Vor einigen Tagen hat der nierenkranke StZ- Korrespondent Willi Germund berichtet, dass er in Afrika einen Organspender gesucht und bezahlt hat. Ihm antwortet die frühere StZ-Mitarbeiterin Simone Bürkle, die ihrem Ehemann eine Niere gespendet hat.

Stuttgart - Ja, es wäre verlockend gewesen, zweifellos. Ich würde lügen, wenn ich verschwiege, dass wir nicht auch darüber nachgedacht hätten. Mehr als drei Jahre Dialyse lagen 2013 hinter meinem Mann. Eine tückische Erbkrankheit namens Morbus Fabry hatte seine Nieren zerstört. Drei Jahre voller Entbehrungen, voller Schmerzen und bitterer Wahrheiten. Es ist nicht leicht, das auszuhalten. Dialyse bedeutet nicht zwangsläufig den Tod auf Raten. Sie ist ein Segen, eine Möglichkeit, um existieren zu können. Aber sie entfernt den Menschen vom Leben. Sie macht ihn abhängig, raubt ihm alle Energie. Die dick geschwollenen Beine, die Kopfschmerzen, die ewigen Kreislaufprobleme, die Schwächeanfälle – all das hat mein Mann ebenso erlebt, wie es Willi Germund schildert.

 
Simone Bürkle hat ihrem Mann eine Niere gespendet. Foto: Achim Zweygarth

Auch wir als Familie haben es erlebt. Unsere beiden kleinen Kinder haben es hautnah mitbekommen, wie ihr Vater unter der belastenden Situation gelitten hat. Wie er nach unzähligen Operationen und Dialysenächten oft am Rande seiner Kräfte war. „Ich will nicht, dass der Papa stirbt“ – das ist an manchen Tagen zum Mantra unseres Sohnes beim Zubettgehen geworden.

Uns wurde prophezeit, dass wir auf eine Leichenspende acht Jahre warten müssten – viel zu lange für meinen Mann, dem die Zeit davonlief. Zu lang auch für mich. Ich konnte es irgendwann nicht mehr mitansehen, wie der wichtigste Mensch in meinem Leben zusehends körperlich verfiel. Also haben wir nach einem Lebendspender gesucht. Anderthalb Jahre lang zog sich dieser Prozess hin. Zwei Menschen aus unserem direkten familiären Umfeld hätten sich zur Verfügung gestellt. Sie wurden nacheinander untersucht – und kamen beide als Spender aus medizinischen Gründen nicht in Frage. Nach jedem Rückschlag waren wir am Boden zerstört. Die Hoffnung auf ein normales Leben, das für viele Menschen so selbstverständlich ist, schwand immer mehr.

Und dann diese Option. Ein paar tausend Euro. Eine oder zwei Reisen ins Ausland. Eine Operation ohne die unzähligen Untersuchungen, die hier einer Organspende vorangehen, insbesondere einer Lebendspende. Es wäre so einfach gewesen. Unsere Sorgen: Mit einem Mal passé. Dafür die Aussichten auf ein lebenswertes Leben. Ja, es gibt sie, diese verführerischen Angebote, auf dem Schwarzmarkt ein Organ zu kaufen. Für einen durchschnittlich begüterten Menschen aus dem Westen ist das durchaus machbar.

Und doch war uns beiden von Anfang an klar: Das kann nicht unser Weg sein. Als vergleichsweise reicher weißer Europäer einem Menschen aus einem Drittweltland eine Niere abzukaufen und sich einpflanzen zu lassen, ist nicht nur strafbar. Zurecht strafbar, wie wir finden, denn dieses Gesetz schützt die Schwachen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als einen Teil ihrer Selbst zu verkaufen. Vielmehr erschien uns ein solches Vorgehen auch immer höchst zynisch und menschenverachtend. Eine moderne Form des brutalsten Kolonialismus, so kam es uns vor.

Wer, so fragten wir uns, gibt uns das Recht, die Notlage eines weniger vom Schicksal begünstigten Menschen derart auszunutzen? Wie können wir das Leben meines Mannes über das eines Menschen stellen, der aus Perspektivlosigkeit seine Gesundheit aufs Spiel setzt? Und wer würde dafür geradestehen, wenn etwas schief liefe? Der Spender, das ist klar, ist in solchen Fällen schutzlos. In den Ländern, in denen die Niere entnommen wird, gibt es keine Nachsorge. Und keine Absicherung, wenn dem Spender etwas passiert. Wie hätten wir es verantworten können, im schlimmsten Fall einem anderen Kind den Vater zu nehmen, wo doch unsere eigenen Kinder täglich um den ihren bangten? „Ich werde das nicht tun. Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“, sagte mein Mann deutlich. Ich hätte es ihm nicht verdenken können, wenn er es trotzdem gewollt hätte. Aber ich bin froh über seine Entscheidung. Und ich bin stolz auf ihn, weil er nicht den einfachsten aller Wege gegangen ist.

Wir haben schließlich einen anderen Weg gefunden, der für uns gepasst hat. Obwohl ich nur im äußersten Notfall zur Lebendspenderin werden wollte, haben wir uns dafür entschieden. Für unsere Zweifel gab es handfeste Gründe. Wer sollte für die Kinder da sein, wenn mir etwas passiert? Und es gab ein weiteres Dilemma. Auch unsere Tochter hat die Krankheit ihres Vaters geerbt. Was, wenn auch sie eines Tages eine Niere benötigt? Ich würde dann als Spenderin nicht mehr in Frage kommen, das war uns damit klar.

Und dennoch haben wir diesen Schritt letztlich gewagt. Im Juli 2013 haben wir die Transplantation erfolgreich geschafft. Der Eingriff war schwer und umfassend, wir haben Wochen gebraucht, um uns davon zu erholen. Erst, als wir ihn hinter uns hatten, ist mir klar geworden, von welcher Tragweite die Entscheidung war. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Mensch in einem Drittweltland in einer Hinterhofklitsche aufgeschnitten wird, damit ihm dort das Organ entnommen wird, schaudert es mich. Die Risiken sind unkalkulierbar. Mit Menschenwürde hat das das nichts mehr zu tun. Wie hätten wir das jemals verantworten können?

Heute geht es uns beiden sehr gut. Unsere Lebensqualität hat sich drastisch verbessert. Und auch wenn wir noch immer mit der Krankheit meines Mannes kämpfen müssen, so bedeutet doch jeder einzelne gute Tag, den wir zusammen erleben dürfen, ein Wunder für uns.

Wir beide sind voller Dankbarkeit für dieses Leben. Und ich glaube nicht, dass wir diese Dankbarkeit so genießen könnten, wenn wir unsere neue Lebensqualität auf Kosten eines anderen armen Menschen erworben hätten. Mag sein, dass andere mit diesem Wissen weniger Skrupel haben. Es steht mir nicht zu, das zu verurteilen. Für uns aber ist die die Frage klar beantwortet: Leben ist ein Geschenk – keine Ware.“