Ein landesweit innovatives Wohnprojekt in Ditzingen soll Generationen verbinden und Pflege dort bieten, wo sie nötig ist. Die Realität sieht anders aus

Aus der Küche sind Stimmen zu hören, in der Cafeteria sitzt ein einziger Gast. Auch die Terrasse, von der man einen Blick in die weite Landschaft hat, ist leer. Es ist ruhig im Wilfried-Börgerling-Haus in Heimerdingen. Ein Bewohner macht sich in Richtung Ortsmitte des Ditzinger Ortsteils auf. „Wenn das Haus voll belegt ist, dann kommt hier richtig Leben rein“, sagt der Geschäftsführer Levin Kalmbach. Dann funktioniere auch das Konzept des Projekts, das Wohnen und bei Bedarf ambulanter Pflege verbindet. „Hier entsteht etwas, was ein Quartiersmittelpunkt werden kann.“

 

Das generationsübergreifende Wohnprojekt war zum Zeitpunkt seiner Planung landesweit einmalig. In der Wohnanlage befinden sich 27 Wohnungen, von denen 18 auf dem freien Markt vermietet werden, sowie 16 Pflege-Apartments. Zudem ist Raum für zwei Demenz-Wohngruppen. Die Einrichtung hat eine Tagespflege und einen eigenen ambulanten Dienst. Ihre Cafeteria mit der großen Terrasse, in der ein Mittagstisch angeboten wird, steht jedem offen – Spaziergänger, Vereine, Kaffeekränzchen.

Der Markt ist leer

Eigentlich sollte die Cafeteria an sieben Tagen die Woche offen sein. Und eigentlich sollte bereits die zweite Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz belegt sein. Doch die Realität ist eine andere: Die Cafeteria hat montags und dienstags zu und die zweite Demenz-WG ist noch gar nicht eröffnet – trotz langer Warteliste. „Wir könnten sofort aufmachen“, sagt Kalmbach. Elf Bewerber drängen auf acht Plätze. „Wir müssen sie vertrösten“, sagt der 38-jährige Betriebswirt.

Das Problem: Es fehlt Personal, hier wie dort. So lange das Personal fehlt, kann die Cafeteria nicht öffnen, können die Plätze nicht belegt werden. Laut Kalmbach fehlen allein für die WG fünf Präsenzkräfte, für die Nacht zudem eine Pflegefachkraft. Pflegefachkräfte fehlen aber auch in anderen Bereichen, den Pflege-Apartments und im Betreuten Wohnen. Laut Geschäftsführer Kalmbach könnte er weitere vier bis fünf Stellen mit Fachkräften besetzen. Doch Bewerber sind rar, der Markt ist leer.

Erst würden Stellen besetzt, dann Plätze oder die noch sieben freien Pflege-Apartments belegt. Zeitarbeitskräfte sind für ihn keine Option. „Wir gehen in der Belegung sehr behutsam vor“, sagt Kalmbach. Der Mitarbeiter koste die Einrichtung 1,8 mal so viel wie eine reguläre, nach Tarif bezahlte Arbeitskraft. „Wir könnten für teures Geld eine Lücke schließen, die wir nicht anders schließen können“, sagt Kalmbach. „Aber wir können in den Wettbewerb nicht eintreten.“ Zudem wolle er das System „nicht um jeden Preis“ unterstützen. Zumal er in derselben Situation sei, wenn die Leasingkraft bei Krankheit ausfalle – Ersatz gebe es keinen. Zeitarbeit in der Pflege sei „eine Gelddruckmaschine für jene, die die Not ausnutzen“, sagt er. Personaldienstleister böten oft deutlich höhere Löhne und dünnten den ohnehin schon knappen Markt damit weiter aus. „Die Pflegeeinrichtung, die ihre Personalschlüssel erfüllen muss und einen gesellschaftlichen Versorgungsauftrag hat, kauft dieses Personal dann teuer ein.“ Das Problem sei nur politisch zu lösen, so Kalmbach.

Seine Kollegin Silke Bötz, die Geschäftsführerin des Breitwiesenhauses im benachbarten Gerlingen, teilt diese Meinung. Sie war einen ähnlichen Weg gegangen. Im Pflegezentrum stand Ende vergangenen Jahres ein kompletter Wohnbereich leer, insgesamt zwölf Plätze – acht davon in der Kurzzeitpflege. Dort werden vorwiegend jene versorgt, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber noch nicht wieder alleine leben können. In Hochzeiten waren 13 Leasingkräfte in Gerlingen im Einsatz. Inzwischen würden keine mehr eingesetzt. „Das tragen die Mitarbeiter mit“, sagt Bötz.

Das Land teilt die Kritik

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe verfolgt das Thema Zeitarbeit seit langem kritisch. „In der Pflegebranche bildete die Leiharbeit bis vor einigen Jahren lediglich eine Nische ohne große Bedeutung. Einrichtungen griffen nur in der größten Not darauf zurück, viele machten dabei eher schlechte Erfahrungen und nahmen aus Sorge um ihr Unternehmensimage schnell wieder Abstand von einer solchen Lösung. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert.“ In der Pflegebranche floriere die Zeitarbeit. Der Anteil der Leiharbeitnehmer an allen Beschäftigten in der Pflege sei mit zwei Prozent weiterhin gering – jedoch mit steigender Tendenz. Allein in der Altenpflege waren vergangenes Jahr landesweit mehr als 2100 Leiharbeitnehmer tätig, knapp 400 mehr als 2020. In der Region stieg die Zahl ebenso wie im Landkreis Böblingen, im Kreis Ludwigsburg sank sie laut der Agentur für Arbeit geringfügig – von 21 auf 18.

Im baden-württembergischen Sozialministerium wird ähnlich kritisch auf die Situation geschaut. Ein wesentliches Element, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei die Ausbildung von Fachpersonal. Darüber hinaus sollten mit Blick auf die Vorgaben des Bundes die bürokratischen Belastungen sowie die starren Regelungen überdacht werden.

„Die Länder setzten sich in unterschiedlichen Gremien für die Aussetzung von Sanktionen, flexiblere und nicht zu kleinteilige Regelungen ein“, sagt ein Ministeriumssprecher des Landessozialministeriums. „Überhaupt ist bei der Lösung dieses Dilemmas der Bund gefragt.“ Erforderlich wäre, das Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung zu ändern, alternativ Regelungen in der Sozialgesetzgebung zu treffen.

Weil das Problem nicht neu ist, setzten die Einrichtungen bisher darauf, Fachkräfte selbst auszubilden. Doch auch das sei keine Lösung mehr, konstatiert Kalmbach: seit der Umstellung auf die generalistische Ausbildung in der Pflege blieben die Interessenten aus. Was die Ursachen dafür sind, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ob es wirklich an der Höhe der Bezahlung hängt, hält Kalmbach zumindest für diskussionswürdig.

Er muss derweil den Mangel verwalten. Wäre das Haus voll belegt, würde sich auch die Cafeteria an sieben Tagen in der Woche rechnen. Vorausgesetzt, er finde ausreichend Servicepersonal und Küchenhilfen.