Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande haben allen Grund, in Berlin 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft zu feiern. Trotzdem ist man weit entfernt davon, entschlossen gemeinsame Sache zu machen.

Berlin - Lassen wir der Fantasie freien Lauf. Stellen wir uns vor, die Kanzlerin und der Staatschef belassen es nicht dabei, mit großem Pomp den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags zu feiern. Angela Merkel und François Hollande beschließen vielmehr, es denen nachzutun, die sie an diesem Dienstag hochleben lassen. Sie nehmen sich ein Beispiel an Konrad Adenauer und Charles de Gaulle.

 

Nicht, dass die Kanzlerin und der Präsident einen neuen Freundschaftsvertrag aushandeln müssten. Der am 22. Januar 1963 von Adenauer und de Gaulle unterzeichnete genügt vollauf. Und vieles, was darin für wünschenswert erklärt wurde, harrt nach 50 Jahren noch immer der Verwirklichung. Man denke nur an das damals fixierte Ziel, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik zu entwickeln.

Eine große Ehre für Konrad Adenauer

Nein, es geht darum, dass Merkel und Hollande den Schulterschluss üben, zum Wohl ihrer Völker und Europas gemeinsame Sache machen. So wie Adenauer und de Gaulle es taten. In Colombey-les-Deux-Eglises, einem von Wiesen und Wäldern gesäumten 350-Seelen-Dorf im Süden der Champagne, waren die zwei zusammengekommen. Im Geburtshaus des Generals ließen sich der Deutsche und der Franzose auf von de Gaulles Katze malträtierten Sesseln nieder, bereiteten der Aussöhnung der ehemaligen Kriegsgegner den Weg.

Der Beginn einer wunderbaren Männerfreundschaft war das. Der christdemokratische Rheinländer sollte der einzige Staatsmann bleiben, dem der General die Ehre erwies, in seinen Privatgemächern zu nächtigen. Hollande könnte Merkel nun nach Zentralfrankreich in sein geliebtes Tulle einladen und Kuttelwurst mit Senfsoße servieren lassen. Zum Auftakt müssten es nicht gleich historische Taten sein.

Gemeinsame Sache? Das ist nicht die Realität

Der Staatschef könnte wirtschaftliche Strukturreformen auf den Weg bringen und die Sorgen der Kanzlerin zerstreuen, Frankeich werde als kranker Mann Europas die Solidarität der Deutschen überstrapazieren und Europa in den Abgrund ziehen. Merkel mag im Gegenzug den in Mali weitgehend allein kämpfenden Franzosen umfangreiche Militärhilfe zusagen. Anschließend würden die zwei ein Konzept erarbeiten, wie das krisengeschüttelte Europa zusammenwachsen soll. Nur wenn die beiden wichtigsten Wirtschaftsmächte der EU an einem Strang ziehen, hat das Europa der 27 schließlich die Chance, voranzukommen. Vom Wegfall der Schlagbäume an innereuropäischen Grenzen bis hin zur gemeinsamen Währung: Stets waren es Deutsche und Franzosen, die dem Fortschritt den Weg gebahnt haben.

Dass Merkel und Hollande entschlossen gemeinsame Sache machen, ist Wunschdenken, weit weg von der Wirklichkeit. Ganz unnütz ist das Gedankenspiel aber nicht. Es veranschaulicht die Kühnheit Adenauers und de Gaulles, die keine zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegen Widerstände im eigenen Land im trauten Tête-à-tête eine Allianz ehemaliger Erzfeinde schmiedeten. Nirgends sonst ist Vergleichbares gelungen.

Das Bündnis hat alle Rivalitäten überstanden

Trotzdem, und das ist tröstlich in der von deutsch-französischen Querelen gezeichneten Gegenwart: das Bündnis der durch den Elysée-Vertrag zu enger Zusammenarbeit angehaltenen Nachbarn war von Anfang an überschattet von Meinungsverschiedenheiten und Rivalitäten – die es alle überlebt hat. Während de Gaulle mit den Deutschen eine von Amerikanern und Briten unabhängige europäische Gemeinschaft schaffen wollte, legte Adenauer Wert auf „eine enge Verbindung Europas mit den Vereinigten Staaten“, eine Formulierung, die der Bundestag dem Elysée-Vertrag auch als Präambel voranstellte. De Gaulle soll geschäumt haben vor Wut darüber.

Die deutsch-französischen Beziehungen sind stark genug, um solche Belastungen auszuhalten. Ein tragfähiges Beziehungsgeflecht ist entstanden. Mehr als acht Millionen junge Menschen haben dank des deutsch-französischen Jugendwerks das Nachbarland kennengelernt. Ein Netz von Städtepartnerschaften ist entstanden. Was nicht heißt, dass alte Klischees auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet wären. Nicht weit her ist es auch mit der Sprachkompetenz. Sechs Prozent der Deutschen und vier Prozent der Franzosen können sich fließend im Idiom des Nachbarn ausdrücken. Aber immerhin haben 85 Prozent der Deutschen und 72 Prozent der Franzosen ein positives Bild voneinander. Bei den Deutschen überwiegt die Sympathie für, bei den Franzosen der Respekt.

Klischees und Sprachschwierigkeiten

Fremde Freunde sind sie einander geworden. Wie ihre Vorgänger haben Merkel und Hollande immerhin gelernt, dass es ohne den Anderen leider nicht geht, soll Europa vorankommen. Und so werden sie in Berlin versuchen, den Partner nicht noch mehr zu verprellen, werden Einvernehmen demonstrieren, auch wenn es damit mal wieder nicht weit her ist.