Zwei Wochen weg von daheim, mit wenig Geld und fast keiner Aufsicht: Sieben Schülerinnen studieren ein Theaterstück ein, das es in sich hat. Außer ihnen haben auch die Betreuer viel gelernt.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Die Reise beginnt mit einer extrem anstrengenden Umleitung. Sie führt die kleine Gruppe mit ihren voll bepackten Rädern einen steilen Berg hinauf und auf eine große Schleife, so dass die Radler schon mal drei Stunden später als geplant am Ziel ankommen. Viel erschöpfter sowieso. Die Reise endet mit zwei ungeplanten Auftritten vor großem Publikum und einem Lob, das man sich nicht größer vorstellen kann. „Das war das Unterhaltsamste und Tiefgründigste, was ich in diesem Jahr gesehen habe“, sagt Martina Hoanzl, die an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg lehrt.

 

Wobei, zu Ende ist das nicht, was die sieben Mädchen und die zwei Studenten auf ihrer Reise erlebt haben. Das, was zwischen dem Anfang und dem Ende steht, wird nachhallen. Wenn es gut läuft, für immer.

Die Mädchen organisieren alles selbst

Herausforderung heißt das Projekt, das die Französische Schule in Tübingen mit der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg für sich entdeckt hat. Die Schüler, in diesem Fall die Acht- und Neuntklässler, ziehen zwei Wochen in die Welt, wo sie eine selbst auferlegte Herausforderung meistern. Ohne Kontakt zu den Eltern, ohne Spickzettel, ohne Handy, mit wenig Geld und nur ein bisschen Aufsicht. Die Begleiter, allesamt Studenten der Pädagogischen Hochschule, dürfen nur dann einschreiten, wenn wirklich Not am Kind ist. Nicht nur für die Schüler eine Herausforderung, wie sich zeigen wird.

Was ist ein guter Ort, um ein Theaterstück einzustudieren? Ein Erlebnisbauernhof in Waldmössingen zum Beispiel. Wie kommt man dahin? Ganz einfach: mit dem Zug nach Horb, von dort mit dem Rad zum Ziel. Was kann man tun, wenn die Übernachtungen zu teuer für das kleine Budget sind? Mitschaffen, was sonst: Heu auf den Heuboden laden, Futter für die Tiere abpacken, ein ausrangiertes Boot in einen Blumentrog verwandeln. Wie wird man satt? Kein Problem: Reis und Nudeln kochen, Pesto und Tomatensoße dazu machen. Schmeckt immer.

Auch die künftigen Lehrer werden klüger

Das alles sagt sich leicht, mit jahrelanger Erfahrung. Das ist auch leicht, wenn man Lara erzählen hört. Und Michaela und Johanna. Gut, es gab Diskussion darüber, ob man sich eine Packung Chips leisten soll oder ob eine Tiefkühlpizza das Budget sprengt. Aber das ist ja auch lehrreich. Fanny sagt, sie hat gelernt, Verantwortung abzugeben. Ylva hat festgestellt, dass sie sich traut, mehr sie selbst zu sein. Maimuna findet sich offener. Johanna geht mehr aus sich heraus. „Das haben wir gut gemacht“, sagt Fidan, die sich selbstbewusster fühlt.

Mehr als 100 Schüler waren an der diesjährigen Herausforderung der Französischen Schule beteiligt, in 25 Gruppen waren sie unterwegs. Es gab welche, die kletterten in England über Klippen. Andere nahmen eine Querung der Alpen in Angriff. Wieder andere machten Straßenmusik bei Ulm, und in Waldmössingen nahm „Schneewittchens Karriere“ Gestalt an. Alle sind gesund zurückgekommen und glücklich – und klüger. Auch die Studenten.

Was tun, wenn die Kinder zwei Päckchen Nudeln kaufen für sieben Esser? Nichts. Und was, wenn sie vier Tafeln Schokolade zur Kasse tragen? Nichts. Wer legt fest, wann der Tag beginnt? Die Mädchen. Wer klärt, wann und wo man dem Hausherrn zur Hand geht? Nicht die Studenten. Wo anmerken, dass die böse Stiefmutter noch nicht hämisch genug lacht? Der Moment wird kommen. Wie das Beste aus der Liebeszene machen? Wird schon werden.

Das Theaterstück kommt prima an

Nico Safai und Mirko Giallorenzo studieren im achten Semester an der PH. Wenn man die beiden jungen Männer von ihrer Zeit in Waldmössingen erzählen hört, kann man glauben, dass diese zwei Wochen mindestens so wertvoll waren wie alle Jahre an der Hochschule zusammen. Normalerweise stellen Lehrer Aufgaben und präsentieren am Ende Lösungen, die von vornherein feststehen. Und sie schreiten in der Regel ein, wenn ein Schüler den vorgegeben Pfad verlässt. „Man muss den Schülern Zeit geben und sie selber machen lassen“, sagt Nico Safai nun, da er gelernt hat, seine Zöglinge loszulassen. Und Mirko Giallorenzo, dem es oft schwerfiel, sich nicht einzumischen, hat festgestellt, es geht auch ohne. „Nicht immer hat alles auf Anhieb geklappt – aber es hat geklappt.“ Und verhungert – man ahnt es – ist auch niemand.

Martina Hoanzl, die in gewisser Weise ja selbst Lehrerin ist, sieht aus, als könne sie ihr Glück nicht glauben. Die Dozentin für Pädagogik und Didaktik bekommt immer wieder zu hören, dass dieses Projekt namens Herausforderung wohl eher eine Zumutung sei für die Studenten. Und dass es weniger mit Schule als mit Sozialpädagogik zu tun habe. Und nun sitzen Schüler vor ihr, die bewiesen haben, dass sie Antworten auf Fragen finden können, die heute wahrscheinlich noch nicht einmal ihre Lehrer kennen. Und Studenten, die gelernt haben, dass man niemals ausgelernt haben wird. Ist das nicht eine beruhigende Gewissheit in einer Zeit, in der so vieles im Umbruch ist? „Dieses Projekt“, sagt Martina Hoanzl, „bringt das wirkliche Leben und die künstliche Schule zusammen.“

Bevor die junge Theatertruppe aus Waldmössingen abgereist ist, hat sie ihr Schneewittchen auf dem Bauernhof aufgeführt. Im Stall, weil es draußen regnete. Pferde schnaubten und Esel scheuerten an den Wänden. Na und! Alles hat ganz wunderbar funktioniert. Wie sonst?