Wenn jede Stunde eine Geschichte erzählt, hat der Tag 24 Geschichten. Eben diese erzählen wir in einer Serie. Von 16 bis 17 Uhr hat die Kleiderkammer in Heumaden geöffnet, dort können sich Flüchtlinge eindecken.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Heumaden - Khaled hat ein Auge darauf, dass alles seine Ordnung hat. Fein säuberlich hängt er eine verrutschte Hose anständig auf den Bügel, stellt die Schuhe wieder akkurat nebeneinander ins Regal. Dabei hat der junge Syrer immer ein freundliches Wort auf den Lippen. Je nach Herkunft seiner Gesprächspartner auf Arabisch oder Englisch. Auch sein Deutsch ist schon ganz gut.

 

So kommen sie mal aus ihren Zimmern

Seit einem Monat, erzählt er, hilft er in der Kleiderkammer mit. „Ich komme jeden Montag, manchmal auch mehrmals in der Woche“, sagt Khaled. Der 31-Jährige packt an, wo Bedarf ist: Regale einsortieren, schauen, dass sich nicht zu viele Menschen gleichzeitig in den kleinen Raum drängen. Der Syrer lebt seit einem halben Jahr in einer Unterkunft in Sillenbuch. Den Weg zum Heim in Heumaden nimmt er gerne auf sich. Seit zwei Wochen begleitet ihn der 23-jährige Yusef. „Ich mag es, hier zu helfen. Ich packe überall mit an, wo auch immer etwas zu tun ist“, sagt der Jüngere.

„Die Jungs helfen gerne. Sie haben dadurch eine Aufgabe, kommen mal raus aus ihren Zimmern“, sagt Ursula Otto, die zusammen mit Therese Schliebitz die Kleiderkammer donnerstags ehrenamtlich betreut. Khaled und Yusef bezeichnet Otto als ihre „fleißigsten Helfer“. Die beiden Syrer nehmen das mit einem schüchternen Lächeln zur Kenntnis und widmen sich wieder dem Sortieren der Kleider.

Es gibt eine provisorische Umkleide

Um 16 Uhr öffnen Otto und Schliebitz die Türen zur Kleiderkammer. Der kleine Raum in der Unterkunft an der Kirchheimer Straße 142-148 ist bis unters Dach gefüllt mit Hosen, Jacken, Schuhen, Kinder- und Babykleidung, aber auch Vorhängen, Bettwäsche und Küchenutensilien. Um Platz für die Stöbernden zu machen, werden ein paar der Kleiderständer in den Flur der Unterkunft gerollt. Eine provisorische Umkleide gibt es ebenfalls. Ein Leintuch über einem Kleiderständer verhindert neugierige Blicke.

Die Bereitschaft der Stuttgarter, Kleider zu spenden, sei ungebrochen hoch, sagt Otto. „Nur leider haben wir nur diesen einen Raum und kein Lager. Wintersachen können wir also derzeit schlicht nicht annehmen, weil kein Bedarf besteht“, sagt die Ehrenamtliche. „Teilweise müssen wir die Spenden ablehnen und die Leute wieder nach Hause schicken.“ Das treffe oft auf Unverständnis. Um das zu vermeiden, informiert der Arbeitskreis Flüchtlinge Heumaden-Sillenbuch auf seiner Homepage darüber, was gerade gebraucht wird.

Die Arbeit im Freundeskreis und der Kleiderkammer machen die beiden Frauen gerne. „Es kommt so viel Dankbarkeit, so viel Freude zurück“, sagt Schliebitz. Die Unterstützung durch die beiden Syrer können die Damen gut gebrauchen. Sie können sich auf Arabisch mit den Menschen verständigen, deren Deutsch nicht so gut ist, und nach deren Wünschen fragen. Zur Not wird mit Händen und Füßen gesprochen.

Weil der Ansturm anfangs sehr hoch war, haben die Ehrenamtlichen Regeln eingeführt. So dürfen nur etwa ein halbes Dutzend Menschen gleichzeitig in die Kleiderkammer, um Chaos und Streitereien zu vermeiden. Wer nur eine Bluse oder ein paar Schuhe möchte, muss nichts dafür zahlen. Wer mehr mitnimmt, zahlt einen Kilopreis. Ein Kilo kostet einen Euro, zwei Kilo zwei Euro und so weiter. Damit wird verhindert, dass die Menschen Kleidung horten, die sie eigentlich gar nicht brauchen.

Der Koffer ist sofort weg

Ein gut erhaltener Koffer, den eine Dame gerade als Spende vorbeigebracht hat, ist nur eine Minute später wieder weg. Ein Albaner nimmt ihn dankbar mit. Er verlässt Deutschland in den nächsten Tagen und kann den Koffer gut gebrauchen. Als er ihn bezahlen will, winkt Ursula Otto ab. „Nehmen Sie ihn einfach mit“, sagt sie. Der Mann bedankt sich freundlich und verlässt glücklich die Kleiderkammer.

Khaled schaut derweil mit einem jungen Asylbewerber die Heimtextilien durch. Der junge Mann sucht zwei dicke Vorhänge, um die Fenster in seinem Zimmer nachts verdunkeln zu können. Nach kurzer Suche sind zwei gleiche Vorhänge gefunden. „Ich mag die Arbeit hier“, sagt Khaled. Ein bisschen Wehmut schwingt in seiner Stimme allerdings mit.

Er muss die Unterkunft, in der er derzeit wohnt, bald verlassen. Künftig wird er in einem anderen Heim unten am Neckar untergebracht sein. „Ich will nicht umziehen“, sagt der 31-Jährige, obwohl er in Sillenbuch in sehr beengten Verhältnissen lebt. Er teilt sich ein Zimmer mit etwa einem Dutzend anderer Syrer. „Ich habe hier Kontakte aufgebaut, ich kenne die Menschen. In einer neuen Unterkunft muss ich wieder von vorne anfangen“, sagt Khaled. Bis es so weit ist, wird er aber noch mit anpacken und in der Kleiderkammer für Ordnung sorgen.

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