Einkommensatlas Zuffenhausen Sind die Hochhäuser Stuttgarts Banlieue?

Eine von Stuttgarts Hochhausanlagen: Romeo und Julia in Zuffenhausen Foto: Lichtgut/Montage:Scholz

An Stuttgarts Stadträndern stehen mehrere Hochhaussiedlung, zum Beispiel im Zuffenhäuser Stadtteil Rot. Unser „Einkommensatlas“ zeigt, wer dort wohnt.

Zuffenhausen hat mehr zu bieten als nur die Firma Porsche. Da ist man sich in Stuttgarts drittgrößtem Stadtbezirk sicher. Doch das Image könnte besser sein, und das hat nicht nur mit der Kriminalität zu tun. Einige Viertel im Stadtbezirk gelten als heruntergekommen oder „sozial schwach“.

 

Städtische Daten stützen diese Behauptung ebenso wie unser „Einkommensatlas“. Im Stadtteil Rot beispielsweise gibt es deutlich mehr Arbeitslose und arme Kinder als im Stadtschnitt. Auch beim Einkommen steht Rot im Stuttgartvergleich schlecht da. 27,7 Prozent der Haushalte verdienen maximal 1500 Euro netto im Monat, im Stuttgartschnitt sind es nur 22 Prozent. Der Anteil der Gutverdiener liegt ebenfalls deutlich unter dem Schnitt.

Stuttgarts bekannteste Hochhäuser

In Rot stehen auch Stuttgarts bekannteste Hochhäuser. Sie heißen Romeo und Julia. Ende der 1950er Jahre wurden sie bezogen. Das Konzept von Architekt Hans Scharoun (1893 bis 1972) sah ein höheres, punktförmiges und ein niedrigeres, halbkreisförmiges Hochhaus vor. Man könnte also sagen, Julia (11 Stockwerke) blickt zu Romeo (19 Stockwerke) auf – dem einst höchsten Wohnhaus Deutschlands. Als im Frühjahr 1957 Besichtigungstermine angekündigt wurden, sollen angeblich bis zu 20 000 Menschen Interesse an den 104 Wohnungen bekundet haben. Julia mit ihren 82 Wohnungen wurde zwei Jahre später fertig gestellt.

Die beiden Hochhäuser zeichnen sich in der Karte des „Einkommensatlas“ gut sichtbar ab – mit zahlreichen gelben Punkten, die für mittlere Haushaltseinkommen zwischen 2500 und 3500 Euro im Monat stehen. Aber auch einige blaue (Geringverdiener) und rote Punkte (Gutverdiener) sind darunter.

Offenbar leben nicht mehr nur Eigentümer in den Hochhäusern, die zur Einweihung 1959 vom Leiter des Stuttgarter Bauförderamts im Amtsblatt als „Markstein in der Entwicklung des Eigenwohnbaus in Stuttgart“ bezeichnet wurden. Die Eigentumswohnung sei die für eine Großstadt zweckmäßige Form des Einfamilienhauses – weil Häuser schon damals als teuer und nur noch für einen kleinen Kreis von Menschen erschwinglich galten. Wer eine Wohnung in Romeo oder Julia kaufen möchte, muss aktuell für drei Zimmer mehr als 300  000 Euro einplane. Ist der Stadtteil rund um die beiden Hochhäuser arm oder reich?

Alexander Mak kann die Frage beantworten, wenn auch nicht ganz unparteiisch. Mak wohnt schon immer hier, mittlerweile ist er verbeamteter Gymnasiallehrer und Familienvater, aber auch schon mit kleinerem Geldbeutel. „Es ist einfach ein schöner Stadtteil mit hoher Lebensqualität“, sagt der 42-Jährige mit Begeisterung, „und das Zusammenleben funktioniert“. Wenn es einmal Probleme gebe, könne man mit den Leuten reden – egal, welcher Herkunft sie seien, welchen Beruf sie hätten oder wie viel Geld sie verdienen würden.

