Die Autoren des Films behaupten: Es geht hier um die „größte Landnahme der Weltgeschichte“. Oder: Wie die Staaten diskret nach Bodenschätzen greifen, erzählt die Arte-Doku „Die Eroberung der Weltmeere“.
Stuttgart - Okinotorishima stirbt, na und? Die Frage des Überlebens eines kleinen japanischen Atolls im Pazifik ist im Grunde keine bedeutende Nachricht, sollte man meinen. Doch von der Existenz Okinotorishimas hängt der Anspruch auf eine Meeresboden-Fläche ab, die größer ist als Japan selbst: 420 000 Quadratkilometer – und es geht womöglich noch um mehr, wenn man beweisen kann, dass der Festlandsockel um das Inselchen weiter reicht als die in der Seerechtskonferenz von 1982 festgelegten 200 Seemeilen „ausschließliche Wirtschaftszone“. Damit Okinotorishima wegen des steigenden Meeresspiegels nicht absäuft und mit ihr die Hoffnung auf immense Bodenschätze, forschen Wissenschaftler in Japan daran, wie ein solches Riff durch nachwachsende Korallen am Leben über Wasser gehalten werden kann.
„Der Ozean wird aufgeteilt wie ein Stück Land. Die Idee vom Meer als gemeinsames Erbe der Menschheit wurde von der Staatengemeinschaft ausgehöhlt“, resümieren Max Mönch und Alexander Lahl am Ende ihrer Dokumentation „Die Eroberung der Weltmeere“. Zum Meeresrauschen klimpert Johannes Brahms’ Wiegenlied, was erstens sehr schön und zweitens wie ein ironischer Kommentar klingt: Guten Abend, gute Nacht, weitgehend unbemerkt von der schlafenden Öffentlichkeit arbeiten die Staaten an der „größten Landnahme der Weltgeschichte“, so die Autoren. Tatsächlich ist erstaunlich, dass dieses Thema so wenig Widerhall findet in den Medien, bedenkt man die Dimensionen und das Konfliktpotenzial. Mehr als die Hälfte der Meeresfläche könnte unter staatliche Hoheit fallen, der wirtschaftliche Wert wird auf insgesamt zwölftausend Billionen US-Dollar geschätzt. Im Südchinesischen Meer zum Beispiel würden acht Länder um einen Erdöl-Vorrat im Wert von 100 Milliarden US-Dollar streiten, so die Autoren.
Ausharren auf dem Felsen
Mönch und Lahl erzählen in ihrem Film auf angenehm leichte und verständliche Weise von komplizierten Sachverhalten. Und beweisen dabei auch, dass sie einen Blick für skurrile Geschichten haben. Wie die von dem britischen Abenteurer Tom McClean, der 1985 mehrere Wochen auf dem Felsen Rockall ausharrte, damit Großbritannien den Brocken im Meer zur „bewohnbaren“ Insel deklarieren konnte. Man staunt, welche Absonderlichkeiten die gigantische Landnahme hervorbringt.
Und wer entscheidet nun über die Grenzziehung unter Wasser? Bei den Vereinten Nationen in New York brütet die Festlandsockel-Begrenzungskommission CLCS über den Anträgen der Staaten, die mit immer neuen geologischen Daten versuchen, ihr beanspruchtes Territorium abzusichern. Sie spricht Empfehlungen aus, aber weil es kein Kontrollorgan gebe und Politiker ohnehin nicht beurteilen könnten, was die Geologen in ihren Gutachten behaupten, glauben die Autoren an eine ungeahnte Macht der Wissenschaft. Allerdings weisen sie selbst darauf hin, dass 19 der 21 Mitglieder aus Antragsländern stammen, womöglich also eher Interessenvertreter sind als unabhängige Experten. An dieser diskret arbeitenden Kommission bissen sich Mönch und Lahl ein wenig die Zähne aus. Nach mehrjährigen Bemühungen haben sie ein einziges Mitglied dazu gebracht, vor die Kamera zu treten: den in Frankreich arbeitenden niederländischen Geophysiker Walter Roest. Der wünscht sich zwar mehr Transparenz, aber die von den Staaten eingereichten geheimen Daten der Öl-Industrie würden nun mal wertvolle Hinweise auf Ressourcen enthalten. Die Macht der Wissenschaft hat wohl doch Grenzen.