Documenta 14 in Kassel beginnt Wir sind Athen

Adam Szymczyk hat die d14 unter die Überschrift „Von Athen lernen“ gestellt. Über Fragen zur aktuellen Situation und Kunst erfährt man allerdings erstaunlich wenig.
Kassel - Theodor Heuss wusste: Athen ist eine Reise wert. Als er 1956 nach Griechenland kam, standen zwar diplomatische Gespräche auf dem Programm, aber immer wieder zog der Bundespräsident auch seinen Block hervor und skizzierte die Akropolis. Auch Arnold Bode, der wie viele deutsche Maler, Dichter und Denker von der Griechenlandsehnsucht infiziert war, brachte von seiner Athen-Reise ein Bündel Zeichnungen nach Hause. Ohne eine Skizze der Akropolis fuhr kaum einer der Kulturpilger wieder heim.
Auch Adam Szymczyk hat ein Herz für Athen. Der polnische Kurator hat eine der interessanten, aber auch schwierigsten Posten ergattert, den der Kunstbetrieb zu bieten hat: Er ist der Leiter der Documenta 14, die an diesem Wochenende in Kassel eröffnet wird. Mehrere Tausend Kritiker, Künstler und Kollegen haben sie bereits ins Visier genommen, um zu sehen, ob Szymczyk dem hohen Anspruch gerecht wird. Schließlich will die Documenta wie ein Seismograf dem aktuellen Zeitgeist voraus sein und neue Perspektiven und ungewohnte Denkprozesse initiieren. Seine Vorgängerin, Carolyn Christov-Bakargiev, forderte zum Beispiel Wahlrecht für Erdbeeren und Bienen – um den Menschen vom Thron zu stoßen.
Auch abwaschbare Eulen-Tattoos sollen an Athen erinnern
Adam Szymczyks Konzept lautet schlicht: Athen. Im April wurde bereits Teil eins der „d 14“ in Athen eröffnet, aber auch in Kassel scheinen Säulen, Tempel und griechische Schriftzeichen allgegenwärtig zu sein, einige Mitarbeiter haben sogar abwaschbare Eulen-Tattoos auf den Armen. „Wir sind Athen“, scheint die „d 14“ an jeder Ecke beweisen zu wollen. Deshalb wurden in der Neuen Galerie die engen Verflechtungen zwischen Athen und deutscher Kunst und Kultur nachgezeichnet und erfährt man, dass der Architekt Leo von Klenze nicht nur seine ersten Gebäude in Kassel gebaut hat, sondern es ihn auch nach Athen trieb – wie später Heuss und Arnold Bode.
„Von Athen lernen“, lautet der Leitspruch der „d 14“, was vermuten ließe, dass man dem Publikum eine Lektion in Sachen Weltkapitalismus und Krisen erteilt. Doch auch wenn Griechenland in Kassel omnipräsent scheint, ist Athen kein Schlachtruf, sondern wirkt eher wie ein überstrapaziertes Mantra. Je häufiger man in Kassel über Athen stolpert, desto stärker drängt sich der Eindruck auf, als wolle hier ein nicht wirklich schlagendes Konzept im Nachhinein begründet und legitimiert werden.
Die Documenta an zwei Standorten ist ein gigantischer Kraftakt
Denn in erster Linie ist diese Doppel-Documenta ein gigantischer Kraftakt. In Athen, wo der Startschuss bereits im April fiel, war die Euphorie noch groß, in Kassel wirkte das Team bei der Eröffnungspressekonferenz dagegen ausgelaugt, dabei ist noch längst nicht alles fertig. Ausgerechnet die Beschilderung der Werke ist sehr lückenhaft – mitunter haben die Künstler deshalb einfach ein Blatt mit ihrem Namen an die Wand geklebt.
Auch wenn es recht wenige Arbeiten im öffentlichen Raum sind, ziehen sich auch diesmal die Ausstellungsorte wieder quer durch die Stadt. Die „d 14“ ist im Stadt- und im Landesmuseum zu Gast, aber auch in verlassenen Fabrikgebäuden oder in der Alten Post, einer riesigen Halle, in der es so munter flimmert und flirrt, wie man es sich von zeitgenössischer Kunst erwartet. Daniel Knorr bläst aus dem Zwehrenturm Rauch, im Park der Karlsaue hat Antonio Vega Macotela eine „Blutmühle“ aufgebaut, bei der mit Menschenkraft Münzen geprägt werden – in Erinnerung an Sklavenarbeit.
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