Mak sieht auch Verbesserungsbedarf, der Stadtteil sei von Verkehrsadern durchschnitten, einige der vielen Autos seien auch zu schnell unterwegs. Aber man gehe die Dinge gemeinsam an. Seit 2002 engagiert sich Mak ehrenamtlich im Stadtteil, unter anderem beim Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. 2013 endete es, rund zwölf Millionen Euro Fördergelder flossen nach Rot.

„Es war die Chance, im direkten Lebensumfeld etwas positiv zu verändern“, sagt Mak. Grünanlagen, Spielplätze und Straßen sind attraktiver gestaltet, die Einkaufsmöglichkeiten verbessert worden. Das sei nötig gewesen, findet er. Vieles im Stadtteil sei in die Jahre gekommen gewesen. Auch der Zuffenhäuser Bezirksvorsteher Saliou Gueye sieht „soziale und städtebauliche Probleme“ – aber eben auch einen „bunten, lebendigen und lebenswerten Stadtbezirk“.

Einst ein Stadtteil für Heimatvertriebene

Als nach dem Krieg ein Drittel aller Stuttgarter Wohnungen in Trümmern lagen, konnten in Rot zahlreiche landwirtschaftliche Flächen für eine Wohnbebauung genutzt werden. Angesiedelt wurden zunächst vor allem aus Südosteuropa heimatvertriebenen Volksdeutsche, die zuvor im Barackenlager auf der Zuffenhäuser Schlotwiese mehr schlecht als recht untergebracht waren. In Zuffenhausen entstand mit der Siedlung Rot im Laufe der 1950er-Jahre Wohnraum für etwa 20 000 Menschen.

Auch Romeo und Julia tragen ihren Teil dazu bei, so wie andere Hochhaussiedlungen. Beispielsweise in Paris sind sie jedoch über die Jahrzehnte zur weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt-berüchtigten Banlieue geworden. Und in Stuttgart? Zeichnen sich beispielsweise die Blöcke an der Mönchfeldstraße in Stuttgart-Freiberg deutlich im „Einkommensatlas“ ab, ebenso im Fasanenhof und in Neugereut. Stets dominieren eher niedrige bis mittlere Einkommen, in Asemwald geht infas360 wegen der vielen Eigentümer von etwas höheren Einkommen aus.

Auffällig ist, dass die Gutverdiener-Nachbarschaften meist zwei, drei Blocks entfernt verortet werden. Harte Kontraste gibt es nicht, die Hochhaussiedlungen und ihre Umgebung sind aber auch keine reinen Arme-Leute-Viertel. Generell sei Stuttgart nicht sonderlich stark sozial gespalten, sagt der Ungleichheitsforscher Marcel Helbig. Stuttgart hat keine Hochhäuser-Banlieue.

„Eine gute Gemeinschaft“

Im Gegenteil, sagt Alexander Mak. Für ihn sind die Hochhäuser in Rot ein herausragendes Wahrzeichen des Stadtteils. „Ich freue mich immer wieder aufs Neue, dass wir so ein Ensemble haben.“ Öfter seien Architekturstudenten zu beobachten, die sich Romeo und Julia anschauen. Architekt Hans Scharoun hat versucht, auf rechte Winkel zu verzichten. „Das ist auf jeden Fall herausfordernd beim Aufstellen der Möbel“, sagt Mak und lacht.

Scharouns Anliegen war es, mit diesem Hochhausensemble nicht nur Wohnungen mit Komfort, sondern auch einen besonderen Ort der Identifikation für die Siedlung Rot zu schaffen. Das sei geglückt, ist sich Mak sicher. Er ist oft in den Hochhäusern. Freunde und Bekannte wohnen dort. „Es ist eine gute Gemeinschaft. Man kennt, grüßt und unterstützt sich.“ Und die Aussicht sei wirklich sensationell. Übrigens nicht nur in Zuffenhausen.

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