Es sind drängende Fragen, welche die Bezirksbeiräte aus allen 23 Stadtbezirken an diesem Freitagabend ins Rathaus getrieben haben. Doch ein großes Thema wird nur am Rand gestreift: Wo genau Geflüchtete in den Stadtbezirken untergebracht werden, so die Vereinbarung vor der Veranstaltung, wird nicht gesprochen.„Es soll ums große Ganze gehen. Es soll um die Grundlinien und die Grundzüge gehen“, sagt Sozialministerin Alexandra Sußmann (Grüne) bei ihrer Einführung.
Dort wummern an diesem Abend im Foyer Bässe, die Vorbereitungen für die Lange Nacht der Museen laufen auf Hochtouren. Exakt zwei Stunden sind für die Sitzung vorgesehen, dann muss der Saal umgebaut werden.
Es geht an diesem Abend darum, den Bezirksbeiräten die Arbeit der Taskforce „Unterbringung Geflüchteter“ zu erklären, die sich seit gut zwei Jahren mit der Flüchtlingsunterbringung beschäftigt. Es geht um die Verteilung der aktuell gut 10 000 in der Stadt untergebrachten Geflüchteten auf die Stadtbezirke sowie um die Art und Weise, wie nach Standorten für Modulbauten gesucht wird und um die Bauten selbst. Viel ist von Freitreppen, Schimmelschutz und Brandschutzbestimmungen die Rede.
Die Fragen, die auf die drei Bürgermeister einprasseln, zeichnen allerdings ein Bild dessen, was die Menschen vor Ort eigentlich beschäftigt. Warum werden Büroflächen nicht genutzt und Flüchtlinge gleichzeitig auf engem Raum untergebracht? Wie werden die Modulbauten weiterverwendet? Lohnt die Begrenzung auf drei Jahre wirtschaftlich? Wird die schulische Versorgung der Kinder bei der Verteilung berücksichtigt, fragt eine Bezirksbeirätin aus dem Norden. Ein Ehrenamtlicher aus Münster will wissen, wie die Stadtverwaltung damit umgeht, wenn ein Standort vom Bezirksbeirat abgelehnt wird. Einen Bezirksbeirat aus Untertürkheim treibt um, ob die Belegung in den Nachbarstadtteilen und das Sozialgefüge berücksichtigt werden. Wenn nicht, fürchtet er: „Dann haben wir den perfekten Start in eine Gettoisierung.“
Die hinzugezogenen Mitarbeiter beschwichtigen, doch aus ihren Antworten geht auch hervor, wie wenig Spielraum die Stadt bei der Standortsuche hat. Bürgermeister Fuhrmann betont, zwar würden Bezirksvorsteher eingebunden, der Gemeinderat habe aber das letzte Wort über die Standorte. Am kommenden Donnerstag etwa steht die Entscheidung über neue Modulbauten in Wangen, Mühlhausen und Sillenbuch an.
Zustände in der Ausländerbehörde
Immer wieder wird die schwierige Lage in der Ausländerbehörde thematisiert. Ein Bezirksbeirat beschreibt die Zustände in Zuffenhausen. Die Sozialbürgermeisterin beschwichtigt, das Problem sei erkannt. Es sei kein Geheimnis, dass die Situation schwierig sei. „Da wird mit Hochdruck dran gearbeitet, um die Situation zu verbessern“, sagt sie.
Zwei klare Ansagen haben die Bürgermeister an diesem Abend im Gepäck: „Wir halten am Stuttgarter Weg fest“, sagt Sußmann. Das heißt, Flüchtlinge sollen weiterhin in nicht zu großen, dezentralen Unterkünften in allen Stadtteilen untergebracht werden. „Jede Belegung mit mehr als 150 Menschen ist fast schon zu groß“, sagt sie. Und es soll weiterhin vermieden werden, Turnhallen zu belegen. „Wir wollen alle Maßnahmen nutzen, um dieses Ziel zu erreichen“, verspricht Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann.
Die Diskussion bleibt sachlich, auch wenn nicht alle Antworten befriedigend ausfallen. Fragen nach konkreten Standorten, die dann doch gestellt werden, wiegelt Fuhrmann ab. Die Bürgermeister bleiben bei ihrer Linie – wohl auch, weil sie wissen, dass die Sitzung sonst kein Ende nehmen würde.
Buh-Rufe für die AfD
Nur einmal wird es unruhig im Saal. Ein stellvertretender AfD-Bezirksbeirat aus Bad Cannstatt erntet Buh-Rufe, als er fordert, Stuttgart müsse aus dem Bündnis „Städte Sicherer Häfen/Seebrücke“ austreten. „Geht’s eigentlich noch?“ ruft einer, ein anderer „Thema verfehlt!“ Ein Bezirksbeirat der SÖS/Linke/Plus aus Möhringen kontert mit der Frage, ob Stuttgart nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland dieses Jahr mit Binnenflüchtlingen rechne und erntet damit Lacher und Applaus.
Eine Bezirksbeirätin ist nach der Sitzung erleichtert. Sie hatte befürchtet, dass die Diskussion aus dem Ruder laufen könnte. Andere sind unzufrieden über die Flughöhe – und dass die drängenden Fragen der Standorte ausgeklammert wurden. Stattdessen sei zuviel über Wandfarben und Brandschutz in Modulbauten gesprochen worden.
Geflüchtete in Stuttgart
Lage in Stuttgart
Ende Januar waren rund 10 200 Geflüchtete in Stuttgart untergebracht. Jeden Monat kommen etwa 100 Menschen hinzu, so die Rechnung der Stadtverwaltung. Rund 3000 leben in Notunterkünften wie Hotels. Bürgermeisterin Alexandra Sußmann will daran arbeiten, mehr Menschen in Regelunterkünfte zu bringen.
Stuttgarter Weg
Seit Jahren werden Geflüchtete in Stuttgart möglichst dezentral auf alle Stadtbezirke verteilt untergebracht. Die Menschen sollen von bürgerschaftlichem Engagement begleitet werden, außerdem ist eine angemessene Betreuung angedacht. In der vorläufigen Unterbringung läuft das auf einen Schlüssel von 1 zu 90 hinaus. ang