Bis zu 300 Milliarden Euro müsste Deutschland zahlen, um Zerstörungen durch die Kriege auszugleichen. Das meinen viele in Athen. Die Regierung in Griechenland aber spielt auf Zeit.

Athen - Es geht um Geld, sehr viel Geld: 100, 160, vielleicht sogar 300 Milliarden Euro. So viel schuldet Deutschland angeblich den Griechen für Massaker und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland anrichteten. 68 Jahre nach Kriegsende ist das Thema der deutschen Reparationen aus Sicht vieler Griechen aktueller denn je. Aber die Athener Regierung weiß nicht so recht, wie sie mit der heiklen Sache umgehen soll. Dass im Zuge der griechischen Schuldenkrise die Reparationen wieder auf die Tagesordnung kommen würde, war abzusehen. Das, was viele Griechen als „Merkels Spardiktat“ empfinden, weckt antideutsche Emotionen. Oppositionsparteien, vom radikal-linken Bündnis Syriza bis zu den rechts-nationalistischen Unabhängigen Griechen, drängen die Regierung, Deutschland endlich mit seiner Schuld und seinen Schulden zu konfrontieren.

 

Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, setzte Finanzminister Giannis Stournaras nach der Wahl vom vergangenen Juni eine Arbeitsgruppe ein, die auflisten sollte, um welche Forderungen es geht. Anfang März lieferten die Prüfer ihren Bericht ab. Er umfasst 80 Seiten und ist als „Streng geheim“ klassifiziert. War bisher nur von Reparationen für die Besatzungsjahre 1941 bis 1944 die Rede, lässt die griechische Regierung nun auch Forderungen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs prüfen. Damit könnte sich die Summe, um die es geht, dramatisch erhöhen – wegen der seit 1918 aufgelaufenen Zinsen. Auf welchen Betrag die Berichterstatter die Reparationsforderungen beziffern, ist unbekannt. Das Finanz- und das Außenministerium halten den Bericht unter Verschluss. Aber Zahlen kursieren seit Jahren.

Der Bericht gilt als streng geheim

Der frühere Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der zum Nationalhelden wurde, als er in der Nacht zum 30. Mai 1941 die Hakenkreuzfahne auf der Akropolis einholte und dort die Griechenflagge hisste, beziffert die Reparationsforderungen auf 108 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 54 Milliarden für einen Zwangskredit bei der Bank von Griechenland, mit dem die Deutschen den Griechen auch noch die Kosten für die Verpflegung und den Sold der Besatzungssoldaten aufbürdeten. Unter dem Strich wären das 162 Milliarden Euro. Andere Schätzungen gehen sogar noch weit darüber hinaus.

In wenigen besetzten Ländern haben die Deutschen nämlich so gewütet wie in Griechenland. In den dreieinhalb Besatzungsjahren wurden rund 130 000 griechische Zivilisten exekutiert, darunter Frauen, Kinder und Greise – meist als „Sühnemaßnahmen“ für Partisanenangriffe. 70 000 griechische Juden wurden in die KZs verschleppt. 300 000 Griechen erfroren und verhungerten, weil die Deutschen Lebensmittel und Brennstoffe konfisziert hatten. 500 000 Wohnungen, 50 Prozent der Industrie und 75 Prozent des Straßen- und Schienennetzes wurden zerstört. 1960 zahlte Deutschland 115 Millionen DM Entschädigung. Das Geld war vor allem für die Hinterbliebenen ermordeter Juden bestimmt. Auf Reparationen und die Rückzahlung der Zwangsanleihe warten die Griechen jedoch bis heute vergeblich.

Für die deutsche Seite hat sich das Thema erledigt

Nach offizieller deutscher Lesart hat sich das Thema längst erledigt. Fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende stelle sich die Frage nicht mehr, heißt es. Griechenland dagegen betrachtet das Thema als offen: Man behalte sich vor, „eine befriedigende Lösung zu finden“, erklärte Vize-Finanzminister Christos Staikouras. Ein Verzicht auf die Forderungen würde im Land einen Sturm der Empörung auslösen. Andererseits will Ministerpräsident Antonis Samaras sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht erneut belasten. Bisher sind auch alle Versuche griechischer Kläger, deutsche Entschädigungen vor griechischen, deutschen und internationalen Gerichten zu erstreiten, gescheitert. Athen schiebt das heikle Thema deshalb vor sich her. Das Außenministerium hat jetzt erstmal ein Rechtsgutachten staatlicher Juristen dazu in Auftrag gegeben.