Einkaufen in Stuttgart Versuch eines Doppelpasses von Handel und Politik

Das Wirtschaftsministerium will dem Einzelhandel mit Geld helfen, das es noch gar nicht hat. Nicht nur deshalb kritisiert ein Wissenschaftler ein Projekt des Ministeriums scharf.
Stuttgart - Auch dem Wirtschaftsministerium im Land ist der Strukturwandel im Einzelhandel nicht verborgen geblieben. Und natürlich will sich das Ministerium nicht nachsagen lassen, man habe nichts gegen das Händlersterben und das Ausbluten der Städte getan. Aus diesem Grund startete man im Juli gemeinsam mit Akteuren der Branche das Dialogprojekt „Handel 2030“. Ziel war es, Maßnahmen zu erarbeiten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels zu erhalten. Die Ergebnisse des Dialogprojekts sowie die daraus abgeleiteten Maßnahmen präsentierte ein Vertreterin des Wirtschaftsministeriums nun im Haus der Wirtschaft.
Um es vorwegzunehmen: Die Begeisterung bei den anwesenden Händlern, Wissenschaftlern und Funktionären hielt sich in Grenzen. Denn alleine die Bestandsaufnahme unter der Rubrik Innenstädte erbrachte keine neuen Ansätze. Jeder weiß, dass die digitale Infrastruktur ausbaufähig ist. Auch der Hinweis, Händler-Kooperationen aufzubauen, ist nicht revolutionär. Der Verbund der Stuttgarter Traditionsgeschäfte handelt schon seit Jahren nach diesem Muster. Und dass die Innenstadt erreichbar und attraktiv sein müssen, hat schon der erste City-Manager der Stadt, Hans H. Pfeifer, vor zehn Jahren gepredigt. Gleichwohl will das Ministerium seine Maßnahmen im Frühjahr 2020 umsetzen. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man im Haushaltsplan die Investitionssumme von knapp acht Millionen Euro unterbringt. Und dies ist keinesfalls gesichert.
Kritik vom Wissenschaftler
Nicht nur deshalb geht Professor Dirk Funck von der Hochschule Nürtingen-Geislingen für Wirtschaft und Umwelt mit dem Abschlussberichtes ins Gericht. „Wenn man diese Summe auf die Handelsbetriebe umlegt“, rechnet er vor, „kommen für jeden Betrieb 173,91 Euro heraus. “ Die Zielgruppe und der Bedarf passten nicht zusammen. Stattdessen rät Funck zum Einsatz eines zweistelligen Millionenbetrags, „um etwas Sinnvolles zu machen. Denn das Potenzial ist da.“ Apropos Potenzial: Mit seinen Studenten hat Funck herausgefunden, dass nur jeder zweite Händler einen guten Online-Auftritt habe. Von daher empfiehlt er das Geld nicht in „Leuchtturmprojekte, sondern in Schnittstellenarbeit zu stecken“. Auch den Kommunalpolitikern diktierte er etwas ins Stammbuch: „Handel und Stadtentwicklung müssen enger zusammenarbeiten.“ Denn ohne Handel gebe es keine lebendige Innenstadt.
Dies wiederum war Wasser auf die Mühlen von Handelsverbandspräsident Hermann Hutter: „Wenn wir unsere Innenstädte anschauen, sehen wir, dass sich hier Zukunftsfragen entscheiden werden.“ Daher seien die Kommunen gefordert: „Das Innenstadtsterben geht nicht von heute auf morgen. Wenn erst einmal 20 Prozent der Handelsflächen leer stehen, ist es zu spät.“ Damit spricht er auch die Konversion von Handels- zu Büroflächen in den 1-A-Lagen an. Auch in der Königstraße schreitet dieser Prozess voran. Beispiel: Wo früher Esprit gute Geschäfte gemacht hat, soll nach dem Umbau nur noch im Erdgeschoss eine Ladenfläche entstehen. Darüber werden Büros gebaut. Mieter soll ein Landes-Ministerium werden.
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