Einzelhandel im Kreis Esslingen Sind die Unverpacktläden noch zu retten?

Laura Bäßler wird ihren Kirchheimer Laden Eigenhändig Ende März schließen. Foto: /Ines Rudel

Der Verkauf von Lebensmitteln ohne Plastikverpackung ist das Geschäftsmodell der Unverpacktläden – doch das ist ins Wanken geraten. Der Laden in Kirchheim schließt, auch in Nürtingen blicken die Betreiber mit Sorge in die Zukunft. Das sind die Gründe.

Region: Corinna Meinke (com)

Die Zeiten für die Unverpacktläden im Kreis Esslingen sind nicht leicht: Ende März wird das Kirchheimer Geschäft schließen und in Nürtingen kämpft der Laden ums Überleben. Wenn 2024 keine schwarze Null erwirtschaftet wird, droht auch dort das Aus. Dabei ist das Anliegen, beim Einkauf möglichst wenig Verpackungsmüll zu verursachen, weiterhin hochaktuell, immerhin fällt in Deutschland mehr Verpackungsmüll an als in jedem anderen Land der Europäischen Union.

 

Was wird aus dem Gelben Sack?

„Mein Thema ist vor allem der Plastikmüll, der nicht recycelt werden kann“, beschreibt Laura Bäßler, die in Kirchheim seit rund eineinhalb Jahren den Unverpacktladen Eigenhändig betreibt ihre Motivation, Lebensmittel ohne Verpackung anzubieten. Bäßler spricht von Augenwischerei. Verbraucherinnen und Verbraucher könnten die Verpackungsabfälle aus Kunststoff zwar im Gelben Sack entsorgen, doch es sei unklar, was davon wiederverwertet werden könne und was schließlich doch irgendwo auf der Welt auf Müllhalden oder sogar in den Meeren lande. Bäßler fordert eine Kennzeichnung auf den jeweiligen Verpackungen, um die Problematik ins Bewusstsein zu rufen.

Wer im Unverpacktladen einkauft, spare gegenüber dem herkömmlichen Einzelhandel durchschnittlich rund 80 Prozent Verpackung ein, sagt Sven Binner, der Geschäftsführer des Verbands der Unverpacktläden.

Die Entscheidung für ihren Unverpacktladen sei eine Herzensentscheidung gewesen, räumt Bäßler ein. Auf der Suche nach neuen beruflichen Herausforderungen habe sie zugegriffen, als sie hörte, dass der Kirchheimer Laden zu haben sei. Ähnlich wie ihre Vorgängerin versteht auch Bäßler das Geschäft als zweites Standbein, denn es sei kein Business, mit dem man das große Geld mache. Weil ihr klar war, dass sie davon nicht leben könne, habe sie ihren Job als Teamleiterin Logistik bei Bosch in Reutlingen lediglich auf 50 Prozent Umfang reduziert. Spätestens seit dem Beginn des Ukrainekriegs werde weniger Geld für Bio-Nahrungsmittel ausgegeben, das ist Bäßlers Beobachtung.

Und der Besuch im Unverpacktladen bedeute für die Kundschaft, mit Gläsern und Behältern eine Extrameile zu gehen. Heute sagt Bäßler: „Ich habe nicht die Tendenz nach oben gesehen.“ Angesichts stagnierender Umsatzzahlen habe sie sich nun zur Schließung entschlossen. Ein Standortwechsel oder etwa die Einrichtung eines Marktstandes hätten Zeit und erhebliche Investitionen erfordert. Die Antwort auf die Frage, ob sich das ausgezahlt hätte, wollte Bäßler nicht abwarten.

Stagnierender Umsatz

Sie bereue aber ihr Engagement für den Unverpacktladen nicht, da sie nicht nur interessante Erfahrungen gemacht und tolle Menschen kennengelernt, sondern auch erfahren habe, dass sie mit weniger auskommen könne und noch bewusster konsumiere. Wenn sie Ende März den Laden schließt, soll ein Teil der Einrichtung in den Nürtinger Unverpacktladen Glas & Beutel wandern.

Auch dort ist die Lage nicht rosig. „Für uns ist 2024 das entscheidende Jahr, wir stehen weiter auf der Kippe“, sagt der Sprecher Michael Medla. In der 2019 gegründeten Genossenschaft gehe es zwar nicht um Gewinnmaximierung, aber auf die schwarze Null müsse man trotzdem kommen. Dieser Prozess werde vom Aufsichtsrat der Genossenschaft nun genau beobachtet.

Sind die Preise nicht höher als im Einzelhandel?

Trotz einer stattlichen Anzahl von 420 Genossinnen und Genossen sei der Umsatz im Vergleich der Geschäftsjahre 2021 und 2022 um 16 Prozent gesunken. Nach einem Aufruf an die Mitglieder, häufiger im Glas-&-Beutel-Laden einzukaufen und sich ehrenamtlich zu engagieren, sowie verstärkten Werbeaktionen, zu denen ein Projekt der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen geraten hatte, habe sich die Lage im Herbst zwar etwas verbessert, doch dieser Januar sei wieder schlechter ausgefallen. Auch Medla macht eine allgemeine Kaufzurückhaltung seit Beginn der Energiekrise für die Probleme verantwortlich und mit den Krisen habe auch die Armut zugenommen. Trotzdem wolle die Genossenschaft, die eineinhalb Stellen geschaffen habe und neben Ehrenamtlichen sieben Minijobber beschäftige, „zeigen, das es geht“. Man sei auch angetreten den Ruf, teuer zu sein, zu entkräften, denn ihre Preise für die hochwertige Ware sei vergleichbar mit dem übrigen Lebensmitteleinzelhandel.

Laut dem Verband fördern die Unverpacktläden „nicht nur einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen, sondern schaffen auch eine Gemeinschaft von Menschen, die sich für umweltfreundliche Alternativen engagieren“. Immer wieder sei die Unverpacktbranche Vorreiter für innovative Verpackungen und nachhaltige Produkte. So sei beispielsweise das feste Shampoo erst durch das Vorbild der Unverpacktläden in das Sortiment großer Handelsketten gekommen.

Pioniere bei Abfallvermeidung

Vertretung
Der Verein Unverpackt vertritt die Interessen von rund 250 angeschlossenen Unverpacktläden in ganz Deutschland, davon 50 in Baden-Württemberg. Ihre Zahl ist rückläufig. Laut Verein leisten diese Läden Pionierarbeit beim Thema Abfallvermeidung im Handel.

Problem
Insgesamt entsteht laut dem Statistischen Bundesamt in Deutschland Eu-weit die größte Menge an Verpackungsmüll. So lag im Jahr 2021 das Aufkommen an Verpackungsmüll hierzulande bei rund 19,7 Millionen Tonnen, das sind 237 Kilogramm pro Kopf. Die zweitgrößte Menge fiel mit rund 13,6 Millionen (230 Kilo pro Kopf) in Italien an, gefolgt von Frankreich mir 13,4 Millionen Tonnen an, was 198 Kilogramm pro Kopf entspricht.

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