Titus Simon hat einen Roman über die Judenverfolgung auf dem Land geschrieben. Das schwäbisch-fränkische Grenzgebiet ist der Schauplatz der fiktiven Handlung in dem 500-Seiten-Werk des ehemaligen Rems-Murr-Kreisrats.

Murrhardt - Die Gegend um Murrhardt und Schwäbisch Hall, Schnittstelle zwischen Schwaben und Hohenlohe, ist eine beschauliche Landschaft, geprägt von anmutigen Tälern und Höhenzügen, mittendrin schnuckelige Dörfer und Kleinstädte. In diese Idylle ist Jakob Winter, Spross einer jüdischen Fabrikantenfamilie, im April 1922 hineingeboren worden. Freilich, die scheinbar heile Welt im schwäbisch-fränkischen Grenzgebiet sollte sich später in der Nazizeit als das Gegenteil erweisen, als menschenverachtend. Jakob, der ausgerechnet an Führers Geburtstag auf die Welt kommt, ist die zentrale Gestalt eines Romans, der aus der Feder des nahe Murrhardt lebenden Professors Titus Simon stammt. Sein Titel: Hundsgeschrei.

 

Die fiktive Geschichte des Buches beschreibt, wie sich Seelbach, die Heimat der Winters, während der Nazidiktatur immer mehr in einen Ort verwandelt, in dem das Leben für Juden unerträglich wird. Nicht nur eingefleischte Parteibonzen, auch sogenannte anständige Bürger beteiligen sich daran, ihre jüdischen Nachbarn auszugrenzen, zu drangsalieren. Der Judenhass, der ständig eskaliert, endet für den Familienclan der Winters in der Katastrophe, nur Jakob, der jüngste Sohn, überlebt.

Zeitspanne vom Ersten Weltkrieg bis in die 1950er

Der Autor, Jahrgang 1954, hat die Geschichte seines Romans nicht von ungefähr in die Grenzregion zwischen Hohenlohe und Schwabenland gelegt: Er lebt in Wolfenbrück, inmitten dieses Gebiets. Im Bemühen, das Landjudentum und seine braunen Gegner möglichst facettenreich darzustellen, geht Simon sehr detailreich und weit ausholend zu Werk. Jenen, die sein Buch zur Hand nehmen, nötigt Simon große Leseanstrengung und Ausdauer ab – 540 Seiten wollen bewältigt sein. Der Band umfasst die Zeitspanne vom 1. Weltkrieg, in dem viele Juden, auch Jakobs Vater, für Deutschland gekämpft haben, bis hinein in die 50er-Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Titus Simon möchte mit seinem Roman, wie er betont, nicht anklagen. Er will ihn vielmehr verstanden wissen als Angebot an die Nachgeborenen, sich über die unselige Zeit der Judenpogrome zu informieren.

Die Familie Winter, so stellt es Simon eindrücklich dar, glaubt zu lange, dass sich nach den ersten Ausschreitungen gegen die Juden die Lage schon wieder beruhigen werde – ein fataler Irrtum. Die Feindseligkeiten in ihrer Heimatstadt nehmen ständig zu. Erst sind es Beleidigungen und Schikanen, dann folgen Demütigungen und körperliche Attacken. Die Winters werden aus ihrem Betrieb, einer Spiegelfabrik, gedrängt und enteignet.

Deportation nach Riga und Flucht bin die Wälder

Jakob sieht sich eines Tages gezwungen, nicht mehr mit dem Zug, sondern mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, nur um Pöbeleien auf dem Bahnhof zu entgehen. Und im Biologieunterricht dient sein Kopf als Demonstrationsobjekt dafür, dass der Schädel eines Juden anders gewachsen sei, als der eines blonden Deutschen. Ausführlich beschreibt Simon die Deportation der Winters ins Ghetto von Riga, wo Jakob als einziger der Familie überlebt und in die lettischen Wälder fliehen kann. Dort schließt er sich Partisanen an.

Am Ende schreit der Protagonist seinen Zorn heraus

Nach einer dramatischen Odyssee durch halb Europa kehrt er mit amerikanischen Truppen zurück nach Seelbach. Und da schreit er, der so oft als Untermensch Gedemütigte, seinen ganzen Zorn hinaus: ,,Seelbacher, hört ihr mich? Einer eurer Juden ist zurück!“ Doch er findet in seinem Geburtsland keine Heimat mehr. Die Rückgabe des elterlichen Betriebs wird ihm verweigert, zwei Ehen gehen in die Brüche, schließlich wandert er in die USA aus. In seinem Roman erzählt Simon auch die Geschichte der Schaustellersippe Schürbel, der Hohenloher Landwirtsfamilie Lang und er schildert das Leben im Backnanger Lager für sogenannte Displaced Persons.

Der Alltag in der Provinz hat den Autor schon immer interessiert

Titus Simon, ist ein Mann von imposanter Statur, der knapp zwei Meter misst und dessen Gesicht ein Bart ziert, der dem von Karl Marx ähnelt. Ein Marxist ist er zwar nicht, aber politisch im linken Spektrum beheimatet, schon in seiner Zeit als Murrhardter Stadtrat hat er das bewiesen. Bei der Landtagswahl vor zwei Jahren kandidierte er für die Linke, aber ohne Parteibuch, fügt er hinzu. Als gelernter Sozialarbeiter war er vor allem in der Obdach- und Wohnungslosenhilfe tätig und widmete sich als Professor an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal dem Thema Jugend und Gewalt. Simon verfasste eine Reihe von Fachbüchern, um sich dann einem wirklich spannenden Genre zuzuwenden, dem Krimischreiben. Fünf Thriller hat er mittlerweile zu Papier gebracht, als Protagonist ist immer der alte Spürhund Gotthilf Bröckle mit dabei .

Themen mit sozialhistorischem Hintergrund und der Alltag in den Provinz haben Titus Simon, wie er betont, schon immer interessiert. So auch die Frage, wie sich etwa in hohenlohischen Dörfern mit deutlichem jüdischen Bevölkerungsanteil das tägliche Leben gestaltete. Das ist der ideelle Hintergrund für den Roman, an dem Simon fünf Jahre arbeitete. Er betrieb aufwendige Recherchen und reiste sogar nach Riga, um sich einen Eindruck von der Stadt zu verschaffen, der sein Protagonist nur knapp entkommen konnte.