Kabarettist Dieter Hildebrandt macht auch im Stuttgarter Renitenztheater sein Ding auf der Bühne und beweist dabei Klasse.  

Stuttgart - "Was fange ich bloß an, wenn ich aufhöre?“ Den Satz lässt er beiläufig gegen Ende seines Auftritts fallen. Und: „Ich geb’s ja nicht gern zu, aber ich mache mir Gedanken.“ Dieter Hildebrandt, Altmeister, Doyen oder Nestor der deutschen Kabarettszene wird bald 84. Alle kennen ihn, jeder ist ihm in Zu- oder Abneigung verbunden, irgendwie. Doch was ist, sollte sein Name eines Tages auf den Programmzetteln der Kleinkunsttheater fehlen? Dieser Wortwitz, diese Schärfe vieler seiner Pointen, dieses scheinbar spontane und dann doch wieder aus der Routine oder sonst woher geholte Kunststottern, dieses gezielte Aufspießen von aus dem Tag, aus der Zeitung oder nur aus der Beobachtung der Realität geholter Kuriositäten: er führt es auch im ausverkauften Renitenztheater vor.

 

Dass am selben Abend die Bundeskanzlerin in der Stadt gastiert, natürlich ist ihm das einen Witz wert – oder auch zwei. „In Stuttgart entscheidet sich Berlin“: Politjargon. Und das Thema Bahnhof streift er auch, eher beiläufig, aus der Überfliegerperspektive. Als Bayer stellt er unter anderem dazu fest, dass München einen Sackbahnhof habe. „Ich kann doch auch nichts dafür“, der Titel seines Programms ist ja ohnehin der Bemerkung eines Bahnbediensteten entlehnt, der dem Kabarettisten erklären muss, dass er eine Fahrkarte zum Auftritt in einem Kaff hinter dem mecklenburgischen Güstrow besitzt, dessen Bahnhof aber schon längst nicht mehr mit dem Zug bedient wird. Eine hintergründige Melancholie mischt sich oft unter seine Ironie, sein Humor hat jetzt nicht nur einen doppelten, sondern einen dreifachen Boden. Ein gespanntes Verhältnis zur Comedy und dass er sich vor den Karren der SPD habe spannen lassen, sagen ihm Kritiker nach.

Hildebrandt gibt den Altersrapper

Auf der Bühne macht er sein Ding, als stehe er über so etwas, souverän. Das ist der Hildebrandt: ein Stil, eine Haltung, eine Art. Der wird sich doch nicht plötzlich ändern, bloß weil ein paar Jungspunde ihm an den Karren fahren wollen. Lehrmeister? Erhobener Zeigefinger? Das Besondere im Allgemeinen, das Allgemeine im Besonderen, das spießt er seinem Publikum verschmitzt lächelnd auf. Guttenberg natürlich, tagesaktuell, Wikileaks, Sarrazin, Hartz IV, Westerwelle und so weiter. Die Kirche? Natürlich. Vom Regensburger Bischoff hat er’s, der sich von den Medien verfolgt fühle. „Niemand verfolgt die Kirche, wir verfolgen nur gespannt, wie sie sich aus ihren Affären zieht, von denen der Papst übrigens nie was weiß.“ Kunstpausen. „Naja, von denen der Chef vielleicht auch nichts weiß“. Angedeutete Grotesken.

Über die sogenannten Stadtplaner, die die Städte verpfuschen und verschandeln, lässt er sich aus, gewiss. So etwas zeigt bei ihm inzwischen in Richtung Bahnhofsmelancholie, gerade in Stuttgart.

Aber er gibt auch den Altersrapper, wozu er mit dem Gehstock den Beat schlägt: „Wo ich geh, wo ich steh, was ich höre, was ich seh, rappen Deppen diesen Schmäh, den ich meistens nicht versteh’“ – bizarr, grenzwertig. Er holt sich auch ein paar billige Pointen ab. Das hat er immer schon, aber jetzt tut er das aus der Sicht eines nicht nur milde lächelnden Kabarettisten, den manche altershalber aufs Abstellgleis schieben wollen, weil er vermeintlich zu lange den Maßstab gegeben hat. „Ich kann doch auch nichts dafür“: die Wirklichkeit im kabarettistischen Spiegel. Natürlich ist er darin saugut.