Die Einigung in Genf könnte eine neue Epoche in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran einläuten. Doch dazu müssen Taten folgen. Im Iran sind die Hoffnungen auf ein Ende der Isolation groß.

Genf - Müde, ausgelaugt aber zufrieden – so präsentierte sich am frühen Sonntagmorgen die EU-Außenpolitikchefin Catherine Aston. Die Britin trat im Genfer Völkerbundpalast vor die Medien aus aller Welt und verkündete die geschichtsträchtige Einigung über Irans Atomprogramm.

 

Neben Ashton stand Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Links von ihr bezog Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif Stellung. Die Außenminister der USA, Russlands, Chinas, Frankreichs und Großbritanniens reihten sich ebenfalls ein. Die Kontrahenten beglückwünschten sich gegenseitig, man schüttelte Hände und knipste noch einmal das Siegerlachen für die Kameras an. Nach zehn Jahren der erbitterten Konfrontation wegen Irans Atomprogramm hatte man sich geeinigt, zumindest vorerst. Irans Außenminister Sarif erklärte mit gewohnt freundlichem Gestus, das Übereinkommen werde eine „unnötige Krise verhindern“.

In der Tat markiert der Genfer Deal einen ersten großen Schritt in Richtung eines Gesamtvertrages des Iran mit der Sechsergruppe (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, koordiniert von der EU-Außenpolitikchefin). Dieser noch abzuschließende Gesamtvertrag soll die Nuklearkrise entschärfen.

Erstmals dürfen Inspekteure die Atomanlagen kontrollieren

Das Genfer Übereinkommen gilt zunächst für sechs Monate und soll so schnell wie möglich in Kraft treten. Teheran wird Uran nicht mehr über fünf Prozent anreichern und die Vorkehrungen für eine Anreicherung dafür entfernen. Die Bestände an Uran, die auf etwa 20 Prozent angereichert sind, muss der Iran abbauen beziehungsweise „neutralisieren“. Der Hintergrund: Uran, das niedrig angereichert ist, dient zivilen Zwecken. Uran das zu 20 Prozent angereichert ist, kann weiter angereichert werden, so dass es für den Bau von Atombomben verwendbar ist. Weiter verpflichtet sich der Iran, keine zusätzlichen Zentrifugen zur Urananreicherung zu installieren. Ebenso darf der Iran seine Aktivitäten rund um den Schwerwasserrektor in Arak nicht vorantreiben. Einmal voll in Betrieb könnte Arak Plutonium liefern – eine Alternative für den Bau von Atombomben.Der Iran gewährt der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA umfangreiche Rechte: Inspekteure dürfen täglich die Atomanlagen in Natanz und Fordow kontrollieren. Auch die Anlage in Arak soll besser unter die Lupe genommen werden.

Experten halten den Deal für effektiv. „Die Übergangsvereinbarung erreicht eine ganze Menge“, erklärte David Albright vom Institute for Science and International Security in den USA. Sobald der Iran dies umgesetzt habe, könne das Land nicht mehr so schnell wie bisher den für eine Bombe nötigen Brennstoff erzeugen. Gleichzeitig räumen die Experten ein, dass niemand die Existenz heimlicher Nuklearanlagen völlig ausschließen kann.

Im Gegenzug zu den Zugeständnissen lockert der Westen einige Wirtschaftssanktionen. Und man verpflichtet sich, innerhalb der sechs Monate keine neuen Strafen zu verhängen. Konkret will man etwa die Sanktionen für petrochemische Produkte und beim Goldhandel aussetzen. Insgesamt umfassen die Erleichterungen in den sechs Monaten etwa sieben Milliarden US-Dollar, die dem Iran zugutekommen können. Allerdings berühre das Übereinkommen nicht die „große Mehrzahl der Sanktionen, die in Kraft sind“, betonte US-Außenminister John Kerry. So bleibt der Großteil der etwa 100 Milliarden US-Dollar an gesperrten Vermögenswerten für das Mullahregime außer Reichweite. Falls der Iran seinen Genfer Verpflichtungen nicht nachkommt, dann sollen die suspendierten Sanktionen sofort wieder zuschnappen. Kerry machte klar: Das Übereinkommen „sagt nicht, dass der Iran ein Recht auf Anreicherung hat“. Teheran sieht das anders. Im Iran selbst harrten Hunderttausende die ganze Nacht vor den Fernsehschirmen aus, verfolgten Meldungen über Facebook und Twitter aus Genf, wo sich in der Nacht auf Sonntag das Schicksal ihres Landes, ja vielleicht der ganzen Region entschied. Die Erleichterung, die die Einigung im jahrelangen Atomkonflikt unter der Bevölkerung auslöste, lässt das Maß der Verzweiflung über die quälenden Folgen der internationalen Sanktionen und die Angst vor einem zerstörerischen Militärschlag durch die USA oder Israel erkennen.

Die Iraner hoffen auf ein Ende des Sanktionsdrucks

Stundenlang wiederholte das staatliche Fernsehen den Austausch von Glückwunschbotschaften zwischen dem „Geistlichen Führer“ Chamenei und Präsident Rohani sowie anderen Würdenträgern der „Islamischen Republik“. Diese klare Botschaft lässt erkennen, dass Chamenei zunächst voll hinter dem Aktionsplan steht. Rohani, der versprochen hatte, Irans internationale Isolation zu beenden, feiert den ersten Triumph. Das Abkommen anerkenne Irans Recht zur Urananreicherung, sagte Rohani. Teheran wertet dieses allen Staaten zugestandene Recht als wesentlichen Teil seiner nationalen Würde.

Teheraner Börse feierte Höhenflüge

Die zugesagte Lockerung der Sanktionen bedeutet zwar nur eine minimale Erleichterung für die krisengeschüttelte Wirtschaft, verliert der Iran doch jeden Monat durch die Sanktionen an die fünf Milliarden Dollar. Doch in Teheran sieht man dies als Signal für erste Risse in der massiven Sanktionsmauer. Ein Ende des Drucks wird erst nach Abschluss eines endgültigen Abkommens in Aussicht gestellt. Dennoch feierte die Teheraner Börse, insbesondere die heimische Autoindustrie, am Sonntag Höhenflüge – ebenso der iranische Rial.

Unumstritten ist Rohanis Kurs nicht. Erst am Samstag bekräftigte einer der Führer der mächtigen Revolutionsgarden, dass „der Kampf gegen das hierarchische, von den USA entwickelte und gestützte Weltsystem zu den Hauptanliegen der islamischen Revolution“ zähle und unverändert fortgesetzt werde. Solche Stimmen hat Chamenei durch seine klare Unterstützung der Genfer Übereinkunft zunächst zum Schweigen gebracht. Sie können aber rasch wieder an Gewicht gewinnen, sollten im US-Kongress die Hardliner eine weitere Verständigung mit Teheran blockieren.