Junge Menschen lieben das Regionale. Diese neue Verbundenheit wird heute offen zelebriert, sie vereint die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr mit den Hipstern aus dem Szeneviertel. Und sie nervt manchmal gewaltig.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Unser Lokalpatriotismus nervt alle gewaltig, sagte kürzlich Carolin Kebekus in einem Interview über ihre Heimatstadt Köln. Heimatliebe wird in Köln gern ausgelassen gefeiert und hochgehalten. Ein Besuch beim Kölner Karneval beweist, dass man wohl tatsächlich nirgends so schnell heimisch wird wie dort. Spätestens nach zwei bis drei Kneipenbesuchen brüllt man textsicher: „Do ming Stadt am Rhing“ oder „unser Hätz schlät för dä FC Kölle“. Auf einmal fühlt man sich wohl, irgendwie dazu gehörig, ja fast: daheim. Kurz ist man geneigt, das gepostete Instagram-Karnevalsfoto sofort mit dem Hashtag #Kölnliebe zu versehen. Man wäre nicht allein damit.

 

Die neue, über die sozialen Medien inflationär gelebte Heimatliebe hat längst nicht nur die Kölner gepackt. Ob in Schleswig-Holstein oder in Bayern – vor allem dort – scheint man die Liebe zu den schönen Landschaften wieder entdeckt zu haben. Besonders junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren fühlen plötzlich eine enge Verbundenheit mit ihrer Stadt oder Region. Dieses Gefühl hat „die heimatlose Generation eingeholt“, schreibt die Autorin Verena Schmitt-Roschmann in ihrem Buch „Heimat. Neuentdeckung eines verpönten Gefühls“. Etwas scheinheilig findet sie diesen neuen Trend: „Es ist eine Generation, die sich in Paris oder London lange wegduckte, wenn die schwäbelnden Touristen mit den Spiegelreflexkameras kamen.“

Die Landheimat wurde lange Zeit lieber versteckt

Dass sie damit nicht ganz Unrecht hat, zeigt ein Eintrag der 25-jährigen Autorin Ronja von Rönne auf ihrem Blog „Sudelheft“: „Spontan lehne ich alles ab, was sich mit ,Servus’ begrüßt, Erinnerung an die Intoleranz und die Kleingeistigkeit, mit der ich hier aufgewachsen bin, die sogar kultiviert wird, mia san mia.“

Die Landheimat wurde nach außen lange Zeit verheimlicht, versteckt. Aber eben nur nach außen. Weiter heißt es nämlich bei von Rönne, dass sie „trotzdem ein helles, gleißendes Glücksgefühl“ habe, sobald sie „vom Autobahnrasthof Irschenberg das erste mal die Berge sehe. Stundenlang schimpfen über das bayerische Kaff, aber sobald es jemand anderes angreift, es glühend verteidigen.“

Der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink würde ihr Recht geben. In seinem Essay „Heimat ist Utopie“ stellt er fest: „Am intensivsten wird Heimat erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt.“

Heimat ist ein Gefühl

Heimat ist meist eher ein Gefühl als ein Ort. Lange hat man gerade in Deutschland mit Blick auf die Geschichte, den Zweiten Weltkrieg und die Philosophie der Nationalsozialisten Heimatliebe nicht gerade zelebriert. Dabei reicht das Gefühl weit zurück: Die Deutschen hätten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts genötigt gefühlt, in einer „Heimatschutzbewegung“ die bedrohte Idylle zu bewahren, schreibt die Journalistin Verena Schmitt-Roschmann. „Regionalismus, lokale Verwurzelung und die Idealisierung der Natur“ gebe es auch anderswo. „Aber der deutsche Kult, diese fast religiöse Überhöhung, das ist schon etwas sehr eigenes.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg ist mit Tausenden von Heimatfilmen eine Industrie entbrannt, die in den vergangenen 60 Jahren noch jeder Krise trotzte – die bei den 68ern, der Generation Golf und den Babyboomern aber bei weitem keine Lobby fand, im Gegenteil.

