Eine Serie stellt alle Cannstatter Stadtteile vor. Heute: Schmidener Vorstadt. Der Architekt und Musiker Manfred Bauerle wohnt seit 56 Jahren in dem Wohngebiet und weiß: Der Charme des Stadtteils offenbart sich eher auf den zweiten Blick.

Bad Cannstatt - Er sei nicht spektakulär, vielleicht nicht einmal besonders attraktiv, bilanziert Manfred Bauerle, wenn er über seinen Stadtteil spricht. Und doch hat er sich ganz bewusst für ein Leben in der Schmidener Vorstadt entschieden. Es ist eine Liebe auf den zweiten Blick: „Meine Frau und ich sind nicht ganz freiwillig hierher gezogen.“ Es sei vielmehr eine pragmatische Entscheidung gewesen, eine Wohnung in dem Haus seines Onkels und seiner Tante zu beziehen, erzählt der gebürtige Fellbacher. Denn damals habe es noch Wohnraumbewirtschaftung gegeben, Wohnungen wurden einfach zugeteilt. Dann doch lieber ins Haus der Verwandtschaft einziehen, da man weiß man, was man hat – auch wenn dieses Haus in der Schmidener Vorstadt liegt. Aus der unfreiwilligen Liaison ist ein Bund fürs Leben geworden: 56 Jahre lebt die Familie Bauerle inzwischen in der Ortelsburger Straße und kann sich nicht vorstellen, dort wegzuziehen. „Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, uns hier zu etablieren.“

 

Vor allem die Lage sei sehr geschickt, beschreibt Bauerle den aus seiner Sicht größten Pluspunkt des Wohngebiets. Man sei mit Rad oder Bahn nicht nur schnell im Zentrum von Bad Cannstatt und der Stuttgarter Innenstadt, sondern auch schnell im Grünen: „Wir genießen es sehr, mit wenigen Schritten den Kurpark, die Weinberge und das Schmidener Feld zu erreichen.“ Für ihn als gebürtigen Fellbacher sei nicht zuletzt die Nähe zu Fellbach praktisch, wohin er bis heute gute und enge Kontakte hat, so der Musiker und Architekt.

Veränderungen haben immer auch etwas Positives

In 56 Jahren hat er viel erlebt in der Schmidener Vorstadt, vor allem eine gute Nachbarschaft, die den Stadtteil auszeichnet: „Wir haben hier in der Straße Nachbarschaftsfeste gefeiert, auf denen ich mit meiner Jazz-Band aufgetreten bin, und einmal hatten wir Nachbarn sogar einen eigenen Wagen beim Faschingsumzug in der Stuttgarter Innenstadt“, erzählt der Cannstatter. Heute seien die Feste weniger geworden, was aber auch an seinem Alter liegen könne, so der 82-Jährige schmunzelnd.

Aber nicht nur die Menschen, auch der Stadtteil hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten verändert. Die Bebauung ist dichter geworden, landwirtschaftliche Betriebe und Weingärtner sind Wohnhäusern gewichen. „Früher hatten wir gegenüber von uns einen Schweinestall“, erzählt Bauerle, was sich heute kaum mehr einer mitten in Stuttgart vorstellen kann. Um sich mit den Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen, habe früher keiner die Schmidener Vorstadt verlassen müssen: „Es gab einen Metzger, Bäcker und eine Apotheke.“ Übrig geblieben ist nur ein Teil davon. „Doch Veränderungen haben immer auch etwas Positives“, findet Bauerle. Durch den verstärkten Zuzug von Menschen mit Migrationshintergrund habe der Stadtteil beispielsweise ein italienisches Lebensmittelgeschäft gewonnen, das er und seine Frau schätzen und deshalb dort regelmäßig einkaufen. „Eine Zeitlang hatten wir persische Freunde im Stadtteil und haben rauschende persische Feste im unserem Haus gefeiert“, erzählt er. Heute sei es etwas schwieriger geworden, Kontakte zu den Nachbarn zu knüpfen, doch letztlich, davon ist Bauerle überzeugt, braucht es eigentlich immer nur einen, der die Initiative ergreift, dann klappt es auch mit dem Miteinander.