Als Baby verzauberte der kleine Eisbär im Berliner Zoo die Massen. Forscher haben nun die Ursache für seinen plötzlichen Tod im März 2011 herausgefunden. Die Erkenntnis soll künftig anderen Tieren rechtzeitig das Leben retten können.

Stuttgart - Krämpfe schütteln 305 Kilogramm Bär im weißen Pelz. Offensichtlich ist das Tier nicht mehr Herr seiner Bewegungen. Entsetzt beobachten die Besucher im Berliner Zoo, wie der mächtige Körper zur Seite kippt und ins Wasserbecken stürzt. In der Blüte seiner Jugend ertrinkt Knut am 19. März 2011 genau in dem Becken, in dem er sonst zur Begeisterung seiner Fans seine Runden drehte.

 

Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin findet Claudia Szentiks in der Lunge des wohl berühmtesten Eisbären der Welt winzige Partikel aus dem Becken, die den Tod durch Ertrinken belegen. Offensichtlich verhinderten die Krämpfe, dass Knut sich aus dem Wasser rettete. Eine Entzündung des Gehirns muss diesen Anfall ausgelöst haben. Nun haben Forscher in der Fachzeitschrift Scientific Reports die Ursachen der Gehirn-Erkrankung von Knut aufgedeckt. Damit könnte der Weltstar mit den Knopfaugen viereinhalb Jahre nach seinem Tod Menschen und Tieren helfen, die an der gleichen Krankheit leiden.

Die Entzündung beschädigt Nervenzellen und Hirnhaut

Dabei waren die Fahnder zwischendurch schon in einer Sackgasse angelangt. So sehr die IZW-Forscher nach einem Erreger der Gehirn-Entzündung suchten, sie fanden nichts. Nicht der geringste Hinweis deutete auf kleine Würmer und andere Parasiten oder Pilze hin. Auch neuartige Erreger wie die Prionen, die zum Beispiel die Gehirnerkrankungen beim Rinderwahnsinn BSE auslösen, konnten nicht die Ursache sein. Genauso wenig kamen Bakterien oder Viren in Frage. Die Forscher traten lange auf der Stelle.

„An Aufgeben aber dachten wir keine Sekunde“, erklärt Alex Greenwood. Kaum hatten sie am Jahreswechsel 2013/2014 die Ergebnisse und Bilder der Gehirn-Entzündung veröffentlicht, meldete sich der Charité-Forscher Harald Prüß. Bei einigen seiner Patienten hatte der Spezialist für Nerven- und Gehirnleiden die gleichen Symptome wie bei Knut beobachtet. Er hatte ebenfalls keinen Erreger gefunden – weil es schlicht keinen gab: „Bei 86 Prozent dieser Patienten greift kein Erreger, sondern das Immunsystem des eigenen Körpers Strukturen im Gehirn an, die wir als NMDA-Rezeptoren kennen“, erklärt Harald Prüß. Die Entzündung beschädigt die Hirnhaut und die Nervenzellen im Gehirn. Die Mediziner nennen solche Erkrankungen Autoimmunkrankheiten.

Knut hätte überleben können, wäre er auf Felsen gefallen

Während sich die IZW-Forscher also am Tod des kleinen Eisbären im Berliner Zoo die Zähne ausbissen, hatten Ärzte die gleiche Krankheit beim Menschen bereits im Jahr 2007 identifiziert. Auffallend häufig handelt es sich bei diesen Patienten um junge Frauen, die anfangs Symptome wie Kopfschmerzen und leicht erhöhte Temperatur hatten. Später kamen Halluzinationen und Verfolgungswahn dazu. Vielleicht hatte Knut ja ähnliche Symptome? Nur lassen sich Halluzinationen bei Tieren kaum diagnostizieren und Schmerzen lassen sich Eisbären – wie viele andere Wildtiere auch – ohnehin nicht anmerken: „Zeigt ein Tier in der Natur Krankheitssymptome, nützen seine Feinde solche Schwächen schnell aus“, erklärt Alex Greenwood. Knut hatte offensichtlich alle Probleme überspielt. „Oft sieht man erst wenn ein Tier umfällt, dass es krank ist“, fasst der Forscher Greenwood zusammen.

Nach psychischen Symptomen treten beim Menschen Bewegungsstörungen und oft epileptische Anfälle auf. Bei Knut war es wohl ähnlich. „Dass er bei seinem Krampfanfall ins Wasser fiel und dort ertrank, war einfach Pech“, erklärt Greenwood weiter. Wäre er nur auf die Felsen gefallen, hätte Knut vielleicht überleben können. Schließlich haben auch Menschen relativ gute Chancen, die Krankheit zu überstehen, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Genau daran aber hapert es. „Vielleicht lenkt ja die Aufklärung der Todesursachen von Knut die Aufmerksamkeit ein wenig in diese Richtung“, hofft Forscher Harald Prüß von der Berliner Uniklinik Charité.

Für Knut kommt die Forschung zu spät

Ist die Ursache des Leidens erst einmal bekannt, können die Ärzte die Autoimmunkrankheit mit Cortison-Medikamenten und ähnlichen Wirkstoffen relativ gut in den Griff bekommen. „Wir kennen solche Krampfanfälle auch bei anderen Tieren“, erläutert Alex Greenwood. Das Forscherteam sucht bereits nach weiteren Fällen im Tierreich. In Zukunft soll diese Forschung anderen Tieren rechtzeitig das Leben retten können.

Für Knut aber kommt diese Erkenntnis zu spät. Selbst wenn die Forscher 2011 das Leiden bereits gekannt hätten, wäre der berühmte Eisbär mit den Knopfaugen wohl ertrunken: „Niemand könnte ein mehr als 300 Kilogramm schweres Tier rechtzeitig aus dem Wasser ziehen“, davon ist Alex Greenwood überzeugt.