Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Während sie so beisammensitzen, klingelt das Telefon. „Ob das die Neuen sind?“ Am Tag zuvor traf Vera Nkenyi Ayemle im Supermarkt vier Afrikaner, die gerade angekommen waren. Das erkannte sie an den Produkten in ihren Einkaufswagen: einzelne Zwiebeln statt des günstigeren Kilosacks, teure Markenprodukte, Bio-Eier. „Als dann einer der Männer an der Kasse nach einer Prepaid-Karte im Wert von fünf Euro fragte, war mir alles klar“, sagt Nkenyi Ayemle. Sie lud sie in den Schelztorturm ein. Jetzt stehen sie am Esslinger Bahnhof und fragen nach dem Weg. „Kebba“, sagt Vera, „ein paar deiner Brüder sind hier. Tu mir bitte den Gefallen und hole sie ab.“

 

Kurz darauf ist das Büro voller junger Männer. Jeder begrüßt jeden, eine halbe Ewigkeit vergeht. Sie sprechen Pidgin-Englisch miteinander, einen Dialekt mit stark vereinfachter Grammatik. Das verstehen alle. Vera Nkenyi Ayemle räuspert sich und erhebt die Stimme. „Das Erste, was ihr wissen müsst: in diesem Land sind wir nicht Eritreer, Gambier, Kameruner oder Somalier. Wir sind hier einfach Afrikaner! Und deshalb müssen wir zusammenhalten.“ Die Männer nicken stumm. Sie hängen an ihren Lippen. Zum ersten Mal spricht jemand zu ihnen, der weiß, wo sie herkommen und wo sie hinwollen.

Nkenyi Ayemle erzählt Geschichten von anderen Afrikanern, die Mut machen. Sie machen heute Ausbildungen oder arbeiten, haben Familien, bleiben. Dann zeigt sie ihre fünf Finger: „Jeder von euch ist anders, wie diese Finger. Wenn dein Nachbar den ganzen Tag schläft, musst du nicht auch schlafen. Wenn dein Nachbar sein Geld für teure Kleider ausgibt, musst du das nicht nachmachen. Spare es für deine Ziele. Jeder von euch hat Ziele, oder? Vergesst nie, warum ihr hierhergekommen seid.“

„Fragt jeden Deutschen, was ihr für das Land tun könnt“

Dann geht sie ins Detail. „Kopiert dieses Dokument“, sagt sie und zeigt auf ein Formular, das jeder von ihnen mit sich herumträgt. „Da steht drauf, seit wann ihr in Deutschland seid. Wenn ihr irgendwann Ausweise bekommt, nehmen sie es euch ab. Ohne Kopie könnt ihr dann nicht mehr belegen, seit wann ihr wirklich in Deutschland seid. Ihr verliert Monate.“ Sie spricht über den rechtlichen Status von Gambia und Somalia. „Für eure Länder gibt es keine klare Regelung. Darum lernt Deutsch, macht eine Ausbildung, engagiert euch, fragt jeden Deutschen, dem ihr begegnet, was ihr für das Land tun könnt. Wenn ihr nur auf die Behörden wartet, werdet ihr krank.“ Einer der Männer sagt, er wolle sofort anfangen mit Deutschlernen. Sein Nebensitzer zeigt ihm sein Handy: Er habe sich Lern-Apps runtergeladen, sagt er und demonstriert sein Können auf Deutsch: „Ich komme aus Somalia.“

Vera Nkenyi Ayemle fordert Kebba und Musa auf, von ihren Erfahrungen zu berichten. „Was könnt ihr euren Brüdern mit auf den Weg geben?“ Kebba überlegt und sagt leise: „Wenn sich Unheil zusammenbraut, geht schnell weg. Ihr zieht immer den Kürzeren.“ Er erzählt, wie er und sein Freund es nicht mehr im Wohnheim ausgehalten hätten und eine Disco im Esslinger Dick-Areal hätten besuchen wollen. Der Türsteher habe sie nicht hineingelassen.

Am Nachmittag erklimmen Kebba und Musa die Turmstufen – wie jeden Freitag um diese Zeit. Konkrete Anliegen haben die beiden Gambier nicht. „Dieses Zusammensitzen, bei dem man sich Zeit nimmt und über alles und nichts spricht, ist typisch für unsere Kultur“, sagt Vera Nkenyi Ayemle. „Das gibt Stabilität.“ Im Nebenzimmer plappern Kinder. Die Grundschüler Lidwine, Lucy und Gael machen mit Steffi Hausaufgaben. Steffi ist eine von vielen Ehrenamtlichen, mit denen Sompon zusammenarbeitet. Gael hat einen Schneeball von draußen mitgebracht und hält ihn jedem kurz unter die Nase.

„Ein paar deiner Brüder sind hier“

Während sie so beisammensitzen, klingelt das Telefon. „Ob das die Neuen sind?“ Am Tag zuvor traf Vera Nkenyi Ayemle im Supermarkt vier Afrikaner, die gerade angekommen waren. Das erkannte sie an den Produkten in ihren Einkaufswagen: einzelne Zwiebeln statt des günstigeren Kilosacks, teure Markenprodukte, Bio-Eier. „Als dann einer der Männer an der Kasse nach einer Prepaid-Karte im Wert von fünf Euro fragte, war mir alles klar“, sagt Nkenyi Ayemle. Sie lud sie in den Schelztorturm ein. Jetzt stehen sie am Esslinger Bahnhof und fragen nach dem Weg. „Kebba“, sagt Vera, „ein paar deiner Brüder sind hier. Tu mir bitte den Gefallen und hole sie ab.“

Kurz darauf ist das Büro voller junger Männer. Jeder begrüßt jeden, eine halbe Ewigkeit vergeht. Sie sprechen Pidgin-Englisch miteinander, einen Dialekt mit stark vereinfachter Grammatik. Das verstehen alle. Vera Nkenyi Ayemle räuspert sich und erhebt die Stimme. „Das Erste, was ihr wissen müsst: in diesem Land sind wir nicht Eritreer, Gambier, Kameruner oder Somalier. Wir sind hier einfach Afrikaner! Und deshalb müssen wir zusammenhalten.“ Die Männer nicken stumm. Sie hängen an ihren Lippen. Zum ersten Mal spricht jemand zu ihnen, der weiß, wo sie herkommen und wo sie hinwollen.

