Nach der Chemie-Katastrophe Die Jagst erholt sich

Vor neun Monaten ist kontaminiertes Löschwasser in die Jagst geflossen. Annähernd 20 Tonnen tote Fische waren die Folge.
Kirchberg/Jagst - D
ie Kirschen- und Birnenbäume stehen in voller Blüte, die Wiesen in saftigem Grün, munter plätschert der Fluss dahin: Das Jagsttal ist Idylle pur. Kaum vorstellbar, dass hier vor bald neun Monaten eine ökologische Katastrophe nahezu alles Leben in der Jagst ausgelöscht hat. Am 23. August 2015 war bei einem Großbrand der Lobenhausener Mühle bei Kirchberg/Jagst (Kreis Schwäbisch Hall) mit Ammoniumnitrat kontaminiertes Löschwasser ausgetreten. Vor rund einem Monat teilte dann die Staatsanwaltschaft Ellwangen mit, dass sie gegen einen 21-jährigen Mann wegen des Verdachts der fahrlässigen Brandstiftung ermittelt. Sie wirft ihm vor, im Umfeld der Mühle Abfall verbrannt zu haben. Der Funkenflug habe die Mühle in Brand gesetzt.
Rund 20 Tonnen tote Fische
In den Tagen nach dem Großbrand wurden annähernd 20 Tonnen tote Fische aus dem Fluss geborgen. Inzwischen ist das Aktionsprogramm Jagst von Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) angelaufen. Zunächst soll der Flusslauf zwischen Langenburg und Crailsheim noch natürlicher gestaltet werden als bisher: Zeit für einen Ortstermin in Oberregenbach bei Langenburg.
Der Regierungspräsident Johannes Schmalzl führt, begleitet von Experten seiner Behörde, an der Jagst entlang. Von Dezember 2015 bis März hat das Regierungspräsidium im Fluss und am Ufer sogenannte Strukturverbesserungen gemacht. Die Eingriffe sind für Laien kaum zu erkennen und sollen doch die „Selbstreinigungsfähigkeit des Flusses“ maßgeblich verbessern. An einer Stelle ist ein Altarm als Ruhezone und Laichplatz – „die Kita der Fischwelt“ (Schmalzl) – ausgebaggert worden. Der so gewonnene Kies ist an anderer Stelle zu einer Insel in der Flussmitte aufgeschüttet worden; hier können Barben und Nasen, die wichtigsten Jagst-Fische, ihren Laich ablegen. Eine abgestorbene Weide an der Altarm-Mündung zum Flusslauf, Totholz genannt, verhindert, dass später Sand und Kies hineingespült werden. Störsteine im Flusslauf verbessern den natürlichen Sauerstoffeintrag und sorgen dafür, dass die Strömungsgeschwindigkeit der Jagst variiert. An anderer Stelle ist ein harter Uferverbau entfernt worden, damit sich der Fluss ausdehnen kann. „Mit solchen Unglücksfällen können wir umgehen, wenn alle ihren Sachverstand einbringen“, betont der Regierungspräsident. Und will damit wohl sagen: Jetzt sind Experten am Werk, die den geschädigten Flusses wiederherstellen sollen.
Nabu: Maßnahmen sind überfällig
„Es ist traurig, dass es so eine Katastrophe braucht, damit solche sinnvollen und überfälligen Maßnahmen durchgeführt werden“, sagt Bruno Fischer, der Nabu-Vorsitzende von Kirchberg. Überfällig, weil sie im Rahmen einer EU-Richtlinie ohnehin auf der Agenda gestanden hätten. Die Zusammenarbeit mit den Experten vom Regierungspräsidium sei aber gut, sagt er, viele Vorschläge der Fischer seien aufgenommen worden. Für seinen Jagstabschnitt, der direkt unterhalb der Lobenhausener Mühle liegt, sieht er aber noch kein Licht am Ende des Tunnels: „Bei uns ist alles tot.“ Bis sich hier wieder Leben rege, werde es „lange, sehr lange“ dauern.
Beim ersten Monitoring im September 2015 waren bei den Fischen, die trotz der Giftfahne überlebten, starke Schädigungen der Kiemen und Parasitenbefall festgestellt worden. Wie es jetzt um sie bestellt ist, soll ein zweites Monitoring klären. „Heute haben wir begonnen, Fische zu fangen“, bestätigt Alexander Brinker, Leiter der Landes-Fischereiforschungsstelle in Langenargen. In einigen Wochen würden die Untersuchungsergebnisse vorliegen. Ende Juni wird mit dem Umsetzen von „Spenderpopulationen“ aus nicht geschädigten Jagstabschnitten und seinen Zuflüssen begonnen. 13 Fischereivereine sind bei der Aktion dabei.
Mühlenbesitzer sind von den Plänen nicht begeistert
Bisher sind lediglich 100 000 Euro der von Umweltminister Untersteller in Aussicht gestellten 14 Millionen Euro eingesetzt worden. Die dicksten Brocken müssen freilich noch weggeräumt werden: Die Wehre an den Jagstmühlen verhindern die Durchgängigkeit des Gewässers, die eine Voraussetzung für Artenvielfalt ist. Die Mühlenbesitzer hätten, so heißt es, bereits Post vom Landratsamt bekommen und seien über die Pläne gar nicht erfreut.
22. August 2015
In Kirchberg (Kreis Schwäbisch Hall) brennt die Lobenhausener Mühle. Bei den Löscharbeiten fließt mit Ammoniumnitrat kontaminiertes Wasser in die Jagst und löst eine ökologische Katastrophe aus.
23. August 2015
Im oberen Flusslauf, unterhalb der Brandstelle, beginnt ein Fischsterben bisher unbekannten Ausmaßes. Die Fischereivereine bergen Tausende Kadaver aus dem naturnahen Gewässer. Am 26. August erreicht die Giftfahne den Hohenlohekreis.
Ein Feuer und die fatalen Folgen
28. August 2015
Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) und Agrarminister Alexander Bonde (Grüne) sichern Unterstützung zu. Drei Tage später erreicht das kontaminierte Jagstwasser den Kreis Heilbronn.
8. September 2015
Der letzte Rest der Giftfahne ist in den Neckar abgeflossen und dort verdünnt worden. Die Kosten für den Jagst-Einsatz addieren sich auf rund 3,5 Millionen Euro.
5. Oktober 2015
Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz in Karlsruhe, die Fischereiforschungsstelle in Langenargen und das Regierungspräsidium Stuttgart legen eine vorläufige Abschätzung der ökologischen Auswirkung vor. Der Fischbestand wurde unterhalb der Lobenhausener Mühle auf einer Strecke von zehn Kilometern nahezu ausgelöscht. Nach dem Großbrand wurden fast 20 Tonnen Fische tot aus der Jagst geborgen. Bis 45 Kilometer unterhalb des Brandorts wiesen auch überlebende Fische geschädigte Kiemen auf.
November 2015
Der Landesbetrieb Gewässer beginnt mit der Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur.
3. Februar 2016
Umweltminister Untersteller (Grüne) stellt das Aktionsprogramm Jagst vor. Das Land investiert 14 Millionen Euro.
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