Das hat sich nun seit einigen Jahren geändert. Lokalpatriotismus boomt. Gerade in Zeiten des Internets: Angefangen hat es mit Facebook-Seiten, Büchern und Zeitschriften, die eine Zugehörigkeit zu einer Stadt signalisierten. Da gibt es das „Unnütze Stuttgartwissen“, „Kesselfieber“ oder Seiten mit „Dinge, die du nur witzig findest, wenn du aus Stuttgart kommst“. Das lässt sich beliebig auf jede Stadt übertragen und zeigt dem, der es versteht: Du gehörst dazu. Das Marketing greift das Gefühl geschickt auf: Von der Supermarktkette über die Trachtenhändler bis hin zu Buch- und Zeitschriftenverlagen wollen alle profitieren.

#Heimatliebe wird inflationär verwendet

In den sozialen Netzwerken wird der Hashtag #Heimatliebe inflationär verwendet. Das dazu passende Bild darf gerne malerische Sonnenuntergänge über dem Stuttgarter Kessel zeigen oder etwas plump: den Fernsehturm. Lokalpatriotismus kennt keine Grenzen des Kitsches mehr. Das reicht von Instagram-Fotos vom schönen Zuhause bis hin zur Liebe zu Regionalkrimis und dem Gin vom Produzenten nebenan. Wir pflanzen Gemüse auf dem eigenen Balkon und kochen Omas Lieblingsgerichte nach. „Dabei geht es nicht nur darum, kreativ zu sein, sondern um die Versicherung der eigenen Lebenswelt“, sagt die Ethnologin Simone Egger.

Wer ständig in der ganzen großen Welt zu Hause ist, wie viele junge Menschen heute während des Studiums und danach, hat es schwer ein Gefühl von Heimat zu entwickeln. Vermutlich deshalb ist der Begriff inzwischen in Deutschland wieder positiv besetzt: „Das ist fast schon Popkultur“, sagt Egger, die sich in ihrem Buch „Heimat – wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden“ mit diesem Hype beschäftigt hat. Heimatliebe ist jetzt cool. Für Egger ist klar, warum gerade junge Menschen diese so stark ausleben: „Diese Generation muss sich nicht mehr abgrenzen.“ Wie selbstverständlich stellen sie sich alte Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald in ihr Wohnzimmer – in pink. „Junge Menschen färben Traditionelles einfach knallbunt ein.“ Damit erklärt sie auch den Trend zur Trachtenmode: „Kleider wie ein Dirndl oder eine Lederhose transportieren nichts ethnisches, sondern ein positives Lebensgefühl.“ Jeder kann sich darin ein bisschen bayerisch vorkommen.

Die „Glokalisierung“

In solchen Debatten stellen sich aber immer wieder auch Fragen: Wer hat das Recht auf Zugehörigkeit? Darf Heimat nur der fühlen, der an einem bestimmten Ort geboren worden ist? Verlacht werden die Dirndltouristen oft von jenen, die sich selbst als „echte Bayern“ bezeichnen und sich über die „Zugereisten mit den billigen Plastikdirndl“ lustig machen. Doch Heimat ist ein sehr persönliches Gefühl.

„Glokalisierung“ nennt sich jetzt auch ein Trend, dem sich das Zukunftsinstitut in Frankfurt gewidmet hat. Die Globalisierung erzeuge einen Konflikt mit der humanen Identität, heißt es im Zukunftsreport 2016. Das gelte sowohl auf kultureller wie auf wirtschaftlicher Ebene: Der zugehörige Retro-Trend sei die Sehnsucht der Menschen – und nicht nur der jungen – nach Heimat und Lokalität, nach Überschaubarkeit, Zuordnung und Besonderheit. Die ständig zunehmende „konnektive Geschwindigkeit“ – also die Verbundenheit von immer mehr Ländern, Wirtschaftsräumen, Individuen, Kulturen in medialer Echtzeit – erzeuge einen Trotzreflex. Dieser sei auf allen „Trend-Ebenen“ wahrnehmbar: bei Trachten, bei regionalen Lebensmitteln, im Antikapitalismus. Und leider auch in der Ausländerfeindlichkeit.

