Im Interview mit Starmoderatorin Oprah Winfrey räumt Lance Armstrong ein, leistungssteigernde Mittel genommen zu haben. Offensichtlich will der ehemalige US-Radprofi auch gegen führende Funktionäre im Radsport aussagen.

New York - Eine wirkliche Sensation war es nicht, was über „anonyme Quellen“ aus dem Gespräch Lance Armstrongs mit Oprah Winfrey an ein gutes Dutzend amerikanischer Medien drang. Die Talkmasterin und Beichtmutter der Nation, hatte den einstigen Radchampion in Austin besucht, um das zweiteilige Interview aufzuzeichnen, das am Donnerstag und Freitag die Quoten ihres lahmenden Senders aufpeppen soll. Und ja, Armstrong hatte dabei tatsächlich Doping zugegeben. Natürlich war klar, dass nur ein Geständnis seiner Dopingvergangenheit der Sinn des Treffens sein konnte. Das einfühlsame Interview in mütterlichem Tonfall ist das Markenzeichen von Winfrey, ihr gegenüber haben sich Stars wie Michael Jackson, Bill Clinton oder Madonna geöffnet. Oprah Winfrey kocht alle weich, das ist die Masche, die sie mehr als 20 Jahre zur Quotenkönigin machte.

 

Was genau in dem Hotelzimmer in Austin vorgefallen ist, wird man erst am Donnerstag- und Freitagabend (Ortszeit) erfahren – welche Details Armstrong gegenüber der Talkmasterin preisgegeben hat. Der 41-Jährige will bezeugen, dass Funktionäre des Radsport-Weltverbands UCI über seinen Gebrauch leistungssteigernder Mittel wussten und diesen möglicherweise unterstützten. Dies schrieb die „New York Times“ unter Berufung auf mehrere Quellen. Armstrong wolle aber nicht gegen andere Fahrer aussagen, hieß es weiter. Er sei zudem in Gesprächen mit dem US-Justizministerium, als Zeuge gegen verschiedene Besitzer von Rennställen zu agieren.

Eine tränenreiche Beichte ist nicht zu erwarten

Eines kann aber als sicher gelten: einen tränenreichen Zusammenbruch, wie ihn etwa die gefallene Leichtathletik-Olympiasiegerin Marion Jones bei Oprah hinlegte, wird es nicht geben. Armstrong hat keine Beichte aus tief empfundener Reue abgelegt, das passt nicht zum Charakter des streitlustigen Texaners, dem es nie genügt hat, Gegner und Kritiker nur zu bezwingen. Er musste sie demütigen. „Lance will nicht geliebt werden“, sagte sein einstiger Teamgefährte und späterer Ankläger Floyd Landis. „Er will dir in den Arsch treten.“

In dieses Bild passt die Art und Weise, wie Armstrongs Geständnis zustande kam. Armstrong hat sich erst dazu entschlossen, als er mit dem Rücken zur Wand stand. Und auch jetzt scheint Armstrong noch der Welt eher zornig als demütig die Wahrheit entgegenzuschleudern. Das legt unter anderem ein Bericht des „Wall Street Journal“ nahe, das Kenntnis von einem Geheimtreffen zwischen Lance Armstrong und dem Chef der US-Antidopingagentur Usada, Travis Tygart, im Dezember erhielt.

Armstrong geht gerne in die Offensive

Tygart hatte seit Monaten versucht, mit Armstrong zusammenzukommen. Er wollte ihm schon im Frühjahr die Gelegenheit geben, sich zu den Anschuldigungen und Beweisen zu äußern, welche die Usada auf 1000 Seiten gegen ihn zusammengetragen hatte. Doch Armstrong tat das, was er immer getan hatte: Er ging in die Offensive. Anstatt zu kooperieren, schoss er zurück und zweifelte die Legitimität der Usada an. Dieselbe Linie verfolgte er auch noch, als die Usada ihm im Oktober seine sieben Tour-Siege aberkannte. Doch in dieser Zeit begann offenkundig auch ein Sinneswandel. Im Kreise seiner Freunde und Anwälte begann Armstrong laut über ein Geständnis nachzudenken.

Die Motivation war klar. Der finanzielle Schaden des Dopingskandals für Armstrong wurde immens. Seine Sponsoren liefen ihm davon, seine Krebsstiftung war in Gefahr, und sein Image war zerstört. Zudem hatte seine neue Karriere als Triathlonprofi durch die Usada-Sperre ein jähes Ende gefunden. So kam es also, dass Armstrong und Tygart kurz nach Weihnachten in einem Konferenzsaal in der Nähe des Flughafens von Denver zusammentrafen. Laut Quellen des „Wall Street Journal“ sprach Armstrong dabei frei über seine Dopingpraktiken. Doch selbst da konnte er sich nicht verkneifen, in die Offensive zu gehen.

Der Radprofi klagt, dass er zum Sündenbock gemacht wird

Armstrong ließ eine Tirade darüber los, dass Doping in allen Profisportarten üblich ist und klagte, dass er zum Sündenbock gemacht werde. Dann belehrte er Tygart, dass nicht dieser, sondern nur er selbst den Schlüssel zu Armstrongs Rehabilitierung in der Hand halte. Als Tygart erwiderte, dass er sich täusche, stürmte Armstrong zornig aus dem Raum.

Das wird er bei Oprah Winfrey wohl nicht getan haben. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er ihr gegenüber Bedauern darüber ausgesprochen hat, wie viele Menschen er betrogen hat und wie viele Leben und Karrieren er zerstört hat. Radprofis wie Christophe Bassons und Filipo Simeoni etwa, die es gewagt haben, gegen ihn aufzubegehren und die er kraft seiner Macht beruflich einfach zerstört hat. Oder Betsy Andreu, die Frau eines ehemaligen Teamkollegen, die er systematisch einzuschüchtern versucht, seit sie 2004 gegen ihn ausgesagt hat.

Armstrong hofft, seine Reputation wiederherzustellen

Die Frage ist, ob ein solches Interview den gewünschten Effekt hat – nämlich die zerstörte Reputation von Armstrong wiederherzustellen. Eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. „Die meisten Menschen in Amerika sind nicht rational, wenn es um Armstrong geht“, sagt der Chefredakteur des Fahrradmagazins „VeloNews“, Neal Rogers. „Diejenigen, die an ihn glauben, werden immer an ihn glauben.“ Diese Leute werden ihn sicher wieder in ihre Arme nehmen – doch es werden immer weniger. Für die meisten Menschen dürfte Armstrong nur schwer rehabilitierbar sein. Schon gar mit einer halbherzigen, zornigen Beichte, zu einem Zeitpunkt, zu dem ohnehin alles, was es zu beichten gibt, hinlänglich bekannt ist.