alonso vorn. Also macht er den besten Job.“

Nach den Wintertestfahrten wurde Ferrari verspottet. Der neue F2012 war ein Flop. Die Pessimisten malten bereits eine weitere Pleitensaison an die Wand. Der Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo forderte von seinen Ingenieuren Antworten. Beim Saisonauftakt schien sich zunächst das Bild der Testfahrten fortzusetzen. Beim Versuch in die Top Ten der Startaufstellung vorzudringen, flog Alonso von der Bahn – was ihm selten passiert. Als er im Rennen auf Platz fünf landete, sprach selbst er von einem „kleinen Wunder“.

Eine Woche später passierte das große Wunder. Alonso gewann in Malaysia. Man schrieb den Sieg dem Regen zu und seinen Fahrkünsten. Nach acht Rennen führt er die WM an, mit einem komfortablen Vorsprung von 20 Punkten. Der F2012 ist inzwischen ein ordentliches Rennauto geworden. „Nicht das beste, aber der beste Durchschnitt“, urteilt Ross Brawn. Auch der WM-Spitzenreiter ist überrascht, dass er oben in der Wertung steht. „Ich muss mit dem Punktestand zufrieden sein. Mit der Leistung des Autos bin ich es nicht ganz.“

Es zählt zu Alonsos Stärken, dass er die Situation ungeschminkt beurteilen kann. Er lügt sich nicht in die Tasche. Wenn etwas schlecht ist, redet er nicht um den heißen Brei herum. Wenn er mit Glück gewinnt, versucht er daraus nicht eine Trendwende abzuleiten. Er ist Ferraris Matchwinner.

Intern sagen sie: „Er ist unser heimlicher Chef. Fernandos Position im Team ist mit der von Michael Schumacher vor zehn Jahren zu vergleichen.“ Alonso motiviert. In diesem Jahr liefert die Ferrari-Truppe die schnellsten Boxenstopps ab. Im vergangenen Jahr lag die Crew in dieser Disziplin noch im Mittelfeld. „Wenn du einen Fahrer wie Fernando hast, gibt jeder im Team sein Bestes. Keiner will sich nachsagen lassen, dass er schuld an der Niederlage ist“, erzählt einer aus dem Rennstall.

Auch die Ingenieure haben das Ruder herumgeworfen. Alonso lobt sein Team, das sich in schwieriger Lage aus dem Sumpf gezogen hat. Und er sieht keinen Grund, warum man an einer Fortsetzung des Aufwärtstrends zweifeln sollte. „Die positive Erkenntnis ist, dass wir unserem Windkanal wieder trauen können. In den letzten zwei Jahren war das nicht immer der Fall.“

Diese WM wird über die Konstanz entschieden, der Blick in die aktuelle Tabelle lässt das bereits vermuten. In Alonsos Zeile steht bei allen acht Rennen eine Zahl – eine Zahl für WM-Punkte.