Viele sehnen sich nach einer überschaubaren Welt. Internationale Verflechtungen und das Gefühl, nichts mehr selbst in der Hand zu haben, befeuern diese Sehnsucht. Bernhard Schlink nennt noch einen Grund: „Wenn das Leben auf dem Land wie das in der Stadt ist, nur kleinräumiger, wenn sich Städte nur noch durch Größe ihrer mit den gleichen Steinen gepflasterten und mit den gleichen Lampen, Bänken und Pollern bestückten Fußgängerzonen unterscheiden richtet sich die Sehnsucht nach „nichtentfremdeten Leben“ auf „konkrete Orte, auf die Region, die Stadt, den Kiez.“

Wir sind häufig nicht mehr an einen festen Ort gebunden

Die „Generation Global“ lebt laut der Forscherin Lena Papasabbas ein bewusstes, weltoffenes und lokales Leben zugleich: Diese Menschen denken ökologisch global und ortsverbunden. Sie wollen keine Zahnbürste, die zweimal um die Welt reist. Sie sprechen Englisch und Dialekt, sie reisen viel. „Heute haben viele mit 25 Jahren mehr von der Welt gesehen, als ihre Großeltern im ganzen Leben.“ Dennoch wüssten sie, wo sie zu Hause sind.

Die Digitalisierung und die Globalisierung haben unser Leben grundlegend verändert – unseren Alltag, unsere Werte unsere Mobilität. Wir sind sehr viel freier darin, zu entscheiden, wo und wie wir leben wollen. Arbeitsplätze sind häufig gar nicht mehr an einen festen Ort gebunden.

Für viele ist Heimatliebe deshalb auch gar nicht mehr mit nationalen Kontexten verknüpft, sondern äußert sich tatsächlich in Lokalpatriotismus. Mein Dorf, meine Stadt, mein Viertel, meine Nachbarn – damit identifizieren wir uns mehr als mit der Bundesrepublik Deutschland. Die Forscherin Papasabbas nennt dies „social cocooning“, was etwa „einmummeln im ganz kleinen Kreis“ bedeutet: mit der Familie, den engsten Freunden, daheim auf der Terrasse mit der selbst gemachten Limonade. Lokalpatriotismus boomt auch deshalb, weil er gesellschaftsfähig ist. Er hat nichts Identitäres, nichts Nationalistisches. „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“ hört sich für uns immer noch komisch an, während der Satz „Ich bin stolz, Berliner zu sein“ nichts Verwerfliches beinhaltet.

Wonach können wir unser Gefühl ausrichten?

Während der Umgang mit Heimatliebe in den vergangenen Jahren bei vielen oft spielerisch war, haben manche das Heimatgefühl jetzt in die politische Diskussion getragen. Rechtsgerichtete Politiker, wie manche von der AfD, wollen festlegen, was Heimat sein darf und vor allem für wen. Die Zuwanderung und die Flüchtlingsbewegungen verunsichern viele. „Die Flüchtlinge lösen aus, dass wir über vieles nachdenken“, sagt Egger. Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Flucht, Krieg und Vertreibung sind Boten von etwas Schlechtem. Und das wiederum steht den romantischen Vorstellungen von Heimat, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden sind, entgegen.

Als gäbe es, – mehr als 200 Jahre später, – keine anderen Vorlagen, nach denen wir unser Gefühl der Heimat ausrichten und formen könnten. Die neue Heimatliebe unter jungen Menschen ist eine Verklärung, die nur sehr oberflächlich mit wirklichen Orten zu tun hat, und allzu oft andere ausgrenzt. Sie verschafft nur vordergründig und kurzfristig Identifikation – und verklärt Orte, an denen diese jungen Menschen meist absolut nicht mehr leben wollen würden. Diese Heimat ist mehr Schein als Sein. Der übersteigerte Lokalpatriotismus wirkt deshalb manchmal gewollt und inszeniert. „Meine Stadt ist besser als deine“ wirkt eben sehr kleingeistig.

Bernhard Schlink sagt, lediglich die „Erinnerungen und Sehnsüchte machen die Orte zur Heimat. Das eigentliche Heimatgefühl ist nämlich das Heimweh“. Vielleicht war mancher auch allzu lange damit beschäftigt, möglichst weltoffen überall unterwegs zu sein und hat dabei vergessen, dass jeder einen Ort braucht, an dem er zu Hause ist.