Geheimnisvolle Beziehungen und viel Schmerz. Dror Mishanis dritter Krimi „Die schwere Hand“ ist nicht ganz gelungen, findet Killer & Co.-Rezensent Georg Patzer.

Stuttgart - Mali wird sie genannt, eigentlich heißt sie „Masal“, aber das passt nicht, denn „Masal“ heißt „Glück“. Und Glück hat Mali schon lange keines mehr gehabt. Zwar hat sie einen Mann, Coby, und zwei Kinder, jetzt erwartet sie ihr drittes, und sie hat einen Job in einer Bank. Aber auf einer beruflichen Tagung wurde sie in einem Hotel vergewaltigt, und diese Misshandlung hat sie traumatisiert, sie steckt immer noch in ihr und macht ihr Angst und Panik, vor allem nachts, wenn sie allein im Bett liegt: Dann kommt die „schwere Hand“ des Titels auf sie zu.

 

Der Täter wurde nie gefasst, und die Polizei glaubte ihr auch nicht so recht, dass die Vergewaltigung wirklich stattgefunden hat. Und Coby, der aus Australien eingewandert ist, ist cholerisch und manchmal kleinlich, wenn er denkt, es werde ihm Unrecht getan. Und so verliert er einen Job nach dem anderen, besteht die Aufnahmeprüfungen beim Inlandsgeheimdienst und bei der Polizei nicht und hat jetzt auch seine Stelle als Wachmann hingeschmissen. Sitzt nächtelang auf dem Dach. Redet nicht mehr. Lässt eine Pistole offensichtlich herumliegen. So recht traut sich Mali nicht, ihm von der neuen Schwangerschaft zu erzählen. Sie weiß einfach nicht, wie sie an ihn herankommt.

Dror Mishani ist eigentlich Literaturprofessor, Spezialist für die Geschichte der Kriminalliteratur. In seinem dritten Roman erzählt er von einem Täter, dessen Motivation nie so ganz aufgeklärt wird. Wie in seinen anderen Romanen schreibt er aus wechselnden Perspektiven: Neben der von Mali steht die seines Ermittlers Oberinspektor Avi Avraham, seit neuestem Leiter des Ermittlungsdezernats von Cholon-Ayalon, in der Nähe von Tel Aviv.

Avraham erster Fall als Chefermittler

Sein erster Fall als Chefermittler betrifft Lea Jäger, eine ältere Frau, die ermordet in ihrer Wohnung gefunden wird. Er kennt sie: Sie ist einmal vergewaltigt worden, der Täter sitzt hinter Gittern. Sofort fällt der Verdacht auf die Angehörigen des Vergewaltigers, die vehement bestreiten, dass er schuldig ist, und sich vielleicht rächen wollten. Ein anderer Verdächtiger ist Jägers Sohn, der sich seltsam verhält und nicht zugeben will, dass er noch kurz vor der Tat telefonischen Kontakt mit ihr hatte.

Und dann wird zur Tatzeit im Hausflur ein Polizist in Uniform gesehen. Und das wollen Avrahams Vorgesetzte natürlich überhaupt nicht bekanntgeben – so einen guten Ruf hat auch die israelische Polizei nicht, dass man einen von ihnen auch noch als Verdächtigen ausgibt. Und dann kommt heraus, dass dieser Polizist noch andere Vergewaltigte aufgesucht hat und sie gebeten hat, ihm genau zu erzählen, was damals passiert ist. Angeblich, weil die Fälle wieder aufgerollt werden sollen.

Und so sind Avrahams Ermittlungen nicht gerade leicht. Auch sein Privatleben nicht, denn seine Geliebte Marianka aus Brüssel ist bei ihm und versucht, mit ihm zusammenzuleben. Aber Avraham ist oft so in sich versponnen, dass er mit ihr auch zu wenig redet. Erst als ihre slowenischen Eltern kommen und sie überreden wollen, zurückzukehren, weil sie doch in Israel weder Beruf noch Freunde hat, auch die Sprache nicht kann, merken beide, was sie aneinander bindet.

Und sie macht ihm deutlich klar, dass es nicht seine Verantwortung ist, nicht seine Entscheidung, dass sie Belgien hinter sich gelassen hat, sondern ihre. Und es ist auch nicht seine Verantwortung, was passiert, als er Mali und Coby am Ende des Buchs bittet, aufs Revier zu kommen.

Es geht um Verantwortung und Schmerz

Verantwortung ist eines der Subthemen dieses Kriminalromans, die Verantwortung für die Leitung des Falls, für die Kollegen, den Ruf der Polizei. Für die Mitmenschen, die Avi, Marianka, aber auch Coby und Mali übernehmen müssen oder wollen oder der sie sich verweigern. Das andere ist der Schmerz: Marianka konfrontiert ihren Avi damit, dass er dem Schmerz nah sein will, dem Schmerz der anderen – deswegen ist er Polizist geworden. Mali und Coby müssen mit ihren Schmerzen leben, den seelischen, die sie nicht loswerden können. Und die Erkenntnis? Die ist schwierig zu erreichen, wenn nicht unmöglich – eine Absage an den klassischen Krimi, an dessen Ende alles aufgeklärt ist. Bei Mishani bleibt vieles in der Schwebe.

Leider hat das Buch ein paar recht ärgerliche Stellen, und zwischendurch ist es sogar langweilig. Mishani gelingt es nicht, die Ermittlungen, Avrahams Privatleben, seine Zweifel, seine Besprechungen mit den Kollegen so spannend und lebendig zu erzählen, dass man gern weiterliest. Auch der Versuch, Malis Welt, ihre Zweifel, ihre Anspannung, ihre vergeblichen Versuche, Coby wieder zum gemeinsamen Leben zu erwecken, ist so künstlich geheimnisvoll gehalten, dass man den Kunstgriff schnell merkt und genervt ist. Dieses Geheimnisvolle, der tief in sich versteckte Schrecken, der Horror - das können Friedrich Ani und vor allem Paulus Hochgatterer um einige Klassen besser.

Und was mich dann vollends verschnupft hat, ist Mishanis Spleen, immer wieder kleine Sätze einzustreuen, die in die Zukunft deuten: „Über Masal Bengtson dachte er in jener Nacht nicht weiter nach, aber im Nachhinein hätte er über sie beide nachdenken sollen, oder vielmehr über die Verbindung zwischen ihnen, eine Verbindung, die zu verstehen er weit entfernt war, auch als alles vorbei war.“ So umständlich schreibt Mishani übrigens selten – zum Glück. Oder: „Später sollte ihm der Gedanke kommen, er könne sich vielleicht geirrt haben“... Man weiß einfach nicht, was das soll. Nach „Vermisst“ und „Die Möglichkeit eines Verbrechens“ ist das sein dritter Kriminalroman - ich warte noch auf den vierten Band, ehe ich mich entscheide, ob ich noch ein weiteres von ihm lesen werde. Masel tov!