Wo ist die undichte Stelle im Vatikan? Ein Mitarbeiter des Papstes soll geheime Dokumente weitergereicht haben. Der Kammerdiener des Papstes wurde verhaftet, doch die unfromme „Vatileaks“-Affäre zieht noch größere Kreise.

Rom - Bislang ist nur klar, dass es keine Klarheit gibt. Vier Kassetten mit Dokumenten, die er eigentlich nicht haben durfte, hat die Vatikangendarmerie in der Wohnung von Paolo Gabriele gefunden. Doch was wollte der Butler des Papstes mit diesem Material?

 

326 Seiten umfasst das vor etwa zwei Wochen erschienene Buch „Sua Santità“, in dem der italienische Fernsehjournalist Gianluigi Nuzzi ein vertrauliches Vatikandokument nach dem anderen ausbreitet. Bei etlichen dieser Papiere steht fest, dass nur der Papst selbst und ganz wenige seiner engsten Mitarbeiter sie in der Hand gehabt haben können. Aber war es Benedikts Butler, der sie weitergegeben hat?

„Vatileaks“ hat der Pressesprecher des Papstes, Federico Lombardi, die Indiskretionen aus dem Vatikan getauft, die seit Monaten in Rom Aufregung hervorrufen. Lombardi spielte auf die „Wikileaks“-Affären an, also auf die Veröffentlichung geheimer internationaler Regierungs- und Diplomatenakten im Internet. Die „Vatileaks“ finden in italienischen Medien statt. Sie belegen nach Ansicht vieler Beobachter deutliche Auflösungserscheinungen in der Kirchenregierung von Papst Benedikt XVI. Sie sollen offenbar zur weiteren Destabilisierung in der Kurie beitragen, haben außer Medienwirbel bisher aber eher das Gegenteil erreicht.

Keiner glaubt an die Theorie vom Einzeltäter

Doch wer steckt dahinter? Keiner glaubt, dass Benedikts Kammerdiener, ein treukatholischer, 46-jähriger Vater von drei Kindern, seine exklusive Lebensstellung durch die illegale Weitergabe von Dokumenten leichtfertig aufs Spiel setzt. Auch war Gabriele mit Sicherheit nicht der einzige „Verräter“. Sind Kurienmitarbeiter bestochen worden? Ein Monsignore, der im Vatikan arbeitet, schließt eine gewisse Anfälligkeit nicht aus: „Gemessen an unserer Ausbildung und Verantwortung sind wir entschieden unterbezahlt. Und Rom ist teuer. Wir müssen für unsere Wohnungen selber aufkommen. Ich kann mir also durchaus vorstellen . . .“

Der Journalist Nuzzi schreibt in seinem Buch, er habe niemandem auch nur einen Euro für den Dokumentenschmuggel bezahlt. Seine Informanten seien „eine Gruppe von Vatikanbürgern oder -beschäftigten“, die „frustriert sind vom Überhandnehmen widerrechtlicher Übergriffe, persönlicher Interessen und unterdrückter Wahrheiten“. Gegen allerlei Widerstände in der Kurie hätten sie mit ihren Indiskretionen nicht dem Papst schaden, sondern ganz im Gegenteil „die Reformen Benedikts XVI. beschleunigen“ wollen.

Eine bedeutende Persönlichkeit soll den Butler „benutzt“ haben

Die Ermittlungen der Vatikangendarmerie und der drei Altkardinäle, die der Papst persönlich eingesetzt hat, ziehen denn auch größere Kreise: Jemand habe Benedikts Butler „benutzt“, heißt es. Dieser „jemand“ müsse eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein, sonst hätte der Diener des Papstes für ihn keinen Finger krumm gemacht. War es also ein Kardinal? Waren es gar mehrere? Gab es eine Verschwörung im Vatikan?

Ob es damit zusammenhängt oder ob es ein eigener Fall ist, das weiß man noch nicht, aber auch der vergangene Woche gefeuerte Chef der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi (67), wird mittlerweile offiziell beschuldigt, Dokumente in „ungerechtfertigter Weise verbreitet“ zu haben.

Der Verteidiger Paolo Gabrieles sagte am Montag, Benedikts Kammerdiener werde „auf alle Fragen der Ermittler antworten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen“. Vatikansprecher Federico Lombardi seinerseits erklärte, die drei vom Papst beauftragten Altkardinäle würden ihre Ermittlungsarbeit fortsetzen. Es ist also davon auszugehen, dass bestimmt noch mehr ans Tageslicht kommen wird.