Eine flache Atmung macht uns auf Dauer schlapp. Atemtherapie kann bei Asthma, Angststörungen oder Bluthochdruck helfen – und ersten Studien zufolge offenbar auch bei Long Covid.

Zuerst waren es nur leichte Symptome, doch schnell kamen Atemnot und Lungenschmerzen hinzu. Und schließlich war da „das Gefühl, wie bei vollem Bewusstsein zu ertrinken“ – so beschrieb die Politikerin Karoline Preisler eindrücklich ihre schwere Corona-Infektion in der frühen Phase der Pandemie. Atem- und Lungenbeschwerden gehören zu den häufigsten Symptomen von Covid-19. Auch Gesunde, die unter ihren Schutzmasken ins Keuchen kamen, nahmen auf einmal ihr Atmen wahr.

 

„Im Zug der Pandemie ist das Interesse an Atmung und Beatmung enorm gewachsen“, sagt Rainer Stange, Präsident des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin (ZAEN). Solange keine Störungen entstehen, haben Menschen wenig Grund, über die Atmung nachzudenken – schließlich funktioniert sie ganz automatisch.

Mehr als 10 000 Liter Luft bei rund 20 000 Atemzügen täglich

Im Schnitt macht ein Erwachsener rund 20 000 Atemzüge täglich und atmet dabei mehr als 10 000 Liter Luft ein, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Gesteuert wird die Atmung vom Atemzentrum im Gehirn. Es erhält Signale über den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt des Blutes und passt daran die Atemfrequenz an. Beim Einatmen spannen das Zwerchfell und die Zwischenrippenmuskeln sich an und dehnen den Brustkorb nach unten, sodass die Lungenflügel sich weiten und mit Luft füllen können. Im Ausatmen lösen diese Muskeln die Spannung, sodass Zwerchfell und Brustkorb wieder in die Ausgangslage zurückschwingen und die Luft aus der Lunge herausgedrückt wird.

Oft wird behauptet, viele Menschen würden heute „falsch“ atmen. Experten sind bei solchen Bewertungen vorsichtig. „Man atmet so, wie die Bedingungen im Organismus gerade gegeben sind“, sagt etwa Annechien Ihnen vom Berufsverband für Atempädagogik, Atemtherapie sowie Atempsychotherapie (Atem). „Ist zum Beispiel das Zwerchfell verspannt, kann nicht tief in den Bauch geatmet werden.“ Verspannungen dieser Art kommen ihrer Beobachtung nach häufig vor – oft deshalb, weil Durchschnittsbürger heute viel Zeit sitzend verbringen. Wer stundenlang zusammengesunken auf dem Stuhl verharrt, vielleicht noch übergewichtig ist und enge Kleidung trägt, kann nicht tief atmen.

Die Nasenatmung hat gleich mehrere Vorteile

Auf Dauer hat dies zur Folge, dass der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt und durchblutet wird: „Uns geht dann Vitalität verloren.“ Ihnen empfiehlt unter anderem: öfter mal die Position wechseln, manchmal durchdehnen, auch mal gähnen oder seufzen. „Grundsätzlich gilt: Jegliche Muskeltätigkeit ist besser als keine.“

Wenn irgend möglich, sollte man durch die Nase atmen. Das hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen filtert die Nase Keime und schädliche Stoffe aus der eingeatmeten Luft. Zum anderen sei Nasenatmung wegen des größeren Luftwiderstands bereits „ein regelmäßiges Training für das Zwerchfell“, sagt Ihnen. Mundatmung dagegen macht unter anderem anfälliger für Atemwegsinfekte, Karies und Zahnfleischentzündungen.

Das Thema Atmung ist ein weites Feld: Diversen Atemtechniken werden viele verschiedene positive Wirkungen zugeschrieben – angefangen von der Stärkung des Immunsystems bis hin zu Schmerzlinderung, Stimmungsaufhellung und Konzentrationsförderung. „Es liegen allerdings nicht viele handfeste Studien vor“, sagt Stange.

Bei Asthma und Long Covid können Atemübungen helfen

Recht klar ist, dass Atemübungen bei Erkrankungen wie Asthma hilfreich sein können. Auch bei Covid-19 und Long Covid spielen sie eine wichtige Rolle – auf die günstigen Effekte weisen bereits erste Studien hin. Schon die einfache „Lippenbremse“ kann bei Atemnot hilfreich sein: Dabei wird die Luft durch den gespitzten, leicht geöffneten Mund langsam ausgeatmet.

Daneben haben sich atemtherapeutische Techniken im psychosomatischen Bereich bewährt. „Zum Beispiel können sie bei Angststörungen erstaunlich wirksam sein“, sagt Stange. Angst und Stress aktivieren das sympathische Nervensystem, das wiederum Herzschlag und Atmung beschleunigt. Ursprünglich hatte das den Sinn, den Menschen auf Kampf oder Flucht vorzubereiten. Durch gleichmäßiges, bewusstes Atmen lässt sich der Parasympathikus, der „Ruhenerv“ und Gegenspieler des Sympathikus, aktivieren, sodass der Stress nachlässt. „Eine goldene Regel ist, die Ausatmung zu verlängern“, sagt Ihnen. „Als Reflex darauf wird auch die Einatmung tiefer.“

Dieses Prinzip ist auch für die „4711“-Methode entscheidend, die der Regensburger Psychosomatik-Professor Thomas Loew entwickelt hat. Dahinter verbirgt sich Folgendes: vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden ausatmen – und das Ganze elf Minuten lang. Die üblichen zwölf bis 15 Atemzüge, die ein Erwachsener pro Minute macht, werden so auf um die sechs reduziert. Auf diese Weise, argumentiert Loew, werde dem Körper vorgegaukelt zu schlafen, sodass er auf Regeneration umschaltet. „Es ist gut belegt, dass sich dadurch der Blutdruck signifikant senken lässt“, sagt er.

Einfache Atemübungen zum Entspannen

Atemzüge zählen
Dazu setzt man sich bequem aufrecht hin und zählt beim Einatmen „eins“, beim Ausatmen „zwei“, beim nächsten Einatmen „drei“ – bis zehn. Dann zählt man von zehn zurück und fängt wieder von vorne an. Die Übung hilft, die Aufmerksamkeit auf die Atmung zu lenken.

Nasenwechselatmung
Bei der Nasenwechselatmung atmet man durch das eine Nasenloch ein, hält die Luft an und atmet sie durch das andere Nasenloch langsam wieder aus. Mehrfach wiederholt, kann die Übung zur Entspannung beitragen.

4-7-8-Methode
Zuerst atmet man durch den Mund aus. Dann atmet man vier Sekunden lang durch die Nase ein, hält die Luft sieben Sekunden lang und atmet dann acht Sekunden lang durch den Mund aus. Die Technik hilft zum Beispiel, schneller einzuschlafen.

Bienensummen
Man setzt sich aufrecht hin und beobachtet den Atem für eine Weile. Dann atmet man durch die Nase ein und summt beim Ausatmen wie eine Biene – die Lippen vibrieren dabei. Das wiederholt man mehrere Male.