Erst wird die umstrittene Südtiroler Band für den Echo nominiert, dann, nach Aufschrei und Empörung, vom Musikpreis ausgeschlossen. Was bleibt, sind viele Fragen über einen Preis, den schon viele bekommen haben.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Zunächst einmal könnte man bei der Debatte um die in zwei Wochen anstehende Echo-Verleihung an den Geografiekenntnissen der Mitglieder der ausrichtenden deutschen Phonoakademie zweifeln. Die Stadt Brixen, Heimat der Band Freiwild, liegt im italienischen Südtirol, weswegen eine Nominierung für den Echo in der griffig „Gruppe Rock/Alternative (national)“ betitelten Kategorie natürlich per se Nonsens ist – es sei denn, man wolle den Begriff „national“ ganz anders deuten.

 

Man könnte sich allerdings auch über die plötzliche Empörung wundern. Denn vor drei Jahren war Freiwild schon einmal in der gleichen Kategorie für den Echo nominiert – und es protestierte ebenso wenig jemand, wie dies bei den drei Gelegenheiten der Fall war, bei denen der Südtiroler Band in Deutschland bereits Goldene Schallplatten überreicht wurden.

Seit einigen Tagen schlagen die Proteste aber hohe Wellen. Zuerst erklärte die in der gleichen Echo-Kategorie nominierte Band Kraftklub, wegen Freiwild nicht an der Verleihung teilzunehmen, danach beklagten sich die mitnominierten Bands Mia und die Ärzte, am Donnerstagabend zogen die Ausrichter schließlich die Notbremse: „Um zu verhindern, dass der Echo zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung wird, hat sich der Vorstand nach intensiven Diskussionen dazu entschlossen, in die Regularien des Preises einzugreifen und die Band Freiwild von der Liste der Nominierten zu nehmen“, erklärte Florian Drücke, der Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie.

Politologen lassen kein gutes Haar an Freiwild

Ob sich Kraftklub, Mia und die Ärzte – die allesamt mitteilten, auf den Preis pfeifen zu wollen, – die Sache nun anders überlegen werden, muss sich noch weisen. Falls nicht, stünde der erste Sieger schon vor der Verleihung am übernächsten Donnerstag fest: denn in dieser Kategorie ist von fünf aufgestellten Gruppen jetzt nur noch die Band Unheilig übrig geblieben.

Die Bedenken der Musiker sind freilich nachvollziehbar. Alle vier Mitglieder der 2001 gegründeten Rockband Freiwild sind Anhänger der höchst dubiosen Band Böhse Onkelz. Der Freiwild-Sänger Philipp Burger sang zuvor in der Rechtsrockband Kaiserjäger, die sich nach einer Massenschlägerei zwischen Neonazis aufgelöst hat. Burger war zudem Mitglied der rechtspopulistischen Partei Die Freiheitlichen. Auf einer Veranstaltung dieser Partei wollte Freiwild 2008 auch auftreten, erst nach heftigen Protesten sagte die Gruppe diesen Auftritt ab. Im Umfeld ihrer Konzerte kam es bereits mehrfach zu rechtsextremen Übergriffen.

Der Berliner Politologe Christoph Schulze attestierte in der „Zeit“ der Band „ultranationalistische“ Inhalte; sein Kollege Günther Pallaver von der Universität Innsbruck konstatiert, dass Freiwild „eine Blut-und-Boden-Ideologie besingt und genau dort anknüpft, wo man 1945 geglaubt hatte, einen Bruch vollzogen zu haben“; der Geschäftsleiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung, Dirk Wilking, bezeichnet sie als rechtsextrem.

Freiwild füllt die größten Konzerthallen in Deutschland

Die Anhänger der Band teilen diese Bedenken hingegen nicht. Das aktuelle, im Oktober 2012 veröffentlichtes Freiwild-Album „Feinde deiner Feinde“ war einer der meistverkauften Tonträger im Rockmusikgenre im vergangenen Jahr. Das Album erreichte Platz zwei der deutschen Charts, ebenso übrigens wie sein Vorgänger „Gegengift“ im Jahr 2010.

Und die unheimliche Popularität der zweifelhaften Band lässt sich auch anhand der letzten Konzerte in der Region Stuttgart ablesen. 2009 spielte sie noch im rund 1500 Zuschauer fassenden LKA, ein Jahr später bereits in der größeren Filharmonie in Filderstadt, und bei ihrem einstweilen letzten Stuttgarter Auftritt im Dezember 2011 bereits in der Schleyerhalle, der größten und bis zu 15 000 Besucher fassenden Arena der Stadt.

Den Ausrichtern der Echo-Gala wiederum muss man zwar sicher Instinktlosigkeit vorwerfen, in gewisser Weise sind ihnen jedoch die Hände gebunden. Die Regularien des Preises schreiben vor, dass die Kandidaten schlicht nach den Verkaufszahlen ihrer Alben in Deutschland nominiert werden. In einer hastigen Kehrtwende hat der Bundesverband Musikindustrie nun angekündigt, die Regularien ändern zu wollen. Um eine italienische Band für einen Preis für deutsche Musiker nicht zu nominieren, müsste man dies bestimmt nicht. Und an der grundsätzlichen Problematik, welche den Echo schon seit Jahren begleitet, ändert sich so schnell wohl ohnehin nichts: Beim „,wichtigsten deutschen Musikpreis’, der uns sowieso nie interessiert hat“, wie die Ärzte spöttisch konstatierten, wird größtmöglicher Kommerz, nicht höchstmögliche Qualität ausgezeichnet.