In den vergangenen Jahren wurden 197 Ausbildungsordnungen überarbeitet und 37 Ausbildungsberufe neu geschaffen. Modernisierte Ausbildungsordnungen sollen auch ungeliebte Berufe attraktiver für Bewerber machen.

Stuttgart - Einmal Gießerei, immer Gießerei. Wer sich für eine Lehre zum Gießereimechaniker entschieden hatte, musste sich bisher früh festlegen, in welchem Bereich er später arbeiten wollte. Er konnte dabei zwischen den Fachrichtungen Druck- und Kokillenguss sowie Handformguss wählen. Alternative eins ist vor allem bei Autobauern, Zulieferern und im Maschinenbau gefragt. Handguss-Experten können dagegen Kunstgießer werden und beispielsweise Kirchenglocken gießen.

 

Dieser Entscheidung ist in der neuen Ausbildungsordnung für den Beruf des Gießereimechanikers auf das dritte Lehrjahr verschoben. Zunächst erwerben alle Azubis die gleichen Kenntnisse, erst danach wählen sie eine von nun sechs Spezialisierungsrichtungen aus. „Die Unternehmen können ihre Fachkräfte dadurch flexibler einsetzen und auch die Absolventen haben ein breiteres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten“, erklärt Reiner Schmid, Ausbildungsberater bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Die alte Ordnung stammte aus dem Jahr 1997. Laut IHK-Zahlen befanden sich zum Jahresende 2014 in der Region Stuttgart 70 junge Menschen in einer Gießerei-Ausbildung.

Das Beispiel ist stellvertretend für eine Vielzahl von Ausbildungsberufen, deren Lehr- und Prüfungsinhalte einer Auffrischung bedürfen. „Gerade die Ausbildung darf dem technologischen Fortschritt nicht hinterherhinken, sondern sollte nach vorne schauen“, sagt Schmid. Zwei von drei Ausbildungsberufe sind auf diese Weise in den vergangenen zwölf Jahren modernisiert worden: Seit 2003 hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Auftrag der Bundesregierung und gemeinsam mit den Sozialpartnern und Sachverständigen der betrieblichen Praxis 234 Ausbildungsordnungen überarbeitet und „an die aktuellen wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Anforderungen angepasst“, heißt es beim BIBB. Dabei seien 197 Ausbildungsordnungen modernisiert und 37 Ausbildungsberufe neu geschaffen worden. Parallel zu diesem Verfahren wird der für den schulischen Teil der dualen Ausbildung erforderliche Rahmenlehrplan von der Kultusministerkonferenz überarbeitet.

Oft bekommen die neu strukturierten Berufe neue Namen

Die Neusortierung der Inhalte geht oft mit einer Umbenennung der Berufe einher. Der alte Kfz-Mechaniker ist längst zum Mechatroniker geworden, genauso wie der klassische Bürokaufmann oder Kaufmann für Bürokommunikation sich seit 2013 Kaufmann für Büromanagement nennen darf. Die ersten Bürokaufleute nach neuer Fasson schließen gerade ihre Ausbildung ab, sagt Andrea Bosch. Die Neustrukturierung dieses Bereichs war nach den Worten der stellvertretenden IHK-Geschäftsführerin Abteilung Beruf und Qualifikation „ein Kraftakt“, weil alle Beteiligten ihre Interessen im Neuordnungsverfahren gewahrt sehen wollten. Es habe mehrere Jahre gedauert, bis die aus den frühen neunziger Jahren stammende Ausbildungsordnung endlich entstaubt war.

Gerade ist die Neuordnung der IT-Berufe angelaufen, mit einer Einführung wird nicht vor 2017 gerechnet. Im ersten Schritt prüfen Betriebe, Fachverbände, Kammern, Gewerkschaften den Veränderungsbedarf in den einzelnen Berufsfeldern. Danach geht es an die konkrete Anpassung der Ausbildungs- und Prüfungspläne sowie der Lehrpläne in den Berufsschulen geht. Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt stehe das Berufsbildungssystem vor großen Herausforderungen, davon ist BIBB-Präsident Hubert Esser überzeugt: „Wirtschaft 4.0 wird die Berufsbilder verändern und sicherlich auch neue Berufe erfordern.“

