Einigung in Untertürkheim Eine Existenzberechtigung für das Daimler-Motorenwerk

Insbesondere für die jungen Beschäftigten am Standort Untertürkheim ist es wichtig, dass das Werk eine Zukunft hat. Foto: Daimler

Im Daimler-Motorenwerk in Untertürkheim wird künftig auch der Antriebsstrang für die E-Autos produziert. Der Konflikt darum zeigt auch, was auf Baden-Württemberg auf dem Weg zur klimaneutralen Wirtschaft zukommt, kommentiert Anne Guhlich.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Wer in diesen Tagen von der Bedeutung der Autoindustrie für ein Bundesland wie Baden-Württemberg spricht, wird schnell schief angeschaut. Viele Menschen sehen in den Autokonzernen nur noch die Hersteller von Autos mit Schummelsoftware und klimaschädlichen Geländewagen. Für sie sind die Unternehmen längst zu einem Feindbild geworden, auf das sie all ihre berechtigten Sorgen vor den Folgen der globalen Klimakrise und einem eskalierenden Wirtschaftssystem projizieren.

 

Doch die Lage ist komplexer. Würde etwa das Motorenwerk von Daimler von heute auf morgen den Bau von Verbrennern einstellen, wäre von heute auf morgen die Hälfte der Männer und Frauen aus der Produktion in Untertürkheim arbeitslos. Dies als bedeutungslos zu bezeichnen, ist ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Menschen. Anders als mancher glauben mag, sind es nicht geldgierige Automanager, die bei einem abrupten Strukturbruch in der Industrie ihre Jobs verlieren. Es trifft die einfachen Arbeiter.

Der Mitarbeiter der Zukunft ist Softwareexperte

Dies konnte in Untertürkheim Anfang des Jahres bereits gut besichtigt werden. Noch bevor von einem Sparprogramm überhaupt die Rede war, hat sich Daimler allein an diesem Standort von 700 Zeitarbeitern getrennt. Darunter waren viele ältere Menschen und viele Männer und Frauen ohne Berufsausbildung. Noch ist der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg aufnahmefähig. Und die Autoindustrie mit ihren Zulieferern wird auch in Zukunft noch eine große Rolle spielen, aber klar ist auch: die Anforderungsprofile der Konzerne werden sich ändern.

Das Auto der Zukunft ist eine Mischung aus Smart Home und Smartphone. Und der Mitarbeiter der Zukunft ist Softwareingenieur und nicht Bandarbeiter. Die Verlierer sind also diejenigen mit der leisesten Stimme und der schwächsten Lobby. Kein Wunder, dass rechte Betriebsräte diese Menschen längst als vermeintlich leichte Beute identifiziert haben. Der Erfolg der Rechten ist mäßig, aber der gesellschaftliche Sprengstoff ist schon jetzt erlebbar.

Auch vor diesem Hintergrund kann der Entscheidung, dass in Untertürkheim künftig die wesentlichen Teile des elektrische Antriebsstrang für die E-Autos des Daimler-Konzerns produziert wird, nicht genügend Bedeutung beigemessen werden. Vor allem, weil die Rahmenbedingungen für die Verhandlungen mehr als ungünstig waren. Das Werk hat bereits vor zwei Jahren dafür gekämpft, sich an der Elektrostrategie des Konzerns beteiligen zu dürfen. Damals allerdings war Daimler das achte Jahr in Folge auf Rekordkurs und das Werk kam mit der Arbeit kaum nach. Allein die Androhung des Betriebsrats, bei einer weiteren Hängepartie der Verhandlungen, die Überstunden zu blockieren, wirkte damals Wunder.

Ein Jobwunder kann von der Einigung nicht erwartet werden

Zwei Jahre später ist alles anders: In manchen Werkteilen gibt es so wenig zu tun, dass die Werkleitung am liebsten die Weihnachtsruhe verlängert hätte. Und über allen Entscheidungen steht das eiserne Spardiktat, das der Daimler-Chef Ola Källenius ausgegeben hat, um durch die drohenden mageren Jahre zu kommen. Umso sinnvoller ist es, dass nun auf die Investitionen in die Elektromobilität, die am Standort nach der Einigung von 2017 bereits getätigt wurden, aufgebaut wird. Dass dies gelungen ist, kann als großer Erfolg von pragmatischen Betriebsräten interpretiert werden.

Ein Jobwunder freilich kann von dem Verhandlungserfolg kurzfristig nicht erwartet werden. Ein elektrischer Antriebsstrang ist wesentlich weniger personalintensiv als ein ein Dieselantrieb – dieses Dilemma können auch die Arbeitnehmervertreter in Untertürkheim nicht auflösen. Umso wichtiger ist es, überhaupt einen Anfang zu machen, aus dem sich für das Werk auch im postfossilen Zeitalter eine Existenzberechtigung ableiten lässt.

Klar ist aber auch: Bei dem Konflikt in Untertürkheim aber geht es um mehr als die Zukunft eines Werks. Der Konflikt zeigt vielmehr im Kleinen, welche massiven Herausforderungen auf das Autoland Baden-Württemberg im Großen zukommen auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft. Dass dieser Weg gegangen werden muss, steht außer Frage. Dass dabei aber die Belange derer, die sich am wenigsten wehren können können, in akademischen Diskussionen über das Klima kleingeredet werden, darf nicht der gesellschaftliche Anspruch sein.

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