Mit seinen Geschäftszahlen für 2017 konnte das Unternehmen hinter Snapchat an der Börse punkten. Doch dann brachte ein Tweet von Reality-TV-Sternchen Kylie Jenner die Aktie wieder ins Trudeln. Das Papier bleibt also äußerst anfällig für Schwankungen.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Der Februar war ein nervenaufreibender Monat für Snap-Aktionäre. Mal wieder. Seit der Anbieter der beliebten Smartphone-App Snapchat vor einem Jahr an die Börse ging, ist der Kurs in Euro gerechnet um rund 40 Prozent gesunken. Den jüngsten Rückschlag erlitt die Aktie, als sich Reality-TV-Sternchen Kylie Jenner über eine Überarbeitung der App beschwerte. Nach einem kritischen Tweet der auch als Model bekannten Halbschwester von Kim Kardashian knickte der Kurs Mitte vergangener Woche kräftig ein.

 

Kaum zu glauben, dass eine einzelne Promi-Aussage derartige Wirkung entfalten kann. Doch Jenner ist in sozialen Netzwerken ein Star, allein auf Twitter verfolgen 25 Millionen Menschen ihre Äußerungen. Besonders in ihrer eigenen Altersgruppe hat die Stimme der 20-jährigen Amerikanerin Gewicht – zumindest fürchten das offenbar die Snap-Aktionäre. Denn Jenners Generation ist es, die Snapchat am stärksten nutzt.

Überdies ist Jenner mit ihrer Kritik an der jüngsten Version der für den Austausch von Fotos, Videos und Kurznachrichten genutzten App nicht allein. Schon Wochen vor ihrem Tweet hatten empörte Snapchat-Nutzer im Internet eine Unterschriften-Aktion gegen das neue Design gestartet. Der Grund: Neuerdings gibt es bei Snapchat zwei Kanäle, einen für die Kommunikation mit Freunden und einen für Videos und Fotos professioneller Anbieter – von Medien beispielsweise.

Das Unternehmen will auf seine Anzeigenkunden zugehen

Snap erhofft sich davon mehr Aufmerksamkeit für seine kommerziellen Kunden und damit höhere Anzeigeneinnahmen. Erste Erfahrungen deuteten darauf hin, dass professionelle Inhalte von mehr Nutzern wahrgenommen würden und diese auch die Anzeigen länger betrachteten, sagte Snap-Chef Evan Spiegel bei der Vorstellung der Jahresbilanz Anfang Februar.

Höhere Anzeigeneinnahmen hat das Unternehmen bitter nötig, denn sechseinhalb Jahre nach seiner Gründung steckt es noch immer tief in den roten Zahlen. 2017 machte Snap 3,4 Milliarden Dollar Verlust. Das Minus geht zu einem erheblichen Teil darauf zurück, dass das Unternehmen seinen Angestellten Boni in Form von Aktien im Wert von 2,6 Milliarden Dollar gewährte. Allein Vorstandschef Spiegel bekam als Belohnung für den Börsengang vor einem Jahr gut 37 Millionen Aktien.

Trotz des Verlusts wurde die Jahresbilanz an den Börsen zunächst positiv aufgenommen, denn die Zahl der aktiven Nutzer – als solcher gilt, wer die Snapchat-App wenigstens ein Mal täglich öffnet – stieg binnen Jahresfrist um fast 20 Millionen. Die Erträge konnte Snap mehr als verdoppeln.

Snap will für Ältere attraktiver werden

Das Unternehmen strebt nun eine Erweiterung seiner Zielgruppe an: Die umstrittene Überarbeitung der App solle helfen, Menschen über 35 für Snapchat zu begeistern, sagte Vorstandschef Spiegel vor Analysten. Allerdings besteht die Gefahr, dass dies die Stammkundschaft verärgert: Ein Grund für den Erfolg von Snapchat bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei gerade „die Abgrenzung von sozialen Netzwerken wie Facebook, die auch von der Elterngeneration genutzt werden“, sagt Bernadette Kneidinger-Müller, Professorin für Internet-Soziologie an der Universität Bamberg.

Ähnlich sieht es Peter Curwen, Dozent an der britischen Universität Northumbria: „Wenn erstmal der Papa bei Snapchat ist, melden sich die Kinder ab.“ Curwen glaubt nicht daran, dass Snapchat ein ähnlicher Erfolg beschieden sein wird wie Facebook. Allerdings sei gut möglich, dass früher oder später einer der großen Konkurrenten Snapchat kaufe. Für Evan Spiegel und seinen Kompagnon, Snap-Mitgründer Bobby Murphy, wäre das wahrscheinlich ein gutes Geschäft: Die beiden sind noch immer die größten Einzelaktionäre von Snap.

Harte Konkurrenz

Für Anleger, die sich beim Börsengang mit Anteilen des kalifornischen Unternehmens eingedeckt haben, wäre ein solches Szenario dagegen nur bei einem hohen Kaufpreis positiv. Denn Aktienkäufer der ersten Stunde haben ihre Snap-Anteile teuer bezahlt: Bei der Handelseröffnung am 2. März 2017 kosteten die Papiere an der New Yorker Börse 24 Dollar und verteuerten sich binnen wenigen Tagen auf 28 Dollar. Ein vergleichbares Niveau hat die Aktie seither nicht mehr erreicht, aktuell notiert sie bei rund 17 Dollar. Das entspricht dem Preis, zu dem sie vor der Börsennotierung an Großinvestoren ausgegeben wurde.

Der britische Wissenschaftler Curwen, der seit Jahren Internet-Giganten wie Facebook und Google beobachtet, hält die Chancen für eine nachhaltige Kurserholung für gering: „Es gibt nichts an Snapchat, was man nicht kopieren könnte“, gibt er zu bedenken. Diese Erfahrung hat Snap in der Vergangenheit bereits machen müssen: Die zentrale Innovation bei Snapchat, nämlich dass Nachrichten und Fotos kurz nach Eingang beim Empfänger wieder verschwinden, wurde von der Facebook-Tochter Instagram flugs nachgeahmt. Dort besteht jedenfalls die Möglichkeit, „selbstlöschende“ Fotos oder Videos zu verwenden. Instagram wird derzeit täglich von rund 500 Millionen Menschen genutzt. Angesichts dieser Konkurrenz dürfte es für Snapchat schwer werden, die für profitable Geschäfte nötige Masse an Nutzern und Anzeigenkunden zu gewinnen.