Die Verfilmung des Bestsellers „Russendisko“ von Wladimir Kaminer wirft einen nostalgischen Blick zurück.

Genießen Stuttgart - Sie die letzten Wochen in der Deutschen Demokratischen Republik!“, sagt der Beamte zu den drei frischfrohen Jungs aus Russland und stempelt ihnen leicht resigniert Aufenthaltsgenehmigungen in die Pässe. Es ist der Frühling des Jahres 1990, die Mauer ist gefallen, die Geschichte hält mal kurz den Atem an. Das Alte ist schon fast weg, das Neue aber noch nicht ganz da, und in diese unreglementierte Umbruchszeit stürmen nun die Freunde Wladi (Matthias Schweighöfer), Mischa (Friedrich Mücke) und Andrej (Christian Friedel) hinein. Ihre Heimatstadt Moskau kann ihnen außer der Arbeitslosigkeit nichts mehr bieten, Berlin aber wirkt für dieses Trio wie eine Boomtown. Die große Freiheit ist angebrochen, auch wenn die nicht unbedingt so aussieht wie jene, die Joachim Gauck beschwört.

 

Als Wladimir Kaminer im Jahr 2000 seinen halbautobiografischen Bestseller „Russendisko“ schrieb, war auch das schon ein Rückblick auf rauschhaft intensiv erlebte Jugendzeiten. Die Verfilmung von Oliver Ziegenbalg, welche die losen Episoden der Vorlage durch eine mehr oder weniger stringente Geschichte verklammert, vergrößert den Abstand nun um ein weiteres Jahrzehnt – sie inszeniert also Erinnerungen an deutsche Historie.

Das Berlin von damals, so sagen der Regisseur und sein Produzent Christoph Hahnheiser, sei kaum mehr zu finden gewesen, man habe es deshalb meist im Studio Babelsberg nachgebaut. Aber es geht diesem Film, der immer wieder Stilmittel wie Zeichentricksequenzen oder den Wechsel der Jahreszeiten in einer einzigen Einstellung ausprobiert, sowieso nicht um einen Realismus der Fakten und Details, es geht ihm um ein märchenhaft-nostalgisches Nachempfinden. Eines der Vorbilder war denn auch der Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“.

Das Brachland, die Backsteinmauern, die Hinterhöfe und die Treffpunkte der Off-Kulturszene: was in den Berlin-Filmen der frühen Neunziger noch trist und öde aussah, stellt sich nun als pittoresk-attraktive Schäbigkeit dar, ja, als beschwingt gefilmte Erlebnislandschaft voller Möglichkeiten. Sogar das Wohnheim in Marzahn, in dem sich die drei Helden ein Zimmer mit zwei Betten teilen, erscheint als beinahe utopischer Ort, an dem sich afrikanische Wunderheiler finden oder ein Albaner-Clan, der Italienisch lernt und eine Pizzeria eröffnet. Mischa versucht sich als Musiker („Those were the Days“ auf Russisch!), Andrej mischt im Schwarzmarkt mit („Beste deutsche Dosengetränke!“), Wladi aber treibt einfach unbekümmert und ziellos durch die Szene, immer ein keckes Hütchen auf dem Kopf, immer ein sonniges Lächeln im Gesicht. „Kannst du auch manchmal ernst sein?“ fragt ihn folglich die schöne Olga (Peri Baumeister).

Nein, so richtig ernst kann Wladi nicht sein, schließlich baut die ganze „Russendisko“ auf seinem ironisch-komischen Grundoptimismus auf. Aber die Liebe und damit auch die Romantik und die Melancholie funken jetzt doch in diesen Film hinein, dem die Bebilderung eines aufregenden Jugendgefühls immer wichtiger ist als der Fortgang der Handlung. Und dieses Gefühl ist hier natürlich auch verbunden mit jener Musik, die Wladimir Kaminer damals in einer Berliner Kneipe auflegte und die von den Filmemachern so charakterisiert wird: „Die Energie von Punk, die Seele von Russland“. Wenn Kaminers Alter Ego Wladi nun zum Tanz bittet, wird die Russendisko zu einem Refugium, an dem das Heimweh kuriert werden kann – und zwar nicht nur das Heimweh nach einem Ort, sondern auch das nach einer ganzen Zeit.

So ist „Russendisko“ als Film nun zu charmant-heiterer Folklore geworden und damit auch zum Gegenstück jener bösen Bilder, in denen Berlin von brutalen russischen Banden durchsetzt ist. Was Wladi, Mischa und Andrej alles anstellen, ist zwar auch nicht immer legal – als sie mal vietnamesischen Zigarettenhändlern in die Quere kommen, ist auch fast Schluss mit lustig – , letztlich aber wird in diesem Film alles hineingebogen in die Rubrik Jugendstreiche.

Nein, zu viel Wirklichkeit will sich dieser Film nicht zumuten, und deshalb sprechen seine drei Helden auch akzentfreies Deutsch. Ein slawischer Einschlag ist nur dann zu hören, wenn im Radio der Russendoktor seine wunderlich-absurden, mitunter aber auch sehr praktischen Ratschläge erteilt. Aber den spricht ja auch Wladimir Kaminer selber.

Russendisko. Deutschland, 2011. Regie:Oliver Ziegenbalg. Mit: Matthias Schweighöfer, Friedrich Mücke, Christian Friedel. 100 Minuten. Ab 6 Jahren. Cinemaxx SI, Gloria, Ufa