Nach einem sehr schwierigen ersten Jahr zieht Katharina Pfister, die Chefin des neuen Amts für Migration und Flüchtlinge, Bilanz.

Böblingen - Kaum im Amt wurde Katharina Pfister im vergangenen Jahr von Arbeit geradezu überrollt. Bis zu 700 Flüchtlinge musste sie pro Monat neu unterbringen, kam kaum hinterher mit der Bereitstellung von Unterkünften. Mittlerweile hat sich die Situation entspannt. Es kommen kaum noch neue Asylbewerber in den Landkreis. Doch die eigentliche Arbeit beginne erst jetzt, sagt die Leiterin des Amts für Migration und Flüchtlinge.

 
Frau Pfister, bei unserem ersten Interview vor einem Jahr waren Sie ziemlich am Schwimmen. Ganz neu in einem neu geschaffenen Amt hatten sie keine Zeit zur Einarbeitung. Fast täglich wurden neue Zahlen bekannt gegeben, von Flüchtlingen, die sie sofort unterbringen mussten. Wie geht es Ihnen heute?
Es geht mir viel besser. Den immensen Druck des vergangenen Jahres spüre ich so nicht mehr, wobei die Aufgabe weiter eine sehr große ist. Aber jetzt habe ich mich hier eingewöhnt, kenne die Kollegen des Landratsamtes, und wir haben eine Struktur für das neue Amt für Migration und Flüchtlinge geschaffen. Als ich anfing, hatten wir 40 Mitarbeiter. Innerhalb eines Jahres sind wir auf 131 Mitarbeiter angewachsen. Das war eine enorme Herausforderung.
Können Sie sich nun Ihrer eigentlichen Aufgabe widmen, der Umsetzung des schon lange beschlossenen Integrationskonzepts für alle Bürger mit Migrationshintergrund?
Das gehen wir zum Ende des Jahres an. Im Moment liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit noch immer auf den Flüchtlingen. Doch jetzt geht es nicht mehr um die Unterbringung, sondern um die Integration.
Wie gehen Sie diese an?
Es gibt drei große Themen: Sprachförderung, Wertevermittlung und Integration in den Arbeitsmarkt. Am wichtigsten ist zunächst die Sprache. Da haben wir geschaut, dass wir möglichst alle Programme, die es dafür von Bund und Land gibt, anzapfen konnten. Und wir haben die uns zustehende Förderung mehr als ausgeschöpft. Wir haben mehrere Anbieter von Sprachkursen für die unterschiedlichen Niveaus. Auch Firmen, zum Beispiel die Compart Deutschland oder Daimler, machen Kursangebote für Flüchtlinge. Alle Anbieter treffen sich in einer Arbeitsgemeinschaft, und wir haben eine Stelle für die Koordination geschaffen.
Wie viele Flüchtlinge nutzen die Sprachangebote?
Wir haben aktuell etwa 1200 Teilnehmer in den Sprachkursen und 200 bis 300 Leute auf der Warteliste. An der Warteliste arbeiten wir. Das Interesse an den Deutschkursen ist groß.
Schwieriger ist die Integration in den Arbeitsmarkt. Experten reden mittlerweile von fünf bis zehn Jahren Zeit, die das brauchen wird.
Zeitangaben halte ich für schwierig. Wir strengen uns natürlich an, dass es schneller geht. So haben wir eine Kooperation mit der School of International Business und Entrepreneurship (SIBE) der Steinbeis-Hochschule und dem Landesverband der baden-württembergischen Industrie (LVI) gestartet. Asylsuchende Akademiker haben die Möglichkeit, in 24 Monaten einen Masterabschluss, Praxiserfahrung bei Unternehmen sowie Deutschkenntnisse zu erwerben. Die Absolventen dieses Kurses sind dann voraussichtlich nach sehr viel kürzerer Zeit gut integriert.
