Roni Grosz verbindet weder der Glaube noch die Physik mit Albert Einstein. Trotzdem macht der Archivar das Lebenswerk des großen Forschers zu seinem. Ein Besuch im Einstein-Archiv in Jerusalem zum 100. Jahrestag der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Jerusalem – Roni Grosz ist um keine Antwort verlegen. Ein bekanntes Einstein-Zitat, das nicht von Einstein stammt? „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Für dieses Zitat gebe es keinen Beleg, sagt Grosz. Sein Lieblingsbuch aus Einsteins eigener Bibliothek? „Prison and Chocolate Cake – Gefängnis und Schokoladenkuchen“ – allein, weil der Titel so kurios klingt. Und ein Thema aus Einsteins Leben, über das zu wenig gesprochen wird? „Einsteins Versuche in den 1930er-Jahren, jüdische Physiker in die USA zu holen.“

 

Unermüdlich schrieb Albert Einstein in der Nazi-Zeit Empfehlungen und setzte sich als prominenter Wissenschaftler für Arbeitsplätze und Arbeitsvisa seiner Kollegen ein. Am 25. November 1915 hatte Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie präsentiert. Und spätestens als einige Jahre später Astronomen seine Vorhersagen bestätigten, wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. „Einladungen zu Abendveranstaltungen hat er meistens aus Zeitgründen abgelehnt“, berichtet Roni Grosz. „Für jüdische Verfolgte hatte er aber immer Zeit.“

Mit Kippa, Zizijot und langem Bart ist Roni Grosz sichtbar ein orthodoxer Jude. Er ist in Wien groß geworden und hat dort eine jüdische Bibliothek aufgebaut. Seit elf Jahren verwaltet er das Einstein-Archiv an der Hebräischen Universität in Jerusalem – und das, obwohl er kein Physiker ist und sich nun um das Lebenswerk eines Juden kümmert, der für Religion nicht viel übrig hatte. Wie er dazu kam, wisse er auch nicht genau, sagt er. „Ich suchte eine neue Herausforderung.“

Ein guter Liebhaber, ein schlechter Ehemann

Albert Einstein hat wenig aufgehoben. Von seinen ersten Artikeln, mit denen er 1905 die Physik aus den Angeln hob, gibt es keine Unterlagen mehr. Selbst die Manuskripte, die Einstein damals bei den „Annalen der Physik“ einreichte, sind nach der Veröffentlichung vernichtet worden. Ein Segen für das Archiv war Helen Dukas, die 1928 Einsteins Sekretärin wurde. Sie hat nicht nur Durchschläge von Briefen aufbewahrt, sondern nach Einsteins Tod auch viele seiner Freunde und Kollegen kontaktiert und um Kopien von Einsteins Briefen gebeten.

Nicht immer sind diese Kopien für Grosz und seine Mitarbeiter eine Freude. Einstein selbst hatte zwar eine gut lesbare und über die Jahre hinweg gleichbleibende Handschrift – so einheitlich, dass man sogar prüft, ob man sie nicht von einem Computer einlesen lassen könnte. Aber mancher Kollege – Grosz nennt Heinrich Zangger als schlechtes Beispiel – habe eine Sauklaue gehabt. Da müsse man jeden Buchstaben prüfen wie ein Orakel, schimpft er: Könnte es ein A sein, oder ein B … ? „Manchmal kommen wir bei Z an und müssen wieder von vorne anfangen: Irgendein Buchstabe muss es ja sein.“

Andere Fälle wecken hingegen den Detektiv in ihm. Grosz zeigt eine knappe Grußkarte – „innigste Wünsche in verehrungsvoller Ergebenheit“ –, die ein gewisser Erich Alten aus New York 1939 an Einstein geschickt hat. Wer ist Alten? Unter den Durchschlägen von Einsteins Sekretärin findet sich ein Brief an einen Erich Altendorf in New York. Über Google Maps hat Grosz ermittelt, dass die beiden Herren zwar unterschiedliche Adressen haben, es sich dabei aber um zwei Eingänge desselben Wohnblocks handelt. Geht es also um dieselbe Person? Obwohl Grosz seine Mitarbeiter anweist, dass sie höchstens eine halbe Stunde auf die Recherche solcher Fragen verwenden sollen, packt ihn der Ehrgeiz.

Er konsultiert alte Telefonbücher, stöbert Schriften auf, recherchiert bei einem Online-Auktionshaus für Antiquitäten und stellt schließlich fest: Es handelt sich um Erich Herz, der aus Altendorf in Tschechien stammt, und der sich nach Arbeiten in Theologie und Ökonomie in den USA als Grafologe etablierte. Er hatte 1938 Einsteins Handschrift analysiert, und der große Physiker war mit dem – leider nicht überlieferten – Ergebnis zufrieden.

Möglicherweise haben Einsteins Sekretärin und der Nachlassverwalter auch einige Dokumente verschwinden lassen, die ihnen zu privat oder peinlich erschienen. „Einstein muss ein guter Liebhaber gewesen sein, denn die Frauen liefen ihm hinterher“, erzählt Grosz. „Aber als Ehemann und Vater war er übel.“ Dass Einsteins Privatleben privat bleiben müsse, denke man heute aber nicht mehr, sagt Grosz. „Wir zeigen alles.“ Und eine Forschergruppe in den USA publiziert nach und nach die gesammelten Schriften Albert Einsteins. Sie sind in den 1920er-Jahren angekommen. Grosz schätzt, dass sie noch 50 Jahre brauchen werden.