Von Sonntag an tritt die israelische Fußball-Nationalmannschaft wieder in der EM-Qualifikation an, gleich viermal innerhalb von zehn Tagen. Nationalspieler nehmen seit dem Angriff der Hamas an Kampagnen des Staates teil, lösen aber europaweit auch Kontroversen aus.

Zwei Mannschaften stehen im Spielertunnel des Bloomfield-Stadions von Tel Aviv. Aus der Ferne ist das Publikum zu hören, Blitzlichter flackern, dazu dramatisch anmutende Musik. Die Spieler in den roten Trikots greifen nach den Händen der Kinder, die sie auf den Rasen begleiten sollen. Die andere Mannschaft, gekleidet im israelischen Blau, steht allein da, ihre Spieler wirken verzweifelt. Diese Szenen gehören zu einem Video, das der israelische Fußballverband nach dem 7. Oktober veröffentlicht hat. Am Ende hört man das Ticken einer Uhr. Und eine Mitteilung: „Unsere Kinder werden vermisst. Die Hamas hat sie entführt – aus ihren Betten und ihren Häusern.“

 

Kann Fußball trösten?

Welche Rolle kann die beliebteste Sportart für eine Gesellschaft einnehmen, die sich im Krieg befindet und mehr als 240 Geiseln vermisst? Kann der Fußball einen Funken Trost spenden? Von Sonntag an bestreitet die israelische Nationalmannschaft innerhalb von zehn Tagen ihre vier verbleibenden Qualifikationsspiele für die EM 2024: gegen Kosovo, die Schweiz, Rumänien und Andorra. Die eigentlichen Heimspiele gegen die Schweiz und Rumänien finden nicht in Israel statt, sondern in der ungarischen Kleinstadt Felcsut. Dort hoffen die Uefa und der israelische Verband auf ein geeignetes Umfeld für die hohen Sicherheitsvorkehrungen gegen potenzielle Anschläge und eskalierende Demonstrationen.

Doch seit dem Terrorangriff der Hamas ist die sportliche Dimension weit in den Hintergrund gerückt. Laut dem Nationalen Olympischen Komitee Israels sind beim Angriff der Hamas 17 israelische Sportler getötet worden. Der ehemalige Profifußballer Lior Asulin etwa wurde auf dem Musikfestival an der Grenze zum Gazastreifen ermordet, er feierte dort seinen 43. Geburtstag.

Die nationalen Wettbewerbe, darunter die Fußballligen, pausieren in Israel auf unbestimmte Zeit. Stattdessen beteiligen sich prominente Sportler an Initiativen von Staat und NGOs – sie unterstützen Spendenkampagnen, besuchen Verletzte in Krankenhäusern oder treffen Soldaten.

Rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung sind arabischer Herkunft. Nach dem Angriff der Hamas verlangten konservative Medien in Israel insbesondere von den arabischen Nationalspielern Israels ein Bekenntnis zum jüdischen Staat. Einer von ihnen, Mohammed Abu Fani von Ferencvaros Budapest, verurteilte die Hamas mit deutlichen Worten. Doch eine rechtsgerichtete jüdische Minderheit fand das nicht ausreichend. Ein anderer, Dia Saba von Maccabi Haifa, wurde von Fans kritisiert, weil seine Frau mehr Mitleid für Kinder in Gaza einforderte. Er entschuldigte sich, doch er fehlte beim Spiel seines Clubs in der Europa League gegen den FC Villareal, das am Donnerstag in Zypern ausgetragen wurde.

Fotos von Verschleppten

Der israelische Fußballverband verbreitete Namen und Fotos von verschleppten Menschen, dazu die Botschaft: „Geiseln können nicht sprechen.“ Daneben wurden Porträts von Fußballern platziert. Die bekannteren Nationalspieler Israels, die im Ausland spielen, verbreiten diese Botschaften in sozialen Medien: Manor Solomon von Tottenham Hotspur, Daniel Peretz vom FC Bayern oder Oscar Gloukh von RB Salzburg. Auch der erfolgreichste israelische Trainer, Barak Bakhar, zurzeit bei Roter Stern Belgrad, spricht öffentlich über den Krieg. Zum Beispiel über die 22 Jahre alte Enkelin des ehemaligen Nationaltrainers Shlomo Scharf, die von der Hamas getötet wurde.

In Israel hält die Fußballgemeinde zusammen, doch in Europa stößt sie auf Widerstände. Bei Celtic Glasgow schwenken Ultras seit Jahren palästinensische Fahnen, weil sie angeblich auf der Seite der „Unterdrückten“ stehen wollen. Bei einem Spiel am 7. Oktober, als die Lage im Süden Israels noch nicht absehbar war, forderten Celtic-Fans einen „Sieg des Widerstandes“. Darüber zeigte sich der israelische Spieler Liel Abada, der seit 2021 für Celtic spielt, enttäuscht. Nach den israelischen Bombardierungen auf Gaza forderten einige Celtic-Anhänger die Entlassung Abadas.

Auch in Spaniens kochen die Emotionen hoch. Der israelische Stürmer Shon Weissman, der für den FC Granada spielt, soll für feindselige Posts gegen Palästinenser angezeigt worden sein. Weissman erhielt Drohungen. Auf Empfehlung der Sicherheitsbehörden nahm er nicht am Spiel bei CA Osasuna in Pamplona teil, wo Fans wiederholt palästinensische Flaggen geschwenkt haben.

Anders ist es in der Türkei, wo sich Präsident Erdogan scharf von Israel abgrenzt. Auch die Süper Lig bekundete mit Aktionen ihre Solidarität mit den Palästinensern, unter anderem mit Schweigeminuten und Bannern. Weil der Terror der Hamas dabei nicht erwähnt wurde, boykottierten die israelischen Spieler Ramzi Safuri und Sagiv Jehezkel ein Spiel ihres Clubs Antalyaspor.

Keine Normalität mehr

„Seit Beginn des Krieges gibt es keine Normalität mehr“, sagt der israelische Historiker Moshe Zimmermann, der sich seit Jahren auch mit Fußball befasst. Und: In Israel werde genau wahrgenommen, wo Solidarität geäußert wird. In England zögerte die Premier League, bis sie mit deutlichen Statements an die Öffentlichkeit ging. Fans des FC Liverpool wurden offenbar daran gehindert, eine Trauerbotschaft für ermordete Israelis im Stadion aufzuhängen. In Deutschland hingegen lud Borussia Dortmund Verwandte israelischer Opfer ins Stadion ein.

Die Nationalspieler, die bei israelischen Clubs unter Vertrag stehen, haben in den vergangenen Wochen keine Pflichtspiele bestritten. Dutzende ihrer Fans wurden beim Angriff der Hamas getötet, daran erinnern die Vereine mit regelmäßigen Videobotschaften. Trotz allem kann sich das israelische Nationalteam in den vier Spielen in zehn Tagen von Sonntag an zum ersten Mal für eine Europameisterschaft qualifizieren.