Das elektrische Flaggschiff von Mercedes-Benz hat in China nicht so eingeschlagen wie erhofft. Die Entwickler arbeiten an Verbesserungen – im Innenraum wie bei der Technik.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau: Matthias Schmidt (mas)

Länge ist Luxus – mit dieser Formel ist Mercedes-Benz in China viele Jahre gut gefahren. Die Langversion der S-Klasse verkauft sich als Statussymbol der oberen Zehntausend prächtig. Das elektrische Schwestermodell namens EQS hingegen, das 2021 auf den Markt kam und für Technik und Design neue Maßstäbe setzen sollte, tut sich schwer. Massive Rabatte wurden nötig. Vor allem ein Kritikpunkt hat sich herumgesprochen: EQS-Passagieren, die mit Chauffeur unterwegs sind, ist der Platz auf dem Rücksitz zu knapp. Die Frage drängt sich auf: Warum baut Mercedes vom EQS keine Langversion?

 

Oliver Röcker kennt die Antwort. Als verantwortlicher Chefingenieur für EQS und S-Klasse hat er die exakten Maße der Autos im Kopf. Und so einfach, wie es wirkt, ist die Frage wohl nicht. „Der EQS hat einen Radstand von 3,21 Metern, das entspricht bereits der Langversion der S-Klasse“, sagt Röcker. Dass die herkömmliche Limousine insgesamt sieben Zentimeter länger ist, liegt am „Drei-Box-Design“ der klassischen Verbrennermodelle: Motorraum, Passagierzelle, Kofferraum. Elektroautos dagegen brauchen keine lange Motorhaube.

Chefingenieur Oliver Röcker am Steuer eines EQS Foto: Mercedes-Benz

Anders als etwa der Konkurrent BMW, dessen E-Autos sich äußerlich kaum von den Verbrennern unterscheiden, geht Mercedes mit dem EQS einen anderen Weg: Die Front verzichtet auf kantige Luxuswucht, die Silhouette folgt einem aerodynamisch günstigen Bogendesign. Die Dachlinie fällt dadurch nach hinten schnell ab, was sich auf die Kopffreiheit im Fond auswirkt. Prominenter Zeuge ist Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der im „FAZ“-Interview von seinen Erfahrungen im Dienst-EQS berichtet hat: Es sei „ein schönes, im Windkanal optimiertes Auto mit großer Effizienz, Fahrqualität und Reichweite“, sagte Hermann. Aber: „Obwohl ich ja ein kleiner Mann bin, stoße ich mir öfters den Kopf an.“

Die Reaktion der Kunden ist bei Mercedes-Benz nicht ungehört verhallt. Oliver Röcker und sein Team haben getüftelt, wie die Enge des Raums auf dem Rücksitz geweitet werden könnte – sei sie nun gefühlt oder gespürt. Die Antwort findet man seit Kurzem bei den Sonderausstattungen unter der Rubrik „Fondkomfort Paket Plus“. Sie kostet 3847,50 Euro extra, was bei einem Basispreis von knapp 110 000 Euro aber nicht wesentlich ins Gewicht fallen dürfte.

Blick auf die Rückbank mit neuer Sitzauflage. Die Lehne lässt sich stärker nach hinten neigen, der Beifahrersitz fährt per Knopfdruck nach vorn. Foto: Mercedes-Benz/Basti Hansen

Die Rückenlehne lässt sich mit Plus-Paket weiter nach hinten neigen als bisher, das schafft zusätzliche Kopffreiheit. Ein Auflagekissen sorgt für eine längere und etwas weichere Sitzfläche, die Gurtschlösser sind beleuchtet, und in der Türverkleidung findet sich ein neuer Knopf. Wer ihn drückt, aktiviert die „Chauffeursstellung“: Der Beifahrersitz gleitet weit nach vorn, auch die Lehne wird leicht nach vorn gekippt, der dort angebrachte Bildschirm gleichzeitig so verstellt, dass er im Blick bleibt. Der Fußraum vergrößert sich damit auf First-Class-Dimensionen. Für einen Beifahrer neben dem Chauffeur ist dann jedoch kein Platz mehr.

EQS liegt beim Absatz vor dem i7 von BMW

Oliver Röcker sieht die Veränderungen als Teil des Auftrags, das Fahrzeug kontinuierlich zu verbessern. „Der EQS ist die technologische Spitze in der Elektromobilität und soll es bleiben“, sagt Röcker. Dem Eindruck, Mercedes habe das Auto an den Wünschen reicher chinesischer Kunden vorbeigeplant, widerspricht er. „Wir sehen, dass die Transformation im Luxusbereich in China aktuell noch langsamer verläuft. Das ändert aber nichts daran, dass wir in diesem Segment absolut führend sind.“ Weltweit hat Mercedes nach „Handelsblatt“-Zahlen von Januar bis November 2023 mehr als doppelt so viele EQS (16 599 Stück) verkauft wie BMW vom elektrischen Topmodell i7 (6968). Zum Vergleich: Die S-Klasse mit Verbrenner kam im gleichen Zeitraum auf 54 308 Verkäufe.

Nicht nur bei der Rückbank wurde das elektrische Flaggschiff, von dem es auch eine SUV-Version gibt, weiterentwickelt. Manche Veränderungen sind klein (der Akkustand wird jetzt auch in Prozent angezeigt), manche größer (alle Modelle werden jetzt mit dem ultrabreiten Hyperscreen ausgestattet). Und manche sind tief in der Technik verborgen. Die Bremsen greifen jetzt ab einem klar definierten Druckpunkt, was bei gleichzeitiger Energierückgewinnung eine technische Herausforderung ist. Und der Vorderachsantrieb wird beim entspannten Dahingleiten automatisch ausgekuppelt, sodass nur die Hinterachse verbunden bleibt. Das bringt ebenso zusätzliche Reichweite wie eine veränderte Batteriekonstruktion und der Einsatz einer Wärmepumpe.

Umstieg auf 800-Volt-Bordnetz in Aussicht

Auch wenn es noch keine explizite Bestätigung von Mercedes dafür gibt, dürfte der nächste große Schritt der Umstieg auf ein 800-Volt-Bordsystem werden, wie es beim Porsche Taycan schon im Einsatz ist. Im Verbund mit neuen Batterien würde das die Ladezeiten verkürzen. „Wir nähern uns immer mehr dem Ziel ,Laden wie Tanken‘ an“, sagt Röcker.