Keine ist so schillernd wie sie: die Schriftstellerin Sibylle Berg. Sigrun Köhler und Wiltrud Baier, besser bekannt als „Böller und Brot“, haben sich der unnahbar wirkenden Autorin genähert und einen Porträtfilm über sie gedreht. An diesem Donnerstag kommt „Wer hat Angst vor Sibylle Berg“ in die Kinos.

Stuttgart - Sie schreibt Theaterstücke, verkauft Bestseller und wabert nebenher als sarkastisch-brillante Intro-Stimme durch Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“: Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Berg wirkt auf viele so anziehend wie ungreifbar. Die Stuttgarter Filmemacherinnen Sigrun Köhler und Wiltrud Baier, besser bekannt als „Böller und Brot“, haben mit ihrem Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ nun das ungewöhnliche Bild einer ungewöhnlichen Frau gezeichnet. Im Interview sprechen sie über Lügen und Wahrheit, über Kunstfiguren und ihre Zeit mit der extravaganten Schriftstellerin.

 
Frau Köhler, Frau Baier, für Ihren Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Sibylle Berg?“ haben Sie die Schriftstellerin ein Jahr lang begleitet. Viele Leute sagen, mit ihr würden sie es nicht einmal eine halbe Stunde aushalten. Wie ging es Ihnen mit dem berühmten Berg’schen Sarkasmus?
Sigrun Köhler: Wir haben das nicht als schwierig wahrgenommen. Wir sind immer neugierig, wie jemand mit seinem Leben umgeht. Und Sibylle Berg geht da ihren ganz speziellen Weg. Sie hat brillante Gedanken, ist klug und wahnsinnig schnell im Kopf.
Vor allem Männer stehen ihr ja oft sehr abwehrend gegenüber.
Wiltrud Baier: Ich habe an den Reaktionen zum Film erst gemerkt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung da ist: Männer dürfen alles sein. Frauen hingegen sind immer in erster Linie Frau – und dann können sie noch zusätzlich etwas anderes sein. Aber man darf als Frau nicht einfach nur Schriftsteller sein. Da reagieren gerade Männer ganz stark.
Wobei auch Sie selbst mit einer Aufzählung von Pressestimmen in Ihren Film einsteigen, die aufzeigen, wie provozierend die Öffentlichkeit Sibylle Berg wahrnimmt. Woher kommt das?
Köhler: Ich denke, dass das bei Sibylle vor allem mit Freiheit zu tun hat. Sie ist frei genug, Dinge zu sagen, die andere so eben nicht aussprechen würden.
Baier: Ich glaube, das Provozierende ist auch eine Projektion der Menschen auf sie. So wie man sagt, die größten Filmstars hätten ein Gesicht, in das die Leute alles hineinprojizieren können, wird auch bei Sibylle Berg sehr viel projiziert. Sie ist eine starke Frau, und das scheint zu irritieren.
Haben Sie denn selbst das Gefühl, einen Zugang zu ihr gefunden zu haben? Oder sehen wir auch als Zuschauer nur die Kunstfigur „Sibylle Berg“?
Baier: Naja, was genau ist Sibylle Berg neben der Kunstfigur? Ich glaube, die öffentliche Figur ist ein ganz großer Teil ihrer selbst. Das Künstliche aufzubrechen war in diesem Fall gar nicht unsere Intention. Ich glaube, die Herausforderung bei diesem Film war, dass Sibylle sehr wenig Dreharbeiten zugelassen hat. Spätestens nach einer halben Stunde hat sie immer gesagt: „So, jetzt reicht‘s.“
Weil Sie keine Zeit hatte?
Baier: Auch. Sibylle Berg arbeitet sehr viel. Aber auch, weil es nach dieser Zeit immer ein bisschen vertrauter wurde. Sobald es gemütlich war, wurde es gefährlich.
Köhler: Der Film spielt da ja auch ganz bewusst mit der Diskrepanz zwischen Distanz und Nähe. Man fragt sich am Ende, ob man ihr jetzt tatsächlich nah war oder eben doch nicht.
Das Gefühl entsteht auch dadurch, dass Sibylle Bergs Lebensgeschichte so schillernd ist, dass man ständig unsicher ist, ob sie gerade lügt oder die Wahrheit erzählt.
Baier: Genau. Vor den Dreharbeiten hat Sibylle gesagt: „Aber bitte nichts über meine Biografie!“ Was uns natürlich schon erstaunt hat, denn das wäre doch gerade das Spannende. Und dann meinten wir, sie soll uns doch stattdessen einfach schöne Lügengeschichten erzählen.
Köhler: Und wir dachten immer, das sei alles komplett erstunken und erlogen. Erst langsam kam uns der Verdacht, dass vieles vielleicht wahr sein könnte.