Am 21. Januar treffen sich die Mächtigsten der Welt wieder in Davos zum Weltwirtschaftsforum. Der Regisseur Marcus Vetter hat das Ereignis in den Vorjahren besucht und in seinem Film „Das Forum“ dokumentiert – und entwirft ein ambivalentes Bild.

Stuttgart - Nun ist es wieder so weit: Wirtschaftsbosse und Staatenlenker treffen sich im Bergdorf Davos, um die Weltlage zu besprechen. Sie werden militärisch abgeschirmt, Demonstranten haben keinen Zutritt zum Weltwirtschaftsforum (WEF). Der Tübinger Dokumentarfilmer Marcus Vetter erzählt, wie er für seinen Film „Das Forum“ Zutritt bekam und was er dort erlebt hat.

 

Herr Vetter, wie kamen Sie auf die Idee?

Der Produzent Christian Beetz hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, einen Film über das Weltwirtschaftsforum zu machen. Er hatte es mit mehreren Regisseuren versucht, und alle waren an diesem Thema verzweifelt oder gescheitert.

Woran lag das Ihrer Ansicht nach?

Sie sind von der Peripherie aus an den Film herangegangen. Entweder sind sie an der Komplexität des Themas gescheitert oder an ihrem eigenen Anspruch. Keiner von ihnen hatte sich mit Klaus Schwab beschäftigt, dem Gründer des WEF. Vielleicht hat ihre ablehnende Haltung der gesamten Institution gegenüber eine Rolle gespielt. Ich dagegen habe mich nur für Schwab interessiert.

Wie lief Ihre erste Begegnung mit Schwab?

In Genf begegnete mir ein älterer, aber noch sehr agiler Mensch. Schwab, damals 79, war sehr zuvorkommend und erzählte mir von seinen Visionen im Jahr 1972. Er dachte: Wie wäre es, wenn man die Mächtigen versammeln und mit ihnen über Ethik reden würde? Würden sie sich darauf einlassen, könnte man so mit der Zeit die Welt verändern? Seine zweite Vision war das Multi-Stakeholder-Prinzip. Es steht dafür, dass eine Firma, eine Aktiengesellschaft, nicht nur für den Profit ihrer Aktionäre zuständig ist, sondern auch für ihre Belegschaft, die Natur, die Gesellschaft – dass sie multifunktionale Verantwortung trägt.

Das Gegenteil von Neoliberalismus also?

Ja, genau. Bevor ich meinen Film drehte, sagte man mir: Das ist doch ein durch und durch neoliberaler Haufen. Plötzlich hörte ich ganz andere Dinge. Aber Klaus Schwab wollte zunächst nicht selbst im Mittelpunkt stehen. Alle in seinem Umfeld sprachen sich gegen einen Dokumentarfilm über das WEF aus. Ihn selbst konnte ich dann gewinnen. Ich habe zu ihm gesagt: Ich bin mir ganz sicher, dass es ein Film über Sie werden muss. Sie interessieren mich. Was ist aus Ihrem Traum geworden? Ist er verlustig gegangen unterwegs, ist er gescheitert, stehen Sie noch zu ihm?

Wie nah sind Sie dann herangekommen?

2018 habe ich in Davos einen relativ kleinen Versuchsdreh gemacht und war so nah an Donald Trump und Theresa May, wie man nur sein kann. Ich sie bei Begrüßungen erlebt, bevor sie die Bühne betraten, und Emmanuel Macron im Gespräch mit Klaus Schwab. Nur bei den bilateralen Gesprächen, die Schwab mit Staatspräsidenten führte, wurde ich meistens nach wenigen Minuten hinausgeworfen. Das hat sich etwas geändert, nachdem ich erklärte, so könne ich den Film nicht machen. Aber alle mussten immer Bescheid wissen, wann Tonaufnahmen gemacht wurden, das war ein empfindlicher Punkt. 2018 war ich mit einem Dreier-Team in Davos, mit einer Assistentin, einer Tonassistentin, ich selbst habe die Kamera gemacht. 2019 waren es dann drei Zweier-Teams, immer nur Kamera und Ton, es war nie einer Dritter im Raum.

