Das Eiernest ist 1926 im Auftrag der Stadt Stuttgart für Arbeiterfamilien gebaut worden. Mit dem Verkauf der Häuser an Privatleute verliert das Gebiet seinen ursprünglichen Charakter.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Süd - Seit seiner Geburt wohnt Gunter Reich im Eiernest. Es ist seine Heimat. „In meiner Jugend war das ein sehr schöner Ort mit einer guten Nachbarschaft“, erzählt Reich, Vorsitzender des Mieterbeiratvorstands der SWSG.

 

Im Rahmen eines Programms für sozialen Wohnungsbau ließ die Stadt Stuttgart die 176 einstöckigen Einfamilienhäuser im Jahr 1926 für städtische Arbeiter und Angestellte errichten. Die Siedlung erstreckt sich entlang der Eier-, Liebig- und der Schreiberstraße. Der Name „Eiernest“ entstammt dem gleichnamigen Gewann am Rande Heslachs. Die Anlage, die nach dem Prinzip der englischen Gartenbauidee möglichst gleichförmig errichtet wurde, gilt als eine der am besten erhaltenen Arbeitersiedlungen in ganz Stuttgart.

Zunächst waren die Häuser als Provisorium gedacht. Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war das Gelände noch einer Nutzung durch die Deutsche Bahn vorbehalten, wurde dann jedoch der Stadt Stuttgart zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grund entschied sich die Stadt für Kleinhäuser in Leichtbauweise, die, wenn nötig, nach 40 oder 50 Jahren einfach wieder abgerissen werden können. Vor knapp 30 Jahren wurden die Häuser allerdings grundlegend modernisiert, wie sich Gunter Reich erinnert.

Große Nachfrage bei den Mietern

1987 ist die Reihenhaussiedlung in den Besitz der SWSG übergegangen. Die stadteigene Wohnungs- und Städtebaugesellschaft hat vor einigen Jahren damit begonnen, die unter Denkmalschutz stehenden Häuser zu verkaufen. Rund 90 sind inzwischen in Privatbesitz. „Ausschlaggebend für den Verkauf waren nicht zuletzt die häufigen Kaufanfragen der dort lebenden Mieter“, so eine Sprecherin der SWSG. Jeder Mieter habe selbst entscheiden können, ob er kaufen wolle. Die SWSG verkaufe erst, wenn Mieter von sich aus kündigten.

„Ich finde es traurig, dass die Häuser nach und nach verkauft werden“, sagt Gunter Reich. Seitdem sei das Leben im Eiernest nicht mehr dasselbe. „Damals war das hier Idylle pur. Das ist heute nicht mehr so“, stellt der 71-Jährige fest. Mitten im Krieg, im Jahr 1941, sei er in der Siedlung geboren. Lange habe er geglaubt, dass er sein restliches Leben dort verbringen werde. „Mein Traum von einer geschlossenen Siedlung ist aber seit einiger Zeit geplatzt“, gesteht Reich. Es ärgert ihn, dass die neuen Besitzer die Auflagen des Denkmalschutzes nicht einhalten. „Die Häuschen sind überhaupt nicht mehr gleich“, sagt Reich. Besonders der eierschalenfarbene Anstrich werde kaum mehr eingehalten. Ursprünglich sahen alle Häuser gleich aus, der Grundriss des Erdgeschosses war in allen identisch angelegt. Die Stadt Stuttgart hat das Eiernest zunächst als eine attraktive Gartenbausiedlung erhalten, die einen idealen Wohnraum für Familien mit Kindern bot. Der Gedanke war, dass die Siedlung gute soziale Bedingungen schaffe. Die Wohnungen waren sozial schwachen Familien vorbehalten.

Von den übriggebliebenen Mietern wohnen einige schon, wie Gunter Reich, ihr ganzes Leben lang dort. Drei Mieterinnen gehören sogar noch zu den ersten, die im Eiernest mit ihrer Familie eingezogen sind.