Die überarbeiteten Ausbildungsinhalte sollen auch dazu beitragen, die Berufe attraktiver für junge Menschen zu machen wie das aktuelle Beispiel des Betonfertigteilbauers zeigt. Diese Qualifikation war bisher ein Teil der Ausbildung zum Stahlbetonbauer und ist ab September ein eigenständiger Ausbildungsberuf. Die Spezialisten fertigen Betonteile wie Treppen, Wände, Decken, Rohre oder Fassaden, erklärt IHK-Experte Reiner Schmid. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach diesen Fertigbauteilen im Hoch- und Tiefbau sei die Industrie dringend auf speziell dafür ausgebildete Fachkräfte angewiesen. Die rückläufige Zahl der Ausbildungsverträge in diesem Bereich sei Schmid zufolge auch auf die mangelnde Attraktivität des Berufs zurückzuführen. Die Beton- und Fertigteileindustrie könne nun damit werben, dass die Azubis in wettergeschützten Werkshallen statt auf Baustellen arbeiten könnten, da die Fertigteile nicht mehr dort entstehen, wo sie am Ende auch verbaut werden.

Belastung und unattraktive Zeiten schrecken Bewerber ab

Hohe Arbeitsbelastungen und unattraktive Arbeitszeiten sind häufig genannte Gründe, wenn Bewerber einen bestimmten Bereich meiden. Das macht Betrieben aus dem Hotel- und Gastronomiebereich genauso große Schwierigkeiten bei der Nachwuchssuche wie Bäckereien oder Pflegediensten. Im vergangenen Jahr sind 6000 Lehrstellen in Baden-Württemberg unbesetzt geblieben. Die hohe Zahl war auch der Tatsache geschuldet, dass immer weniger Bewerber am Ausbildungsmarkt aus einem immer größeren Angebot auswählen können. Um trotzdem noch Azubis zu finden, müssen sich die Ausbildungsbetriebe etwas einfallen lassen. Eine Möglichkeit sind Anreize, die oft nur wenig mit der eigentlichen Tätigkeit zu tun haben (Stichwort: Dienst-Smartphone oder Dienst-Smart). Ein anderer Weg, die Ausbildung im Wettbewerb mit den Universitäten und dualen Hochschulen um Bewerber attraktiv zu halten, ist die Modernisierung der Berufsbilder.

Zum Ausbildungsstart am 1. September treten insgesamt 17 veränderte Ausbildungsordnungen in Kraft. Unter den neu ausgerichteten Ausbildungsberufen im Bereich der Industrie- und Handelskammern finden sich auch Automatenfachleute, Holzmechaniker sowie Textil- und Modeschneider. Im Handwerk sind die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für Geigenbauer, Bogenmacher, Werksteinhersteller und Orthopädie-Schuhmacher verändert worden. „Die Ausbildung im Handwerk ist immer auf der Höhe der Zeit. Unser duales System ist gleichwertig zum akademischen Weg“, sagt Claus Munkwitz, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart. Gerade das Berufsbild des Orthopädieschuhmachers habe sich zuletzt gewandelt und der Beruf gewinne an Bedeutung, sagt Munkwitz. Qualifikationen auf dem Gebiet der Hygiene, der Bewegungsanalyse und des Sports würden im Vordergrund stehen, wenn es zum Beispiel darum gehe, spezielle Einlegesohlen für Ski- oder Laufschuhe zu entwickeln.

Veränderungen in den Inhalten werden auch hier mit Änderungen der Berufsbezeichnung herausgestellt. Wer das traditionelle Gewerbe eines Wachsziehers oder eines Gerbers erlernt, kann sich nach dreijähriger erfolgreicher Lehre künftig Fachkraft für Kerzenherstellung und Wachsbildnerei beziehungsweise Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik nennen. Die neuen Ausbildungsordnungen gelten ab September bundesweit.

Wie viele anerkannte Ausbildungsberufe es gibt

Ausbildung
In Deutschland gibt es insgesamt 328 anerkannte Ausbildungsberufe im Rahmen des dualen Aus_bildungssystems. Darüber hinaus werden weiteren Ausbildungsberufe außerhalb des dualen Systems beispielsweise in vollzeitschulischenAusbildungen an Berufsfachschulen gelehrt.

Berufe
An der Spitze der häufigsten Lehrberufen hat sichin den vergangenen Jahren wenig geändert: Bei Jungen stehen technische Berufe wie Kfz-Mechatroniker, Industriemechaniker oder Elektroniker hoch im Kurs. Auch Einzelhandelskaufmann ist beliebt.Junge Frauen wollen vor allem Kauffrauen im Einzelhandel oder Verkäuferinnen, Kauffrauen für Büromanagement sowie medizinischen Fachangestellten werden.