Das WEF fand 2019 unter anderen Vorzeichen statt…

2018 kamen mit Trump, May und Macon drei Teilnehmer nach Davos, die gewissermaßen gegen das politische Establishment kandidiert hatten mit dem Anspruch, etwas zu verändern. 2019 kamen sie nicht mehr, weil sie alle innenpolitische Probleme hatten. Dafür kam der Neue, Bolsonaro. Das hat die Dramaturgie bestimmt, er stand im Fokus. Wir wollten aber auch Positionen im Film zeigen, die dem Forum kritisch gegenüberstehen. Deshalb suchten wir nach einer großen NGO, die sagte: Wir gehen dahin, weil wir dagegen sind und das artikulieren möchten. Jennifer Morgan, die Chefin von Greenpeace, hat mitgemacht, wir haben sie bei ihren Vorbereitungen begleitet. Eine der Schlüsselszenen des Films ist der Moment, in dem Jennifer Morgan auf Bolsonaro zugeht.

Dann erschien auch Greta Thunberg…

Jennifer Morgan hatte vorher noch davon gesprochen, dass man mit ihr, etwas machen könnte als ein Zeichen der Zeit. Hier kam ein Generationskonflikt zutage: Auf der einen Seite der fast 80-jährige Klaus Schwab, der die disruptiven Technologien umarmt, der auf Dialog setzt, eigentlich auf die Bewahrung des Establishments, aber seit 50 Jahren versucht, intern etwas zu verändern, die CEOs und Politiker wachzuküssen – auf der anderen Seite Jennifer Morgan, die sagt, das ist nicht genug, wir sind mit unserer Gesellschaft am Ende. Und dann Greta.

Als Sie drehten, war Greta Thunberg eben erst erschienen. Inzwischen werden ihre Auftritte auch von linker Seite kritisiert.

Der Film ist nicht unkritisch Greta gegenüber, auch wenn er das nicht explizit formuliert. Man hatte schon damals auch das Gefühl, dass Greta ein Stück weit instrumentalisiert wird. Das steckt alles im Film, und ich sage: Das muss man beobachten, keinen Kommentar abgeben.

Beobachten, nicht kommentieren – ist das s Ihre Auffassung von Dokumentarfilm?

Ja. Es ist oft schwierig, denn manche Menschen verstehen es nicht, zwischen den Zeilen zu lesen. Man kann aus diesem Film kommen, ohne meine Haltung zu Davos zu kennen, die tatsächlich zwiegespalten ist. Die Hauptaussage ist: Schaut noch mal genauer hin, es ist alles sehr komplex. Dafür stehe ich als Dokumentarfilmer. Vielleicht kann der Film die Wahrnehmung des Weltwirtschaftsforums verändern. Für mich zumindest war es eine absolute Überraschung, dass dort nachhaltige Projekte gemacht werden – eigentlich dachte ich, dort treffen sich nur die Geschäftemacher.

Wie sehen Sie Klaus Schwab nun, nachdem Sie die Arbeit am Film beendet haben?

Natürlich kann man ihn kritisieren. Aber auch er möchte die Welt gewiss zum Guten verändern. Er versucht, Beziehungen aufzubauen, Personen für Projekte zu gewinnen. Dann aber ruft er bei Siemens an, oder beim Chef von Nestlé, spricht mit ihm wie mit einem guten Freund – das ist eine Szene, die ich niemals aus dem Film genommen hätte, bei der viel Kritik zwischen den Zeilen steht. Ich glaube aber, Klaus Schwab ist ein Idealist. Er nimmt seine Sache sehr ernst. Vielleicht ist ihm bewusst, dass er auf eine gewisse Art gescheitert ist. Aber sich dies nach 50 Jahren einzugestehen, ist sicher schwierig.

„Das Forum“ wird am 14. Januar, dem Tag, an dem das 50. Weltwirtschaftsforum in Davos beginnt, um 20.15 Uhr auf ARTE und am 20. Januar im ARD.