Die FDP hat die CDU bei der Kandidatenkür am Wochenende vorgeführt. Nun fürchtet man die Rache von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Berlin - Es gab schon Tage, da fühlten Angela Merkel, Horst Seehofer und die Herrschaften von der FDP einander so innig verbunden, dass sie sich nach getaner Arbeit in das Berliner Nobelrestaurant Borchardt chauffieren ließen, um die gemeinsamen Beschlüsse zu begießen. Das ist aber schon sehr lange her. Und der vergangene Sonntag bot ganz gewiss keinen solchen Anlass. Als Joachim Gauck zu fortgeschrittener Stunde in die Fernsehkameras lächelte, war manchem seiner Nebensitzer auf dem Podium noch mehr als ihm zum Feiern zumute. Nicht jedoch der Kanzlerin. Ihre Unlust auf einen Absacker mit Philipp Rösler und Co. umschreibt Regierungssprecher Steffen Seibert am Morgen danach so trocken, dass es knistert: „Der Abend war auch so schon spät genug . . .“

 
Für Merkel war dieser Sonntag der bitterste Tag ihrer Amtszeit. Jeder Fernsehzuschauer konnte das vom Sofa aus besichtigen. Die Kanzlerin mag noch so mächtig sein, aber ihre Gesichtszüge beherrscht sie nicht. Die Versuche eines Lächelns missrieten ihr allesamt zu Varianten einer eher sauertöpfischen Miene. Auch ihre Koalition hat Merkel am Sonntag nicht mehr beherrscht. Und sie war am Ende nicht mehr Herrin des Verfahrens bei der Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten. Sie ließ sich das Ergebnis von der FDP diktieren, um ihr Regierungsbündnis zu retten. Nie war die schwarz-gelbe Koalition dem Untergang näher. Merkels Nachgiebigkeit hat sie womöglich davor bewahrt, sagen die einen. Andere hätten von der Kanzlerin mehr Härte erwartet. Binnen weniger Stunden ließ Merkel sich zu einem Wendemanöver zwingen, das in den eigenen Reihen großen Unmut stiftet.

Die Kanzlerin steht wortlos auf und verlässt den Saal

Der Reihe nach: Sechs Stunden vor dem Fernsehauftritt mit Gauck telefoniert Merkel mit dem CDU-Präsidium. Es ist dies der Moment, erinnern sie sich an der Spitze der FDP, in der die Koalition ernsthaft zu scheitern droht. Denn unmittelbar zuvor haben die Mitglieder des FDP-Präsidiums telefoniert und beschlossen, einmütig auf Gauck, den rot-grünen Kandidaten zu setzen. Ein Affront, mit dem Merkel nicht rechnet. Als sie davon erfährt, steht sie wortlos auf und verlässt den Raum. Das Herz dieser Koalition steht kurz still. Dann nimmt Merkel die Herausforderung an. Sie scheint es darauf ankommen lassen zu wollen.

Minutenlang habe sie in der Schaltkonferenz dem eigenen Präsidium erklärt, warum Gauck nicht der richtige Kandidat sei, berichten Teilnehmer. Alle hätten ihr zugestimmt. Ihr Tenor: „Für uns ist Gauck nicht wählbar.“ Merkel fragt nach, ob wirklich jeder in dem Führungsgremium dieser Ansicht sei. Kein Einziger widerspricht. Vier Stunden später lässt die Kanzlerin ihre CDU-Präsiden wieder anrufen – um ihnen mitzuteilen, dass sie sich jetzt doch für Gauck entschieden habe. Sie erklärt das mit der sturen Haltung der FDP. Oberstes Ziel sei es schließlich, einen gemeinsamen, überparteilichen Kandidaten zu finden. Dieses Gespräch verläuft nicht ganz so einmütig wie das vorige. Merkel bekommt unfreundliche Kommentare zu hören, wird von Ohrenzeugen berichtet. Einer beklagt sich: das sei „kein schönes Verfahren“. Merkel, so heißt es später an der Parteispitze der FDP, habe nicht damit gerechnet, dass es die Liberalen diesmal ernst meinen und es zur Not darauf ankommen lassen. Sie habe sich schlicht „verzockt“.