Seit fast zwei Wochen kämpfen Tausende von Soldaten in Nord- und Ostdeutschland gegen das Hochwasser. Im StZ-Interview erklärt der Generalmajor Hans-Werner Wiermann, wie die Bundeswehr Deiche sichert und Leben rettet.

Berlin – Viel Zeit hat Hans-Werner Wiermann für das Interview nicht – gleich geht es mit dem Helikopter vom Hauptquartier in Berlin zum nächsten Einsatzort, diesmal Hitzacker in Niedersachsen. Die Flut ist für den Generalmajor und seine neu geschaffene Einheit (siehe Infokasten) so etwas wie eine Feuerprobe. Im Gespräch mit Philipp Obergassner erklärt Wiermann, wie Soldaten in den Hochwassergebieten Deiche sichern, Feldbetten organisieren, Essen verteilen – und Leben retten.
Herr Generalmajor, wie viele Soldaten der Bundeswehr sind derzeit in den Hochwassergebieten im Einsatz?
Meinem Kommando sind bis zu 20 000 Soldaten dafür unterstellt. Damit erfülle ich Aufträge von den Alpen bis nach Hamburg. Derzeit sind etwa 16 000 Mann an den Deichen, Stand Mittwoch um 14 Uhr.

Wie hilft die Bundeswehr konkret vor Ort?
Beginnen wir bei der materiellen Unterstützung. Wir können für Betroffene eine Unterkunft, trockene Kleidung und Betten zur Verfügung stellen, wenn es darauf ankommt. Wenn es kritisch wird, können wir Bürger aus Überflutungsgebieten retten, idealerweise mit Radfahrzeugen oder – wenn das Wasser schon höher steht – auch mit geländegängigen Fahrzeugen. Wenn es ganz extrem wird, müssen wir auch einzelne Personen mit dem Hubschrauber von Dächern retten, das ist aber bei diesem Hochwasser Gott sei Dank noch nicht der Fall gewesen. Der klassische Auftrag ist, die Deiche zu erhöhen und sie mit Sandsäcken zu verteidigen.

Welche Geräte und Fahrzeuge kommen zum Einsatz?
Im Grunde sind wir mit allem ausgestattet, was man bei Überschwemmungen braucht. Speziell für das Hochwasser geeignet sind unsere Hubschrauber. Die sind hervorragend bei Evakuierungen, sie können aber auch helfen, aus der Luft die Dämme dort zu schließen, wo es zu Fuß oder mit dem Fahrzeug zu gefährlich wäre. Mit schwerem Pioniergerät haben wir geholfen, die Autobahn 9 in Bayern wieder für den Schwerlasttransport zu öffnen. Damit können wir auch Sandsäcke transportieren. Wir haben Flugzeuge der Marine mit entsprechender Sensorik, die es uns erlauben, Höhenprofile darzustellen und Infrarotaufnahmen zu machen. So können wir abschätzen, wo Deiche gefährdet sind.

Gibt es eine Ausbildung, die Soldaten auf so einen Einsatz vorbereitet?
Es gibt keine speziell auf den Katastrophenschutz ausgerichtete Ausbildung der Bundeswehrsoldaten. Für den Katastrophenschutz in der Bundesrepublik ist die zivile Seite zuständig. Die Bundeswehr kommt dann zum Einsatz, wenn die Kräfte der zivilen Seite nicht mehr ausreichen.

Wie funktioniert die Logistik bei der Hochwasserhilfe?
Derjenige, der vor Ort am besten entscheiden kann, bekommt die Verantwortung übertragen. Konkret bedeutet das: Hier in Berlin teilen wir die Truppe ein, wir sorgen dafür, dass genügend Männer am Deich sind, und es ist der Auftrag der Truppe, der Brigaden, sich dann um die Logistik selbst zu kümmern. Das organisieren sie eigenständig, in der Regel aus ihren Heimatstandorten heraus.

Wie werden die Güter verteilt?
Wenn es sich um knappe Güter handelt, ist mein Kommando in Berlin dafür zuständig, Prioritäten zu setzen und den Transport zu organisieren. Wenn es um die Arbeit am Deich geht – Kleidung, Wasser, Nahrung –, organisieren die Truppenteile das selbst.

Können Sie hier ein Beispiel geben?
Der Sandsack wird in so einer Lage – das wissen wir aus den Jahren 1997 und 2002 – rasch zu einem strategischen Artikel. Wenn diese Sandsäcke ausgehen, kann man die Deiche nicht mehr verstärken. Nach den Erfahrungen der letzten Hochwasserkatastrophen ist vieles besser geworden. Ich habe diesmal nicht erlebt, dass Sandsäcke gefehlt haben. Feldbetten sind auch ein Thema. Viele Menschen wurden in Sicherheit gebracht, aber nicht jede Gemeinde kann rasch Betten für sie zur Verfügung stellen. Hier sind wir gefordert.

Im Rahmen der Bundeswehrreform wurden einige Standorte geschlossen. Hat das Auswirkungen auf die Hochwasserhilfe?
Nein. Es kommt bei einer Katastrophe dieser Dimension nicht darauf an, ob im Umkreis von 20 Kilometer Truppen stationiert sind. Wir schauen von Beginn einer Katastrophe an auf die gesamte Bundeswehr, können auf alle Truppenteile zugreifen, und wir stellen sie dort zur Verfügung, wo sie gebraucht werden. Die Zeit, die wir brauchen, um Truppen zu verlegen, ist in der Regel nicht das Problem.

Wie reagieren die betroffenen Bürger auf die Hilfe der Soldaten?
Ich bin regelmäßig in den Einsatzgebieten und rede mit den Soldaten. Die Reaktion der Bevölkerung ist sehr positiv. Wenn jemand hilft, dass der eigene Keller nicht mit Wasser vollläuft, ist es, so glaube ich, eine zutiefst menschliche Geste, wenn man da Dankeschön sagt. Die Aufgeschlossenheit und Dankbarkeit der Bevölkerung ist ausgesprochen groß. Das spüren wir. Und die Soldaten machen das auch gerne. Viele sind selbst betroffen vom Hochwasser oder haben dort Freunde und Bekannte.