Ob Schamanismus, Pädophilie oder die „Exilregierung des Deutschen Reichs“: Bei keinem Thema kennt der Reporter Manuel Möglich Berührungsängste. Jetzt ist er wieder unterwegs für die Reihe „Wild Germany“.

Stuttgart - Eine steile Falte auf der Stirn. Das ist sein Kommentar zu einem Thema, zu dem jeder eine Meinung hat, das aber zu komplex ist, um es erschöpfend in einem halbstündigen TV-Beitrag zu beleuchten. Es geht um Männer, die sich sexuell von Kindern angezogen fühlen. Der TV-Reporter Manuel Möglich interviewt einen Betroffenen, der eine eigene Auffassung davon hat, was man Kindern zumuten kann und was nicht. Dieser Mann fordert, dass sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen straffrei bleiben sollen.

 

Jeder andere Journalist hätte seinem Gegenüber zu verstehen gegeben, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht der richtige Ort sei, um Sex mit Kindern zu promoten. Doch der 34-jährige Manuel Möglich ist eben nicht irgendein Reporter – und die Dokureihe „Wild Germany“ ist nicht irgendein Format. Der Spartenkanal ZDF neo lässt dem Reporter nicht nur die Freiheit, Themen aufzuspüren, die als sperrig gelten. „Wild Germany“ entführt den Zuschauer auch an Orte, die so weit weg vom Schuss liegen, dass sie sogar das Privatfernsehen noch nicht okkupiert hat. Es geht zum Beispiel um die Frage, wie das verschnarchte Oberfranken zum Hauptumschlagplatz für die chemische Droge Crystal Meth wurde, um schamanische Rituale oder um sogenannte Bug Chaser, homosexuelle Männer, die sich vorsätzlich mit dem HIV-Virus infizieren.

Das Format hält, was der Titel verspricht

In den besten Momenten hält „Wild Germany“ tatsächlich, was der Titel verspricht. Es ist genauso ungebügelt wie der Schlaks, der es präsentiert: Manuel Möglich, 34, tätowierte Oberarme und eine Matte, von der er sagt, sie sehe nur selten einen Friseur. Möglich zeigt das Land aus einem Blickwinkel, wie man ihn aus dem Fernsehen nicht gewohnt ist: gnadenlos in seiner Subjektivität, aber ohne erhobenen Zeigefinger, zugewandt, aber ohne Ironie.

Jetzt präsentiert ZDF neo die vierte Staffel. Spricht man Manuel Möglich auf seine Stirnfalte im Interview mit dem Pädo-Aktivisten an, dann sagt er, er habe schon viele Menschen getroffen, in die er sich nur schwer hineinversetzen konnte. In Erwachsene, die sich freiwillig Körperteile amputieren ließen oder die in Pferdekostüme schlüpften, weil es sie sexuell stimuliere. Aber die Begegnung mit dem Pädo-Aktivisten sei die unangenehmste gewesen.

So deutlich wird Manuel Möglich sonst nur selten. Das liegt in der Natur des Formats. Es sprengt die Grenzen der konventionellen Dokumentation, da der Reporter als Fragesteller vor die Kamera tritt. Dieser „Gonzo-Journalismus“, wie ihn der amerikanische Reporter Hunter S. Thompson Anfang der siebziger Jahre begründete, hat in Manuel Möglich einen idealen Vertreter gefunden, unaufgeregt und unprätentiös.

Mit Gespür für die abseitigen Themen

Der Mann, der tatsächlich Möglich heißt, passt nicht ins Klischee jener Dokumentaristen, die sich selber wichtiger nehmen als den Gegenstand ihrer Reportagen. Er hat seine ersten journalistischen Gehversuche beim Radio gemacht, als Autor und Reporter für den WDR-Jugendsender 1 Live. Im Interview konzentriert er sich auf den Inhalt, nicht auf die Kamera.

So gesehen war er ein Glücksfall für den Mann, der das Format „Wild Germany“ erfunden hat: Tom Littlewood, er ist der Chefredakteur der deutschen Ausgabe des nicht minder schrägen New Yorker Magazins „Vice“. Manuel Möglich verkörpertgenau das, was Tom Littlewood auch von den Autoren des gedruckten Magazins erwartetet: ein Gespür für abseitige Themen, die Fähigkeit zu staunen und den Mut zur ergebnisoffenen Recherche. Das sind alles Eigenschaften, die für einen guten Reporter selbstverständlich sein sollten. Eigentlich. Doch wenn man sich durchs Fernsehen zappt, stellt man ernüchtert fest, dass dieser Anspruch auf der Strecke geblieben ist, bei der Gratwanderung zwischen Qualität und Quote.

Mut zur Subjektivität

Und man fragt sich, warum eine Dokumentation wie die über „Pädophilie“ nicht auch im Programm des gebührenfinanzierten Muttersenders laufen kann. Die Frage drängt sich umso stärker auf, als der Redaktion von ZDF neo allmählich die Themen ausgehen. „Für eine fünfte Staffel hätten wir zwar noch genug Stoff“, sagt Manuel Möglich, aber ob sich der Sender das Kleinod danach noch leisten könne oder wolle, sei fraglich. Dabei zahlt sich der Mut zur Subjektivität ausgerechnet bei Themen aus, die das Vertrauen der Protagonisten voraussetzen. Dem bizarren Rechtsempfinden des Pädo-Aktivisten stellte der Reporter die quälenden Gewissensbisse eines Studenten gegenüber, der sich zu zwei- bis zwölfjährigen Mädchen hingezogen fühlt. Dieser Mittzwanziger sagt, er wisse nicht, ob seine Therapie angeschlagen habe. „Es ist wie bei einem Atomkraftwerk – ein Restrisiko bleibt.“ Eine Bewertung überlässt der Reporter dem Zuschauer. Und das ist auch gut so. Die Stirn runzeln kann der selber. Er kommt bloß kaum dazu.