Das sind besondere Angebote für einige wenige. Woran hakt es auf dem normalen Arbeitsmarkt? An der Bereitschaft der Flüchtlinge zu arbeiten?
Nein, die Bereitschaft zur Arbeit ist groß. Aber es gibt zwischen den Menschen erhebliche Unterschiede. Da sind zum einen Hochqualifizierte, die hoffen, hier in Deutschland auf dem gleichen Niveau wie in ihrer Heimat arbeiten zu können, und dann merken: Es scheitert an den Sprachkenntnissen.
Also der berühmte Professor, der Taxi fährt?
Ich denke, es kann gut sein, dass dieser Professor eine Zeit lang Taxi fährt und nebenbei Sprachkurse besucht. Nicht alle Flüchtlinge können und wollen es sich leisten, von öffentlicher Hilfe zu leben. Viele müssen auch Geld verdienen, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Ich denke, wir dürfen diesen Professor nicht aus den Augen verlieren. Denn wir brauchen solche qualifizierten Menschen. In einigen Jahren, wenn sein Deutsch gut genug ist, kann er vielleicht in seinen alten Beruf einsteigen.
Sind nicht eher die gering Qualifizierten das Problem? Gibt es für sie genügend Angebote?
Die Agentur für Arbeit und viele Unternehmen bieten ganz unterschiedliche Modelle für den Berufseinstieg. Da ist zum Beispiel Daimler mit seinen Brückenpraktika oder die Samariterstiftung, die Altenpfleger ausbildet. Alle diese Angebote sind mit einem Sprachkurs verknüpft. Wir brauchen noch mehr solcher Projekte.
Sie sprachen von einem weiteren Baustein der Integration, der Wertevermittlung. Was hat es damit auf sich?
Die Integration von so vielen Menschen aus anderen Kulturkreisen wollen wir durch eine Vermittlung unserer Werte unterstützen. Dazu haben wir ein Konzept entwickelt, das nun mehrere Träger umsetzen. Darunter ist zum Beispiel aus dem Landkreis: Nika – das Netzwerk interkulturelle Arbeit. Dessen Mitarbeiter gehen in die Flüchtlingsunterkünfte und diskutieren mit den Bewohnern.
Zu welchen Themen?
Wir haben vier Schwerpunkte: die Gleichstellung von Mann und Frau, die Diversität in Deutschland. Vor allem an Eltern richtet sich das Thema Bildung. Vielen ist nicht bewusst, dass Schulen bei uns die Mitarbeit der Eltern erwarten. Und dann geht es noch um das Thema Prävention vor Radikalisierung. Dabei ist uns wichtig, dass diese Workshops in einem geschützten Rahmen stattfinden. Die Flüchtlinge sollen ihre Gedanken frei äußern dürfen. Das sind keine Lehrstunden, sondern Diskussionen auf Augenhöhe. Die Bewohner nehmen das sehr gerne an. Sie haben viele Fragen.
Wie viele Seminare wird es geben?
Wir bieten sie in allen Unterkünften im Landkreis an. Dabei schulen wir unsere eigenen Sozialbetreuer, damit sie künftig diese Seminare eigenständig anbieten können, immer, wenn neue Bewohner hinzukommen.
Wie viele Neue nehmen Sie denn noch auf?
Im Augenblick leben etwa 3100 Flüchtlinge in den Unterkünften des Landkreises. Mit Blick auf die Aufnahmezahlen des Landes stellen wir uns monatlich auf die maximale Aufnahme von 100 Personen ein. Im August sind uns jedoch nur sechs Personen zugewiesen worden. Das ist allerdings der niedrigste Wert, den wir je hatten.
Die politische Lage im Nahen Osten ist nach wie vor sehr unsicher. Was ist denn, wenn es morgen wieder einen Zustrom von Flüchtlingen gibt? Sind Sie auf eine solche Herausforderung vorbereitet?
Viel besser als vor einem Jahr. Wir haben die Kapazitäten, die Räume und das Personal. Wir wären gut vorbereitet.