Nkenyi Ayemle erzählt Geschichten von anderen Afrikanern, die Mut machen. Sie machen heute Ausbildungen oder arbeiten, haben Familien, bleiben. Dann zeigt sie ihre fünf Finger: „Jeder von euch ist anders, wie diese Finger. Wenn dein Nachbar den ganzen Tag schläft, musst du nicht auch schlafen. Wenn dein Nachbar sein Geld für teure Kleider ausgibt, musst du das nicht nachmachen. Spare es für deine Ziele. Jeder von euch hat Ziele, oder? Vergesst nie, warum ihr hierhergekommen seid.“

„Fragt jeden Deutschen, was ihr für das Land tun könnt“

Dann geht sie ins Detail. „Kopiert dieses Dokument“, sagt sie und zeigt auf ein Formular, das jeder von ihnen mit sich herumträgt. „Da steht drauf, seit wann ihr in Deutschland seid. Wenn ihr irgendwann Ausweise bekommt, nehmen sie es euch ab. Ohne Kopie könnt ihr dann nicht mehr belegen, seit wann ihr wirklich in Deutschland seid. Ihr verliert Monate.“ Sie spricht über den rechtlichen Status von Gambia und Somalia. „Für eure Länder gibt es keine klare Regelung. Darum lernt Deutsch, macht eine Ausbildung, engagiert euch, fragt jeden Deutschen, dem ihr begegnet, was ihr für das Land tun könnt. Wenn ihr nur auf die Behörden wartet, werdet ihr krank.“ Einer der Männer sagt, er wolle sofort anfangen mit Deutschlernen. Sein Nebensitzer zeigt ihm sein Handy: Er habe sich Lern-Apps runtergeladen, sagt er und demonstriert sein Können auf Deutsch: „Ich komme aus Somalia.“

Vera Nkenyi Ayemle fordert Kebba und Musa auf, von ihren Erfahrungen zu berichten. „Was könnt ihr euren Brüdern mit auf den Weg geben?“ Kebba überlegt und sagt leise: „Wenn sich Unheil zusammenbraut, geht schnell weg. Ihr zieht immer den Kürzeren.“ Er erzählt, wie er und sein Freund es nicht mehr im Wohnheim ausgehalten hätten und eine Disco im Esslinger Dick-Areal hätten besuchen wollen. Der Türsteher habe sie nicht hineingelassen.

Vera Nkenyi Ayemle wedelt die bedrückende Stimmung beiseite. „Wie wär’s, ihr macht einfach gemeinsam Party? Ihr braucht gar keine Disco, um Spaß zu haben. Musa, du kochst Domoda, das kannst du doch so gut.“ Domoda ist ein gambisches Fleischgericht mit Erdnusssoße. Musa lässt sich breitschlagen. Sie tauschen Handynummern aus. „Spielt ihr Fußball?“, fragt Musa die Neuen zum Abschied. Alle nicken. „Kommt doch am Mittwoch zum Kicken nach Esslingen-Weil.“ Fragende Blicke. Nkenyi Ayemle ahnt warum. „Der Verein übernimmt die Fahrkarte“, sagt sie.

Gospel in Göppingen

Nach dem Studium bot Nkenyi Ayemle mehreren Einrichtungen an, sich ehrenamtlich für afrikanische Migranten zu engagieren. Wo sie auch anklopfte, ihr Angebot wurde abgelehnt. „Wir wollen den Kreis nicht weiter öffnen“ oder „Die Stadt macht schon genug für Migranten“ oder „Sie stellen doch nur eine Minderheit dar“, habe man ihr erklärt. Die Sozialpädagogin nennt das „strukturellen Rassismus“. Erst als sie Sompon gründete und die Zahl der Mitglieder anschwoll, fingen die Behörden an, sie ernst zu nehmen und zu kooperieren. „Vielen Deutschen ist nicht klar, dass jeder Migrant, egal wo er herkommt, zuerst die Nähe zu seinesgleichen sucht“, sagt sie. Eine „Community“ zu haben stehe für sie nicht im Widerspruch zur Integration.

Ihre Community ist die Göppinger Kirchengemeinde Deeper Christian Life Church, wo sie jeden Sonntag mit anderen Schwarzafrikanern Gospel singt. Wo sie schallend lachen kann, ohne skeptische Blicke zu ernten. „Jeder soll so bleiben können, wie er ist, aber gleichzeitig in allen gesellschaftlichen Bereichen mitbestimmen dürfen – das ist für mich Integration.“

Dass bei 6000 Flüchtlingen im Landkreis immer mehr Menschen zu ihr in den Turm kommen, betrachtet sie in der Manier der Bundeskanzlerin: „Deutschland schafft das, also schaffen wir das auch!“ Sie habe die Kinderbetreuung und andere laufende Projekte aus dem Turm in andere Stadtteile verlagern müssen. Ihr Büro aber soll im Herzen Esslingens bleiben. „So viel Symbolkraft hat keine andere Adresse.“